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09.03.2013 | 07:26 | Schlachthofarbeit 

Streit um Lohndumping in Fleischbranche

Berlin - Morgens in einer Kleinstadt in Niedersachsen: Über ein Dutzend Rumänen zwängen sich in einen Kleintransporter, ihr Ziel ist der örtliche Schlachthof.

Schlachthofmitarbeiter
(c) proplanta
Dort schneiden sie für vier bis sechs Euro je Stunde Schweine auseinander, ständig unter Druck und in Sorge, den Job zu verlieren, bis es abends in die engen Unterkünfte zurückgeht. So jedenfalls schildert Detlef Kolde die Situation vieler Schlachthof-Mitarbeiter in seiner Heimatgemeinde. «Die Menschenwürde hört am Schlachthof auf», sagt der Polizist.

Die Rumänen sind über einen Werkvertrag beschäftigt - aus Sicht von Gewerkschaften das neueste Schlupfloch für Unternehmer, um Löhne zu drücken und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Die Arbeitgeber sehen darin dagegen ein bewährtes Instrument der arbeitsteiligen Produktion. Der Streit hat inzwischen die Bundespolitik erreicht. Die Bundesregierung werde ein Auge darauf haben müssen, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kürzlich angekündigt.

Kolde - kräftige Hände, rötliches Gesicht, kariertes Hemd - sitzt im Kreistag in Cloppenburg. Ihn beschäftigt das Thema schon lang. 800 Werkvertragsarbeiter lebten in seiner nahe gelegenen 8000-Einwohner-Gemeinde. «Wir haben nichts gegen diese Menschen», hebt der Kriminalbeamte hervor. «Es ist eine Sauerei, wie mit ihnen umgegangen wird.» Er spricht von der Kehrseite der Lebensmittelskandale im sozialen Bereich.

Einen Werkvertrag haben die meisten Menschen schon einmal abgeschlossen - zum Beispiel, wer sein Auto in die Werkstatt bringt. Der Auftrag für ein definiertes «Werk» geht an eine Fremdfirma. Leiharbeit ist etwas anders: Ein Unternehmen erhält von der Zeitarbeitsfirma einen Mitarbeiter auf Zeit und setzt ihn nach seinen Erfordernissen ein. Grundsätzlich hat er die gleichen Rechte wie die Stammbelegschaft.

Laut Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten haben Betriebe die Werkverträge für sich entdeckt, seit Mindestlöhne für Leiharbeiter gelten. Um Kosten zu senken, holen sie sich massenhaft Beschäftigte aus Ungarn, Rumänien und Polen ins Haus. Sie schuften dann unter Arbeitsverträgen nach dem Recht ihrer Heimatländer teils für 3,50 bis 4,50 Euro pro Stunde. «Das ist ein neues Modell der Ausbeutung», sagt Gewerkschafts-Vize Claus-Harald Güster. Auch die IG Metall hatte schon gegen das Instrument Front gemacht.

Nach einer NGG-Umfrage unter Betriebsräten gibt es in der Ernährungsindustrie mit acht Prozent der Beschäftigten inzwischen mehr Werkvertragsarbeitnehmer als Leiharbeiter (fünf Prozent). Werkvertragsmitarbeiter sortierten Leergut in Getränkebetrieben, reinigten Molkereien und verpackten Brot in Bäckereien.

Dass der Anteil gerade in Schlachtbetrieben hoch sei, gibt die Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss zu. Das sei aber übliches unternehmerisches Handeln, ein alter Hut. Bei der Tarifbindung gebe es aber noch zu tun, sagt Hauptgeschäftsführerin Valerie Holsboer. Scheinwerkverträge seien jedoch schon nach geltendem Recht verboten, hebt die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände in einer Stellungnahme hervor und warnt vor Verschärfungen.

SPD und Linkspartei haben im Bundestag Anträge eingebracht, die zur Folge hätten, dass Arbeitnehmer mit Werkverträgen als Leiharbeiter anzusehen sind - und damit Anspruch auf den entsprechenden Mindestlohn hätten. Die schwarz-gelbe Koalition verteidigt jedoch den Werkvertrag und warnt davor, ehrliche Handwerker in die Schmuddelecke zu stellen. Denn auch den Neuanstrich einer Fabrikhalle erledigt der Maler per Werkvertrag.

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband empfiehlt seinen Mitgliedern, von seinen Subunternehmen Tariftreueerklärungen zu verlangen. Kontrollieren könne ein Hotel das aber nicht, schon aus Datenschutzgründen. «Das ist Aufgabe der Behörden, insbesondere der Finanzkontrolle der Schwarzarbeit.» Das hält Detlef Kolde für unzureichend. «Viele Werkvertragsmitarbeiter müssen verschwinden, wenn der Zoll kommt.» Bevor die Beamten vom Pförtner in die Schlachtung gelangen, seien die Beschäftigten weg - zur Not versteckt im Kühlhaus. (dpa)
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