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17.06.2011 | 22:00 | Atomenergie 

Vor 50 Jahren floss der erste deutsche Atomstrom

Karlstein/Berlin - Inzwischen ist Gras über die Sache gewachsen. Wo am 17. Juni 1961 der erste deutsche Atomstrom für die Verbraucher produziert wurde, sprießt heute im unterfränkischen Karlstein am Main nur noch eine grüne Wiese.

Atomenergie
(c) proplanta
Nach nur 29 Monaten Bauzeit war das Versuchsatomkraftwerk Kahl (VAK) an der Grenze zu Hessen ans Netz gegangen und lieferte vor genau 50 Jahren erstmals Strom. Es herrschte Euphorie, die Regierung hatte darauf gedrängt, dass die Industrie in die Atomstromproduktion einsteigt. Mit weit über 100 Milliarden Euro wurde die Atomkraft bis heute subventioniert. Von 1955 bis 1962 gab es ein Ministerium für Atomfragen, das schließlich im Bundesforschungsministerium aufging.

Wie groß die Atombegeisterung in Karlstein war, wird bis heute beim Blick auf das Stadtwappen deutlich: Oben ist ein spätgotisches Kreuz zu sehen, unten das Atomsymbol - um einen roten Kern verlaufen drei blaue Elektronenbahnen. Damals sagte man noch stolz «Atomkraftwerk», bevor die Energiebranche nach Tschernobyl lieber auf den etwas neutraleren Begriff «Kernkraftwerk» wechselte.

Bei der Feier zum Rückbau des Siedewasserreaktors im Oktober 2010 war RWE-Power-Vorstand Gerd Jäger noch ganz hoffnungsfroh. «Es wäre wünschenswert, wenn auch heute der Ehrgeiz zum Gestalten und der Spaß am Gelingen wieder die Oberhand bekämen über reines Verhindern und ängstliches Beharren», sagte der drahtige Manager zu den Gästen.

Jäger drückte damit seine Hoffnung auf eine lange Zukunft der Kernenergie in Deutschland aus. Das VAK sei sowohl im Betrieb als auch beim Rückbau beispielgebend in Deutschland. RWE hielt 80 Prozent an dem Meiler, die Bayernwerke (heute Eon) 20 Prozent. Das erste deutsche Atomkraftwerk war im Mai 2010 mit Abschluss des Abrisses aus dem Atomgesetz entlassen worden.

Auch Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) war an den Main gekommen, um den erfolgreichen Abriss des Kraftwerks zu würdigen, das am 25. November 1985 planmäßig abgeschaltet worden war. Söder konnte da so wenig wie Jäger wissen, dass weitere Rückbaufeiern schneller kommen werden, als alle damals noch dachten. Aber im vergangenen Herbst lieferte Fukushima I in Japan auch noch massenhaft Atomstrom.

Der kleine gelbe Atommeiler in Karlstein erzeugte mit der 16-Megawatt-Anlage in 25 Betriebsjahren mehr als zwei Milliarden Kilowattstunden Energie. Zum Vergleich: Heutige Atomkraftwerke wie Isar II haben eine Nennleistung von über 1480 Megawatt. Das VAK diente vor allem dazu, Erfahrungen mit der Technik zu sammeln und Personal zu schulen.

«Eine besondere Herausforderung stellte die Beschaffung der Brennelemente für das VAK dar», heißt es in einer Publikation über den «Pionier der deutschen Kernenergie». So hatte zwar das 1957 in Washington unterzeichnete Abkommen zwischen der Bundesrepublik und den USA die zivile Nutzung der Kernenergie prinzipiell ermöglicht.

Aber erst 1960 kam es mit den USA zu einem Vertrag über den Kauf von 100 Brennelementen. Der Transport von 50 Behältern mit je zwei Brennelementen erfolgte mit einem US-Schiff, da kein deutscher Reeder die Fracht haben wollte. Vom Hafen Nordenham an der Wesermündung ging es per Zug nach Karlstein. Führende Wissenschaftler stellten damals die Wirtschaftlichkeit von Atomstrom infrage.

Kein AKW in Deutschland könne jemals mit einem Kohlekraftwerk konkurrenzfähig sein, hieß es. Doch dank staatlicher Alimentation - wie heute auch bei den erneuerbaren Energien - kam es gerade während der Regierungszeit von SPD-Kanzler Helmut Schmidt (1974-82) zu einem AKW-Bauboom, damalige Energiekonzepte sahen Dutzende neue Meiler in Deutschland vor. Das letzte Atomkraftwerk ging mit der RWE-Anlage Emsland im niedersächsischen Lingen 1988 ans Netz. 2022 soll nun für die letzten Meiler definitiv Schluss sein.

Die sichtbaren Spuren der Atomkraft dürften aber nicht vor 2040 verschwunden sein. Und im noch zu findenden Endlager werden die hoch radioaktiven Reste Millionen Jahre vor sich hinstrahlen. Atomstrom ist nur deshalb so billig, weil Folgekosten nicht eingepreist sind.

Atomkraftwerke lassen sich nicht einfach zurückbauen, pro AKW kostet das meist mehr als 500 Millionen Euro. Beim kleinen Meiler Kahl waren es 150 Millionen Euro. Das Innere des Reaktors musste per Fernsteuerung zerlegt werden, zur Lagerung von AKW-Teilen musste eigens eine Mehrzweckhalle gebaut werden.

Von 1992 bis 2010 dauerte es, bis alle Gebäude und Fundamente in bis zu vier Metern Tiefe abgerissen waren. Dann wurde eine Wiese eingesät. Laut RWE gibt es keine erhöhten Strahlenbelastungen auf dem weitläufigen Gelände. Das bleibende Erbe des VAK sind aber viele Tonnen radioaktiver Müll. (dpa)
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