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Praxissemester auf Gangpferde-Gestüten in Brasilien | Auslandserfahrungen im Agrarbereich

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Praxissemester auf Gangpferde-Gestüten in Brasilien
Map-Nr.:

15648

Titel:

Praxissemester auf Gangpferde-Gestüten in Brasilien

Beschreibung:

Praktikumsbericht aus Brasilien

April bis August 2012, Praxissemester Pferdewirtschaft (Bachelor) auf Mangalarga Marchador-Gestüten

Angelehnt an Fragen, die mir nach meinem Praktikum gestellt wurden, habe ich den Praktikumsbericht als Interview gestaltet.


Brasilien klingt nach Sonne, Meer, Strand und Palmen…

Das dachte ich auch, jedenfalls bis ich den Süden Brasiliens kennenlernte. Da meine Praktikumszeit im brasilianischen Herbst und Winter lag, gab es an zwei Praktikumsorten extrem starke Regenfälle. Glücklicherweise hatte ich Winterklamotten dabei, da ich in Deutschland Anfang April losgeflogen bin. Gefroren habe ich häufig trotzdem, da die Luftfeuchtigkeit an manchen Orten extrem hoch ist und die Häuser auch keine Heizung haben. Am besten ist die Kälte unter einem Stapel Decken im Bett auszuhalten oder mit einem heißen Mate-Tee.


Wo im Süden von Brasilien warst du?

In den Bundesstaaten Paraná und Mato Grosso do Sul, in der Nähe der Grenze zu Paraguay.


Was war die größte Herausforderung in deinem Praktikum?

Eigentlich waren es mehrere: Das konservative Rollenbild vieler Männer über Frauen, das in 1. Ehefrau/die Freundin, 2. Waschen, Putzen, Kochen, Servieren und 3. Prostituierte bestand. Die Rollenvorstellung einer Kollegin gab es leider nicht auf allen Gestüten bzw. nicht bei allen Angestellten. Ohne männlichen Familienangehörigen oder Ehemann/Beziehungspartner wird man zudem schnell als schutzlos betrachtet. Dies gab insbesondere Probleme, wenn die Angestellten aus Paraná stammten und sich zudem betrunken haben.

Die zweite war ganz anderer Art: Auf dem ersten Gestüt, auf dem ich war, war das Haus massiv verschimmelt und ich bin sehr stark allergisch geworden, weshalb ich das Gestüt wechseln musste. Das war sehr schade, denn die Angestellten und ihre Familien waren sehr nett. Diese zwei Probleme ließen sich vor Ort nicht lösen, sondern nur durch einen Gestütswechsel.

Auf der inhaltlichen Ebene waren die größten Herausforderungen den Umgang mit Hengsten zu lernen und mit Schwierigkeiten beim Reiten umzugehen, wie Bewegungsmangel und steigenden Pferden.


Wie war es, Ausländer in einer fremden Kultur zu sein?

Portugiesisch zu sprechen hat mir viel Spaß gemacht. Auch geht man in einer fremden Umgebung mit viel wacherem, aufmerksamerem Blick umher und ist offener für neue Kontakte. Ich schaue nach dem Praktikum auch mit anderen Augen auf die eigene Kultur, sowohl auf positive Dinge, als auch auf Dinge, die mir nicht so gefallen. Vieles, von dem eine Kultur als allgemeingültigem Standard ausgeht, ist in Wirklichkeit relativ.


Was hat dir an der brasilianischen Kultur gefallen?

Die brasilianische Kultur gibt es wegen der Größe des Landes nicht. Generell sind die Brasilianer recht kommunikativ, gehen offener auf andere zu und verbringen mehr Zeit mit anderen Menschen, wobei das im stärker afrobrasilianisch geprägten Norden mehr ausgeprägt ist als im Süden. Was mir außerdem sehr gut gefällt, sind die Natur und die Tierwelt, wo sie noch relativ unberührt sind. Auch fand ich es toll zu sehen, dass bei Kleinbauern mit etwas Landbesitz fast Subsistenzwirtschaft möglich ist.


Gab es so etwas wie einen Kulturschock?

Was mir nicht gefällt, ist Diskriminierung, sei es als Frau im Süden oder subtil rassistische gegenüber Afrobrasilianern und Indianern wie gängiges Schönheitsbild und ungleiche Besitzverteilung. Auch die fehlende soziale Absicherung und die Gegensätze von absoluter Armut und Reichtum im Überfluss empfinde ich als ungerecht. Außerdem passieren mehr Verbrechen, 4 Tage vor meiner Ankunft auf dem ersten Gestüt wurde ein Toter dort gefunden.

Da ich allein in einem Haus gewohnt habe, das sich außerhalb der Rufweite der anderen Häuser befand, habe ich mich nachts dort allein auch nicht besonders wohlgefühlt. In den ersten Tagen ist wegen starker Unwetter noch zweimal abends im Dunkeln für mehrere Stunden der Strom ausgefallen. Beim zweiten Mal wusste ich dann wenigstens, wo die Kerze und die Streichhölzer sind.

