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Wikinger, Rhabarber und Schafe | Auslandserfahrungen im Agrarbereich

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Wikinger, Rhabarber und Schafe
Map-Nr.:

15893

Titel:

Wikinger,​ Rhabarber und Schafe

Beschreibung:

Leonardo

 Im Frühling dieses Jahres entdeckte ich an meiner alten Hochschule (Hochschule Anhalt in Bernburg) Werbung für das EU-Stipendienprogramm "Leonardo Lebenslanges Lernen". Dieses bietet landwirtschaftliche Praktika für Absolventen der Agrarwissenschaften und verwandter Studiengänge sowie für Personen mit abgeschlossener landwirtschaftlicher Lehre an. Es besteht die Möglichkeit nach Spanien, Island, Zypern, Schottland, England, Irland oder in die Slowakei zu gehen.

Ich war sofort hellauf begeistert, denn mich reizte die Vorstellung, gleichzeitig Auslands- und Arbeitserfahrung sammeln zu können. Nach Absprache mit meinem Freund, der ebenfalls sehr erfreut über das Praktikumsangebot war, entschieden wir uns für Island, denn uns gefiel die angebotene Arbeit (Rhabarberernte und -verarbeitung) und die Möglichkeit, dieses „exotische" europäische Land kennenlernen zu können.

 

Vorbereitung

Anfang April setzten wir uns mit dem Anbieter der Praktika in Verbindung, dem "Bildungshaus Heideland HVHS" (Projektbetreuer: Peter Kaiser). Es wurde uns gesagt, dass wir alle notwendigen Dokumente (Abschlusszeugnis des Studiums, in unserem Fall des Masters Food and Agribusiness) einreichen müssen und uns möglichst bei der betreuenden Familie in Island per Mail vorstellen sollten. Dies taten wir und wurden glücklicherweise sofort in das Stipendienprogramm aufgenommen.

Nachdem Herr Kaiser für uns Hin- und Rückflug buchte, trafen wir uns noch persönlich mit ihm, um alles Organisatorische abzusprechen. Er zeigte uns Fotos von Island, erläuterte uns die Kultur (Isländer essen zum Beispiel gern getrockneten Fisch und Lakritze; die Lebensmittel sind teurer als in Deutschland, da Vieles importiert werden muss; und die Isländer sind sehr zutraulich, d.h. in ländlichen Gebieten schließen die Leute selten Haus und Autos ab), sprach über die Wetterbedingungen (Sommer bedeutet maximal 18°C), und erläuterte die Arbeiten auf der Farm, auf der wir in den nächsten 6 Wochen leben wollten. 

Außerdem erklärte er uns, welche Verkehrsmittel wir nutzen konnten (öffentlicher Nahverkehr) um zur Farm zu gelangen und gab uns im Tausch für Euro Isländische Kronen, sodass wir am ersten Tag unserer Ankunft nicht sofort am Flughafen für überteuerte Wechselkurse tauschen mussten. Da die meisten Isländer sehr gut Englisch sprechen können (englische und amerikanische Fernsehserien werden dort nur mit isländischem Untertitel gezeigt), brauchten wir keinen isländischen Sprachkurs zu besuchen. Am Ende unterschrieben wir den Stipendienvertrag (der auch eine Auslandskrankenversichung umfasste) und freuten uns auf die von der EU finanziell unterstützte Reise.

 

Löngumyri

Nun aber mal zu unserer Praktikumsstelle: Wir waren auf der Farm "Löngumyri", diese befindet sich in der Nähe von der Stadt Selfoss und wird von Kjartan Agustsson (Isländer) und Dorothee Lubecki (eine Deutsche, was für uns sehr praktisch war) betrieben. Sie gelten als größte Rhabarberanbauer in Island. Bereits Kjartans Großvater hat auf der Farm Rhabarber angebaut. Seit 2008 wird der Rhabarber gewerblich genutzt - nach der erfolgreichen Umsetzung eines Entwicklungsprojekts der isländischen Kunsthochschule und dem Bau eines Verarbeitungshauses.

