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22.04.2017 | 07:05 | Milchexport 

Milchbauern hoffen auf Export

Rothenacker - Wenn sich das Melkkarussell für knapp 1.000 Kühe dreht, dann haben nicht nur die Tierwirte alle Hände voll zu tun. Auch Rabbiner Jehuda Lowinger hat sich einen Kittel übergezogen.

Exportmilch
Deutsche Milchbauern produzieren mehr Milch als hierzulande konsumiert wird. Deswegen werden stets neue Wege für den Export gesucht. Mancher Bauer hat dafür koschere Milch für sich entdeckt. (c) proplanta
Mit Schläfenlocken, Bart und Kippa steht er am Melkstand der Güterverwaltung Rothenacker in Ostthüringen.

Lowinger prüft, ob der Tank vorschriftsgemäß gereinigt ist, und begutachtet mit kritischem Blick die Kühe. Lowinger steht dafür ein, dass die hier gemolkene Milch koscher ist - also den jüdischen Speisevorschriften entspricht.

Besonders in Zeiten niedriger Erlöse für Milchbauern wird immer wieder die Forderung nach einer Stärkung des Exports laut. Eine Variante dabei ist koschere Milch etwa für Israel und den US-Markt.

«Deutschland als Gunststandort produziert mehr Milch, als wir konsumieren können», erklärt der Außenhandelsexperte des Milchindustrie-Verbandes, Björn Börgermann. «Wir sind auf Ausfuhren angewiesen.»

Wie hoch der Anteil an koscher produzierter Milch hierzulande ist, vermag Börgermann nicht zu sagen. Das werde statistisch nicht erfasst. Doch die Nachfrage ist dem Verband zufolge da. Insgesamt bleibt das Geschäft eine Nische - aber Landwirte in Deutschland haben in den letzten Jahren wegen niedriger Preise viele neue Möglichkeiten gesucht. Die Export-Union für Milchprodukte listet im Internet 18 Molkereien in Deutschland, die koschere Milch verarbeiten.

Dazu gehört die Käserei Champignon mit Standorten in Bayern und Sachsen. Sie veredelt auch die Milch aus Rothenacker. Von einer «Kampagnenproduktion» spricht Geschäftsführer Dirk Streiber. Dabei schwanke die Menge, die angeliefert und verarbeitet werde, stark.

Der Großteil der Milch werde zu Milchpulver verarbeitet und dann in der Lebensmittelindustrie zur Herstellung von Schokolade, Babynahrung oder Eis verwendet, erklärt Streiber. Doch was unterscheidet koschere Milch von herkömmlicher Milch?

In Rothenacker fängt das bei den Tieren an. «Alle operierten Tiere haben ein Jahr Milch-Sperre», erklärt Vorstandschef Stefan Kühne. «Die Milch von Kühen, die am Labmagen operiert wurden, darf gar nicht mehr verwendet werden.» Deswegen würden solche Tiere separat gemolken.

Außerdem dürfen in der Nähe keine Tiere gehalten werden, die nach jüdischer Sitte unrein sind wie etwa Schweine. Damit nicht doch eine Vermischung mit anderer Milch vorkommt, werden die Tanks stets gereinigt und versiegelt - und das Ganze von Rabbi Lowinger oder einem Kollegen überwacht. Wenn sie beim Melken nicht dabei sind, etwa am Sabbat, dann ist die Milch nicht koscher und geht in die herkömmliche Verarbeitung.

Auch auf die weiteren Arbeitsschritte im sächsischen Freiberg werfen Rabbiner ein kritisches Auge. «Die Produktion und Verarbeitung von koscherer Milch zeichnet sich durch einen sehr streng reglementierten und genauestens überwachten Prozess aus», erklärt Molkerei-Chef Streiber. Dazu müssten alle Anlagen spezielle Reinigungsvorgänge durchlaufen und gebe es feste Ruhezeiten.

«Koschere Produkte sind ein wachsender Markt für die Lebensmittelindustrie», sagt der Koscher- und Halal-Beauftragte der Uelzena-Gruppe in Norddeutschland, Wolf-Dieter Borawitz. Auch sein Unternehmen stellt unter anderem an vier von fünf Standorten koscheres Milchpulver, Butter und Butterfett her. Allerdings nicht so streng reglementiert wie bei Streiber.

«Koscher ist nicht gleich koscher», betont Borawitz. Vielmehr gebe es bei Milchprodukten drei Abstufungen. Bei «kosher dairy» etwa, wie es Uelzena praktiziere, sei kein Rabbiner erforderlich, der die Produktion beim Landwirt überwache.

Da Bauern bei dieser Variante kein erkennbarer Mehraufwand entsteht, gibt es von Uelzena hierfür kein besonderes Entlohnungssystem. Die Käserei Champignon schweigt sich über Zahlen zu Lieferanten koscherer Rohmilch aus. Streiber sagt aber, dass der besondere Aufwand «entsprechend vergütet» werde.

«Das ist ein kleines Zubrot», berichtet Landwirt Kühne und spricht von etwa 50.000 Euro zusätzlich im Jahr. 2016 konnte das «Zubrot» freilich bei weitem die Einbußen durch den insgesamt niedrigen Milchpreis nicht wettmachen.

Mittlerweile haben sich die Milchpreise wieder erholt. Aber rund eine halbe Million Euro habe der Verlust in der Milchproduktion in seinem Unternehmen im vergangenen Jahr betragen, sagt Kühne. Pro Jahr liefert es etwa 9,6 Millionen Liter an die Molkerei. Der 58-Jährige schätzt, dass davon inzwischen 50 bis 60 Prozent koscher sind.
dpa
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