Grillfeste mit Fleischbergen ohne Beilage und Unmengen an Zuckerrohschnaps, wie es sie auf dem zweiten Gestüt regelmäßig gab, sind als Vegetarier und Antialkoholiker leider auch nicht mein Fall gewesen.


Bei Brasilien denken viele an leicht bekleidete Frauen beim Karneval in Rio. Wie ist das mit der Kleidung in Brasilien?

Beim Arbeiten auf dem Gestüt habe ich bewusst immer lange Hosen und hochgeschlossene T-Shirts mit Ärmeln getragen, da ich mich dem Stil der männlichen Angestellten möglichst anpassen wollte. Kulturell gibt es in Brasilien, was die Kleidung angeht, ein paar Unterschiede zu Deutschland. Man sollte sich hier vorher auf jeden Fall schlau machen, zum Beispiel durch einen Reiseführer. Beispielsweise sollte man sich nie am Strand umziehen, auch nicht unter einem riesigen Badehandtuch. Man zieht die Straßenkleidung über die Badebekleidung und zieht sich erst zu Hause wieder um.


Welche Tipps würdest du zukünftigen Praktikanten in Brasilien mit auf den Weg geben?

Wenn möglich eine Stelle von einem Deutschen oder Praktikanten empfehlen lassen, der schon vor Ort war und bei dem das nicht allzu lange her ist. Bei einem großen Land wie Brasilien wirklich in die Region gehen, die einen am meisten interessiert, da es enorme kulturelle Unterschiede gibt.

Außerdem sollte man auf jeden Fall eine Auslandskrankenversicherung mit Rückholung abschließen, eine Notfallapotheke mitnehmen und sich Gedanken machen, wie man vor Ort günstig bzw. überhaupt Geld abheben kann. Ich habe mit der Sparcard keine Gebühren zahlen müssen, konnte allerdings auch nur Automaten mit dem Plus-Label nutzen.

Man kann sich in Brasilien nicht überall frei bewegen. Dies gilt insbesondere für Großstädte. Vor Ort sollte man fragen, wo und um welche Uhrzeit es sicher ist. Möglichst billige, brasilianische Kleidung und eine billige, vor Ort gekaufte Tasche sind ebenfalls sinnvoll. Wenn man kein gutes Gefühl dabei hat, sollte man nicht in eine Straße etc. gehen, auch Slums sollte man aus Sicherheitsgründen nicht betreten.

Auf keinen Fall sollte man an Stellen baden gehen, an denen keine Brasilianer baden. Am besten fragt man vorher, wo es sicher ist. Zudem sollte man die eigenen Schwimmfähigkeiten mit Wellengang realistisch einschätzen, brasilianische Kinder sind meist geübter als man selbst. Auf jeden Fall sollte man lernen, unter den Wellen durchzutauchen.


Welches Bild haben Brasilianer von Deutschen?

Das Vorurteil ist, dass Deutsche ernst und verschlossen sind. In der Region des dritten Gestüts gab es einen Deutschen, der eine Farm dort hat. Ich habe ihn nie kennengelernt, aber er hat das Vorurteil den Erzählungen nach wohl bestens bestärkt. Ich selbst hatte mit Vorurteilen über Deutsche keine Schwierigkeiten. Die deutsche Sprache wird im Vergleich zum brasilianischen Portugiesisch allerdings als sehr hart empfunden.


Hat das Praktikum dich im Studium weitergebracht?

Eigentlich hätte ich gerne auch Einblick in die Verwaltung eines Gestüts bekommen, das hat leider nicht geklappt, da die Verwaltung nie auf dem Gestüt war und es wohl auch nicht viele Verwaltungstätigkeiten gibt. Leider waren bei meinen Tätigkeiten zu viele Routineaufgaben dabei, wie 10 bis 15 Pferde putzen oder Tränken auswaschen und neu befüllen, die für das Studium weniger hilfreich waren. Einige länderspezifische Einblicke konnte ich mitnehmen, wie beispielsweise regionale Grassorten kennenlernen, welche Papiere für einen Pferdetransport in Brasilien notwendig sind und sehen, wie die Zuchtpapiere aufgebaut sind und wie man Blattschneiderameisen bekämpft. Auf jeden Fall hat das Praktikum geholfen, schneller die Gegebenheiten und Abläufe eines Gestüts einschätzen zu können.


Wie kommt man an einen Praktikumsplatz im Ausland?

Ein Bekannter aus meinem letzten Praktikum in Brasilien hat mir das Gestüt empfohlen. Allerdings war er wohl schon einige Jahre nicht mehr dort, sodass sich mittlerweile einiges geändert hatte.


Wie hast du dich am Anfang verständigt? Auf Englisch?