Während unseres Aufenthalts auf der Farm arbeiteten drei weitere Praktikanten (zwei Deutsche und eine Französin) dort, zu denen wir schnell Anschluss fanden. Angesichts des sehr ländlichen Charakters von Island (die Farmen liegen minimal einen Kilometer voneinender entfernt, und bis zur nächsten Stadt können schonmal mehr als 100 Kilometer liegen) war es sehr gut, dass noch andere Personen dort arbeiteten. Wir arbeiteten meist 7 Stunden pro Tag, von 9 bis 17 Uhr mit zwei Pausen) Neben der Rhabarberernte direkt auf dem Feld (Herausdrehen der Stangen, Abknicken der Blätter und Liegenlassen auf dem Boden als natürlicher Dünger) halfen wir auch bei der Verarbeitung. Jährlich werden ca. 10 Tonnen Rhabarber geerntet, einmal Mitte Juli und nochmals Anfang September.

Es gibt 3 Verarbeitungslinien:

1. frische, gewaschene Rhabarberstangen für Märkte

2. geschälter Rhabarber, der in einer Schneidmaschine in kleine Stücke geschnitten (0,5 x 0,5cm) und gefriergetrocknet wird; diese Stücke werden dann in Karamell eingemischt – das noch flüssige Karamell wird in Silikonformen eingefüllt, wenn es fest ist, wird es verpackt (3 Varianten: Karamellbonbons, kleine und große Karamellstangen)

3. ungeschälter, einmal in der Mitte durchgeschnittener Rhabarber, der in einer anderen Schneidmaschine in Stücke geschnitten wird (2-3cm große Stücken); diese Stücke werden in Säcke abgefüllt und gefrostet – sie werden zum einen an eine Marmeladenfabrik geliefert und zum anderen für die farmeigene Marmeladeproduktion verwendet (2 Sorten: Rhabarber mit Erdbeeren und Ingwer; Rhabarber und Blaubeeren). Ca. 2 Tonnen des Rhabarbers werden für die farmeigene Verarbeitung genutzt.

Neben den Rhabarberprodukten werden auf der Farm auch gebrannte Mandeln, Fichtensirup und Löwenzahnsirup hergestellt. Bei der Mandelproduktion durften wir ebenfalls mitwirken. Nach Herstellung der Rhabarberkaramellen und der gebrannten Mandeln verpackten wir diese.

 

Arbeit

Rund um die Farm gibt es ca. 300 Schafe auf den farmeigenen Weideflächen – zum einen wird Lammfleisch verkauft und zum anderen Wolle. Ein paar Mal haben wir geholfen, die Schafe zusammenzutreiben, denn im Sommer werden sie mittels Traktor und Hänger ins Hochland gebracht, damit auf den Farmflächen das Gras gedeihen kann, um daraus Heu für den Winter zu gewinnen. Lämmer, denen nicht ausreichend Muttermilch zur Verfügung stand, fütterten wir mit Milch aus Milchpulver. Eine weitere Aufgabe bestand darin, den Garten und das Gewächshaus zu pflegen, d.h. von Unkraut zu befreien, wässern und Früchte/Gemüse ernten. Natürlich fehlten auf der Farm auch keine Haustiere - dort leben Pferde, zwei Hunde, Katzen, Kaninchen, Hühner und Gänse. Auch zwei Bienenstöcke werden umsorgt. Zudem gibt es auf dem Farmgelände eine Anpflanzung von Bäumen, die zukünftigen Generationen dienen kann.

 

Land und Leben

Kjartan und Dora haben uns sofort in ihr Familienleben integriert. Zu den Mahlzeiten saßen wir häufig zusammen. Abends wurde gemeinsam gekocht. Verständigt haben wir uns auf Englisch, wodurch man seine Kenntnisse gleich noch aufbessern konnte. Mit Dora konnten wir aber auch Deutsch reden. Kost und Logis waren inklusive. Wir kamen in voll ausgestatteten Bungalows (Tisch, Stühle, Regal, Couch, Betten) unter, die neben dem Wohnhaus stehen.

