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28.09.2015 | 07:43 | Abfallpolitik 

Eine Kleinstadt verabschiedet sich von der Plastiktüte

Billerbeck - «Schau Schatz, ich habe dich nie geliebt», hat Josef Leifeld auf eine Postkarte gekritzelt. Doch statt für Tränen sorgt dieser bittere Abschiedsgruß in der münsterländischen Kleinstadt Billerbeck an diesem Tag für große Heiterkeit.

Keine Plastiktüten mehr in Billerbeck
Oft werden sie nur einmal benutzt und dann weggeworfen: Plastiktüten sind ein großes Umweltproblem. Eine Kleinstadt im Münsterland hat ihnen den Kampf angesagt. Gesetzt wird auf schräge Aktionen statt des erhobenen Zeigefingers. (c) proplanta
Sogar Applaus erntet der grauhaarige Mann, als er sein Lebewohl vorträgt. Denn: Es ist gerichtet an seine allerletzte Plastiktüte.

Von diesem Tag an soll Schluss sein mit dieser Umweltsünde. Dieses Versprechen jedenfalls hat Leifeld dem rundlich-freundlichen Mann mit dem riesigen Zylinder auf dem Kopf gegeben. Und der muss es ernst meinen, hat er sich doch eben noch als «Mr. Unplastic» vorgestellt. In der riesigen Stofftüte vor seinem Bauch sollen alle Plastiktüten des rund 11.000-Seelen-Ortes landen - auf Nimmerwiedersehen.

Der Mann hat eine Mission auf seinem Weg von Tür zu Tür: Billerbeck von der Plastiktüte zu befreien. Erfunden haben den Anti-Plastiktütenmann der Künstler Thomas Nufer und der Projektentwickler Dirk Schubert. «Die meisten wissen ja, wie viel Plastikmüll in unseren Meeren schwimmt», sagt Nufer. «Dass sie auch wirklich umdenken und ihre Gewohnheiten ablegen, erreicht man nur mit Humor und Irritation.» Ein erhobener Zeigefinger oder gar Verbote helfen nicht weiter, finden die beiden Initiatoren.

Umweltinitiativen kämpfen diesen Kampf schon lange, geht es doch um jede Menge vermeidbaren Müll. «Wie wir an der Stelle mit Ressourcen umgehen, ist bedenklich», sagt Abfallpolitik-Experte Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe und rechnet vor: Allein für Plastiktüten verbrauchten die Deutschen jährlich 68.000 Tonnen Kunststoff - dafür wird Rohöl benötigt, jede Menge klimaschädliches CO2 fällt an.

Dass es Alternativen gibt, wollen auch die Anti-Plastiker in Billerbeck vorführen: Seit 2013 sind sie bereits in Gesprächen mit dem Einzelhandel, haben Geschäft für Geschäft auf ihre Seite geholt. Sogar mit den sonst bei der Tütenfrage so schwer zu überzeugenden Discountern sei man in hoffnungsvollen Gesprächen.

Es gibt großformatige Banner in der Innenstadt, auf denen Billerbecker von der Käseverkäuferin bis zur Bürgermeisterin ihre Stimmen gegen die Kunststofftüte erheben. Umweltpädagogische Workshops an den Schulen sind geplant. Zum Weihnachtsgeschäft sollen über die Einzelhändler Tausende Mehrwegtüten verteilt werden. Auch die Abschiedsbriefe, die Mr. Unplastic sammelt, werden ausgestellt.

Die Deutsche Umwelthilfe ist angetan von dem Modellprojekt und sieht Billerbeck als Teil vieler kleiner Schritte in einem bundesweiten Trend. Einzelne Handels-Ketten zeigen schon ein Umdenken: So will der Textildiscounter KiK ab Oktober nur noch Baumwollbeutel und Mehrwegtaschen ausgeben. Adidas plant, auf Plastiktüten in seinen Läden zu verzichten. In vielen Drogeriemärkten sind zumindest die kostenlosen Tütchen inzwischen verschwunden.

Fischer lobt zudem das Engagement in vielen Kommunen und Landkreisen gegen die Kunststoffverschwendung. Von Kiel bis an den Starnberger See gebe es gute Ansätze. Auch in Billerbecks Nähe in Recklinghausen hat der Stadtrat vergangenes Jahr den Beschluss gefasst, plastiktütenfreie Kommune zu werden. Doch Plastiktüten gehen bislang trotzdem reichlich über den Ladentisch. «Wann immer der Plastiktütenverzicht erfolgreich und nachhaltig sein soll, ist es ganz wichtig, dass Einzelhändler und Verwaltung an Bord sind. Man kann nicht nur beim Verbraucher ansetzen», sagt Umweltschützer Fischer.

So gibt es auch in Billerbeck Hürden: Linus Lammerding etwa, Inhaber eines traditionsreichen Modehauses in der kleinen Fußgängerzone, macht vorerst nicht mit. Er habe lange vor der Aktion einen Zwei-Jahres-Vorrat an Plastiktüten bestellt. Auch wenn er von der Grundidee überzeugt sei, wolle er Kunden so bedienen, wie sie es wünschten. «Wenn es draußen regnet, verlange ich doch von keiner Kundin, ihre neue Kleidung über dem Arm nach Hause zu tragen», sagt Lammerding.

Und jeder Auswärtige, der seinen Spontankauf in der Modehaus-Tüte nach Hause trage, mache immerhin Werbung über die Stadtgrenzen hinaus. Trotzdem will der Unternehmer seine Stadt auch in Sachen Plastiktütenfreiheit unterstützen - demnächst zumindest: «Bei der nächsten Tütenbestellung steige ich auf Papier um.»
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