Nein, das funktioniert in Brasilien in der Regel nicht, da die Landessprache Portugiesisch ist und die meistgenutzte Fremdsprache Spanisch. Ich habe vorher schon etwas Portugiesisch gesprochen, da ich schon mein Vorpraktikum fürs Studium in Brasilien (aber in anderen Bundesstaaten) gemacht und zwei Sprachkurse an der Volkshochschule besucht habe.


Welche Eigenschaften sollte man mitbringen, um sich in Brasilien wohlzufühlen?

Man sollte ein gewisses Maß an Chaos genießen können.


Was würdest du anders machen, wenn du nochmal in Brasilien Praktikum machst?

Ich würde schon vor dem Praktikum ansprechen, dass ich eine Praktikumsbescheinigung benötige, da Brasilien keine Arbeitszeugniskultur hat und das somit nicht selbstverständlich ist. Am letzten Arbeitstag würde ich versuchen, mir diese direkt unterschreiben lassen, sofern möglich. Alles, was nicht als dringend notwendig erachtet wird, wird in Brasilien nicht sofort erledigt, bzw. auf unbestimmte Zeit oder nie verschoben. Eventuell macht es Sinn, vorher mit der Hochschule zu sprechen, wie man damit umgeht, falls man keine Bescheinigung bekommt.

Auch würde ich Visumsangelegenheiten auf der zuständigen Stelle vor Ort selbst regeln, auch wenn die Praktikumsstelle das anders vorschlägt.
Wenn man mit mehr Geld reist, würde ich danach noch durchs Land reisen.
Außerdem würde ich nur noch ab dem Bundesstaat Sao Paulo oder nördlicher Praktikum machen, am liebsten im Nordosten oder Norden Brasiliens.


Was hast du aus dem Praktikum mitgenommen?

Ich kann mir nicht vorstellen, später auf einem Gestüt in Brasilien zu arbeiten, insbesondere nicht im Süden Brasiliens. Auch wenn das Gestüt sehr weit ab von der nächsten Ansiedlung liegt und keine Verwaltung auf dem Gestüt angesiedelt ist, wäre das nicht so mein Ding. Sprachlich habe ich mein Portugiesisch sehr verbessert. Zudem ist es gut zu sehen, dass ich mich auch unter widrigen Bedingungen durchschlagen konnte.


Welche Aufgaben haben dir am meisten Spaß gemacht?


Am schönsten fand ich das Umtreiben einer Herde Fohlen zu Pferd auf eine andere Weide. Überhaupt waren die Gangpferde super bequem zu reiten.


Was sind wichtige Unterschiede zwischen einem Praktikum in Deutschland und Brasilien?

Man ist über die brasilianische Praktikumsstelle nicht versichert. Man sollte unbedingt vor dem Auslandsaufenthalt prüfen, wie man das Risiko absichern kann. Gerade im landwirtschaftlichen Bereich gibt es eine Menge Risiken.

Arbeitssicherheit wurde meinen Erfahrungen nach nicht besonders großgeschrieben, beispielsweise haben die Bremsen eines Traktors nicht richtig funktioniert und er hat dann die Wand neben dem Einfahrtstor beschädigt oder die Heuballen wurden einen Meter unter in der Isolierung beschädigten Stromleitungen aufgesetzt. Auch wird in Brasilien beim Arbeiten mehr Blödsinn gemacht. Beispielsweise wurden die Heuballen manchmal nicht zugeworfen, sondern eher die Personen damit beworfen, die gerade auf der achten Schicht Heuballen oben standen.


Und zum Schluss: Was ist dein Fazit?

Man braucht einfach bei der Praktikumsstelle im Ausland viel mehr Glück, da man sich die Praktikumsstelle vorher nicht anschauen kann. Mein Vorpraktikum für das Studium in Brasilien war wirklich toll. Eines der Mangalarga Marchador-Gestüte war besonders vorbildlich geführt. Die pferdegerechte Haltung, Organisation und das Pferdetraining übertraf das meiste, was ich in Deutschland bisher gesehen habe. Die Angestellten waren nett und es gab auch eine weibliche Angestellte. Ich durfte sogar mit einem Pferd bei einem Distanzritt starten. Die Kaffee-Farm, die zum Gestüt gehörte, wurde gerade von der Rain-Forest-Alliance zertifiziert, und es war supertoll, mit dem Pferd im Wald unter feinen Lianen durchzureiten.

Auf einem anderen Gestüt durfte ich bei einem Ritt zum Meer mitreiten, um für zwei englische Touristinnen zu übersetzen. Dabei sind wir durch die Dünen geritten und durch eine seichte Lagune und haben dann an einer kleinen Hütte am Meer gerastet. Deshalb hat es mich auch für das Praxissemester wieder nach Brasilien gezogen. Brasilien ist unglaublich facettenreich und wenn das Brasilien-Fieber einmal zugeschlagen hat, kommt man davon schwer wieder los…

Schlagworte
Brasilien Gestüt Pferd Südamerika Gangpferde Pferdewirtschaft
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