Etliche Redner bezweifelten am Mittwoch die offizielle Einschätzung der EU-Behörden für
Lebensmittelsicherheit (EFSA) und für Chemikalien (ECHA), wonach
Glyphosat nicht krebserregend sei.
Wissenschaftler vertraten nämlich genau die entgegengesetzte Ansicht: Sie wiesen in Brüssel als geladene Sachverständige auf eine Krebsgefahr des Mittels hin. «Wir machen uns wirklich Sorgen, wenn es bei einem Thema so unterschiedliche Meinungen und Auffassungen gibt», sagte der slowenische Christdemokrat Alojz Peterle.
Zuvor hatte Professor Christopher J. Portier von der Universität Maastricht «schwere Bedenken» hinsichtlich der positiven Glyphosat-Bewertung von
EFSA und ECHA geäußert. Sie hätten Daten der Industrie ungeprüft übernommen und sich nicht mit allen einschlägigen Forschungsergebnissen befasst. «Es gibt keine Bewertung, die alle Tumore diskutiert hätte», sagte Glyphosat-Kritiker Portier über Tests an
Ratten und Mäusen. Die Behörden sollten das neu bewerten.
Die Toxikologin Kate Guyton von der Internationalen Krebsforschungsagentur IARC erklärte, ihre Organisation habe nur begrenzte Beweise für eine Kanzerogenität von Glyphosat bei Menschen gefunden, aber ausreichende Beweise bei Tieren. Die Einrichtung der
Weltgesundheitsorganisation habe den Stoff deshalb als «wahrscheinlich kanzerogen bei Menschen» klassifiziert.
Zur Aussagekraft von Studien, die von der Industrie finanziert wurden, sagte Guyton: «Bei finanziellen Interessen fehlt oft die Objektivität.» Die Expertin Carey Gillam von der US-Organisation «The Right to Know» sprach von «Industriepropaganda». Sie hält es für erwiesen, dass der Chemiekonzern
Monsanto bei Glyphosat «eine lange Geschichte des Betrugs und der Verschleierung» geschrieben habe.
EFSA-Referatsleiter José Tarazona verteidigte hingegen die positive Bewertung des Mittels, in die ganz regulär auch Studien der Industrie eingeflossen seien. «Man hat also festgestellt, dass Glyphosat nicht krebserregend ist», fasste der EU-Beamte Tarazona zusammen.
«Wie kann es sein, dass nur EFSA anderer Meinung ist?», fragte der französische Sozialist Eric Andrieu. Der Abgeordnete beklagte wie andere Teilnehmer der Anhörung, das deutsche Bundesinstitut für
Risikobewertung (
BfR) habe die Einladung nach Brüssel ausgeschlagen. Wieder stand der Vorwurf im Raum, die deutsche Behörde habe in ihrer Glyphosat-Bewertung bei der Industrie abgeschrieben.
Die Ratlosigkeit wuchs. Obwohl der EFSA-Vertreter Tarazona immer wieder die Transparenz der Behördenarbeit hervorhob, beklagten Abgeordnete eine Undurchschaubarkeit der Prozesse. Die Sozialdemokraten im Europaparlament forderten, die
EU-Kommission müsse erst völlige Klarheit über die Monsanto-Papiere schaffen, bevor sie die Zulassung von Glyphosat wie geplant verlängere.
Britische Abgeordnete scherzten, einer sagte: Wenn es ums Krebsrisiko gehe, müsse man auch verkohltes Toastbrot oder manche Haargels verbieten. Und der
Landwirt John Stuart, Abgeordneter der Brexit-Partei Ukip, verkündete: «Ich sehe doch sehr gesund aus, obwohl ich 30 Jahre mit Pflanzenschutzmitteln umgegangen bin - und auch mit Glyphosat.»
Die Toxikologin Guyton erklärte Stuart geduldig, dass eine potenzielle Gefahr nicht in jedem Fall zur Erkrankung führe: Raucher hätten ein zehnfaches Risiko, an Krebs zu erkranken, aber nicht jeder Raucher bekomme deshalb auch wirklich Krebs.
Der CSU-Abgeordnete und Landwirtschaftsmeister Albert Deß aus der Oberpfalz setzt da lieber auf Risikovermeidung: «Als Landwirt möchte ich sagen, dass wir auf unserem
Betrieb kein Glyphosat einsetzen und dafür auch keine Notwendigkeit besteht.»
Bundeslandwirtschaftsminister
Christian Schmidt, ein Parteifreund von Deß, solle in Sachen Glyphosat «endlich Farbe bekennen», forderte Niedersachsens
Agrarminister Christian Meyer von den Grünen. Dessen Parteifreund
Harald Ebner wiederum will die Entscheidung am liebsten verschieben. Der Bundestagsabgeordnete forderte Schmidt auf, sich in Brüssel dafür einzusetzen, «dass über Glyphosat erst entschieden wird, wenn die neue Bundesregierung steht».