An den Wochenenden durften wir uns das Auto der beiden nehmen und konnten so die Insel erkunden. Wir haben uns natürlich die typischen Touristenattraktionen wie Gulfoss (Wasserfall), Geysir (heiße Quelle), Pingvellir (Wikingerparlament), Blue Lagoon (Badeparadies) und Reykjavik (wo wir auch die Diskotheken erkundet haben), aber auch weniger bekannte Orte wie den schwarzen Strand von Vik (Stadt), Vestmannaeyjar (Insel), Jökulsarlon (atemberaubender Gletschersee), Dettifoss und Skogafoss (Wasserfälle), das "bunte "Gebirge" Landmannalaugar oder Hlodaklettar (ungewöhnliche Felsformation). Island ist sehr kontrastreich zu Deutschland und ich kann nur jedem empfehlen, dort einmal hinzufahren.

 

Berge...

Eine meiner lustigsten Erfahrungen in Island hatte mit einer Wanderung während unserer Freizeit zu tun. In der Nähe der Farm gab es einen Berg, der für uns visuell subjektiv nahe gelegen war. Also entschieden mein Freund und ich uns, dorthin zu wandern. Dabei liefen wir an Schafen und Pferden vorbei, kletterten über Weidezäune (Achtung Stromschlaggefahr, deshalb vorher mit einer Jacke o.Ä. isolieren) und durchquerten viele Wiesen und einige zum Glück nicht mit Wasser gefüllte Gräben.

Nach einer Stunde unterwegs war uns der Berg aber leider noch nicht viel näher gekommen. Wir gaben aber nicht auf und gingen weiter. Nach geschlagenen 2,5 Stunden kamen wir endlich am Fuß des Berges an. Dort dachten wir, wenn wir schon so weit gegangen sind, können wir auch noch hochklettern. Dies taten wir und wurden mit einer wunderbaren Aussicht verwöhnt.

Außerdem konnten wir so nach Straßen in der Nähe Ausschau halten. Wir waren nämlich so geschafft, dass wir mit dem Gedanken spielten ein Auto anzuhalten was uns mitnahm. Wieder unten angekommen, liefen wir zu einer nahe gelegenen Straße und warteten. Und wir hatten wirklich Glück: Nach 15 Minuten kam ein Auto vorbei und eine Frau nahm uns mit, weil sie in Richtung unserer Farm fuhr. In Island ist es nicht so ungewöhnlich, per Anhalter zu reisen, deshalb hatten wir keine Bedenken. Nachdem wir ein paar Minuten mit der Frau erzählt hatten, stellte sich heraus, dass sie Dora kennt, was wirklich lustig war. Denn Dora hatte, als sie das erste Mal nach Island kam, auf der Farm der Frau ein Praktikum absolviert. Wie klein Island doch ist. Und wie oft sich die Geschichte wiederholt ;o)

 

Kosten

Für die 6 Wochen Islandaufenthalt entstanden Kosten von etwa 1200 Euro. 280 Euro davon gaben wir für Hin- und Rückflug aus. Glücklicherweise bekamen wir durch das Stipendium 900 Euro pro Person für den gesamten Aufenthalt. Somit hatten wir einen sehr geringen Eigenkostenanteil.

 

Fazit

Durch den Auslandsaufenthalt in Island konnte ich meine Erfahrungen im Bereich der Landwirtschaft sowie der Lebensmittelverarbeitung sehr gut ausbauen. Mein Studium des Agribusiness vermittelte mir zwar Grundlagen, aber durch das Praktikum auf Löngumyri konnte ich Praxiserfahrung sammeln und mein Wissen erweitern. Außerdem förderte das Praktikum die Anwendung meiner englischen Sprachkenntnisse und die Integration in eine fremde Kultur.

Der Auslandsaufenthalt wird meiner Meinung nach großen Einfluss auf mein weiteres berufliches und privates Leben haben. Um eine Arbeitsstelle zu finden, kann ich nun Praxiswissen der Landwirtschaft sowie Bereitschaft zur Integration in andere Kulturen bzw. generelle Aufgeschlossenheit für alles Neue vorweisen. In privater Hinsicht bin ich reifer im Umgang mit fremden Menschen, habe neue Freunde dazu gewonnen und bin allen Veränderungen gegenüber aufgeschlossen.

Schlagworte
Farm Marmelade Rhabarber Island Schafe Karamell Bonbons
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