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16.08.2012 | 15:10 | Naturkatastrophen 

Jahrhundertflut vor 10 Jahren: Wie ein Dorf von der Landkarte verschwand

Röderau - Das Hochwasser ist längst verschwunden - und mit ihm die ganze Siedlung Röderau-Süd. In den Köpfen der Menschen aber hat die Jahrhundertflut vom August 2002 tiefe Spuren hinterlassen.

Flut
(c) proplanta
Über der kurz gemähten Wiese flirrt die Sommerhitze, Grillen zirpen, von der nur nahen Bundesstraße dringt Autorauschen herüber. Eine asphaltierte Straße endet mitten im Nirgendwo. Hier, in Röderau-Süd bei Riesa, lebten einst rund 400 Menschen, zahlreiche Wohn- und Geschäftshäuser standen in idyllischer Lage nahe der Elbe - bis die Flut im August vor zehn Jahren kam.

Auch Martina Georgi kann sich noch gut erinnern, als nach heftigem Regen am 16. August der Elbdamm brach und die Siedlung nahezu komplett überschwemmt wurde. Der Pegelstand im Ort erreichte mehr als zwei Meter, nur die Dächer schauten noch aus den braunen Fluten.

«Es war heftig», sagt Georgi. Als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr in ihrem Heimatort Röderau erlebte sie die Flut vor zehn Jahren hautnah, sie versorgte die Helfer mit Speisen und Getränken. «Töpfeweise haben wir Nudelsalat und Soljanka gemacht, und alles ohne Strom.»

Manchmal, wenn Besuch kommt, holt sie ihr Flutalbum hervor, zeigt die Bilder von damals, wie alle gemeinsam gegen die Wassermassen gekämpft haben. Und manchmal denkt sie auch heute noch daran, wenn sie die B169 entlangfährt. «Nimmt man den Pegel von damals, würde man mitten durchs Wasser fahren.»

Die parteilose Georgi ist auch stellvertretende Bürgermeisterin der Gemeinde Zeithain, zu der auch Röderau gehört. Sie weiß, was die ehemaligen Bewohner von Röderau-Süd durchgemacht haben, schließlich war die Flut nicht die einzige Katastrophe für die Menschen.

Kurz nach der Wende wurde Röderau-Süd in einem früheren Nebenarm der Elbe errichtet, das Regierungspräsidium in Dresden hatte die Bebauung genehmigt, obwohl das Gebiet bereits zu DDR-Zeiten als Überschwemmungsland ausgewiesen war. Auch das Landratsamt Riesa-Großenhain meldete damals Bedenken an. «Aber es herrschte Aufbruchstimmung, jede Gemeinde wollte ihr eigenes Gewerbegebiet haben», beschreibt Martina Georgi. Der Gemeinde will sie keine Schuld geben. Es sei damals viel Neues entstanden, vielleicht sei man sich der Folgen nicht bewusst gewesen. Zudem habe es ein solches Hochwasser bis dato auch nicht gegeben.

Bis sich die Elbe im August ihr Land gewaltsam zurückeroberte, die Häuser in den Fluten versanken. Die Bilder von Röderau-Süd gingen durch ganz Deutschland. Als das Wasser wieder weg war, kamen zahlreiche Politiker in die kleine Siedlung - die Häuser sollten wieder saniert werden, hieß es. Viele begannen mit dem Aufräumen, schafften Müll und Schlamm beiseite, renovierten ihre Häuser. Im November 2002 dann die nächste Katastrophe: kein Hochwasser, sondern ein Kabinettsbeschluss in Dresden. Röderau-Süd sollte komplett umgesiedelt werden, alle 400 Einwohner ihr Zuhause aufgeben.

Im April 2003 rollten die Abrissbagger an. Rund 40 Millionen Euro zahlten Bund und Land für den Abriss der Siedlung und für die Entschädigung der Betroffenen. Einige Röderauer, die am «Fährweg» wohnten, haben sich gemeinsam ein neues Zuhause gesucht. Sie sind in das 12 Kilometer entfernte Koselitz gezogen, wo sie ihre Häuser am «Neuen Fährweg» errichten konnten - zur Erinnerung an die alte Heimat. Im Kreis stehen hier schmucke rote Backsteinhäuser mit grünen Fenstern, daneben große Einfamilienhäuser in hellem Gelb, ausladende Giebel und Erker, gepflegte Vorgärten.

Manche sprechen von «Flutgewinnlern», und von Häusern, die sich die Betroffenen sonst nicht hätten leisten können, erzählt Grit Schreiber. Sie ist mit ihrer Familie 2004 in den Neuen Fährweg gezogen, war selbst aber nicht von der Flut betroffen. «Aber was die Menschen alles durchgemacht haben, da gibt es eigentlich gar keine Entschädigung», sagt die 40-Jährige. Schließlich hätten die meisten alles Persönliche verloren - Fotoalben, Erinnerungsstücke.

«Manche kommen ganz gut klar, andere dagegen kommen nicht so richtig darüber hinweg», erzählt Schreiber. Bis heute spielt die Flut bei ihnen eine Rolle. Jedes Jahr um den 16. August herum feiern die «Fährweger» ein Sommerfest. Gemeinsam wird gegrillt, man redet über damals, Fluthelfer werden eingeladen.

In den Köpfen der Menschen hat das Wasser Spuren hinterlassen. Auch zehn Jahre danach wollen die Betroffenen nicht mehr über die Flutkatastrophe sprechen. Auch eine ältere Frau, die vom alten Fährweg in den neuen gezogen ist, lehnt ein Gespräch ab. «Mir ist seitdem nichts Gutes widerfahren». Auch ein Unternehmer, der sein Geschäft in Röderau-Süd hatte, will nicht daran erinnert werden: «Wir haben Glück gehabt und das Unglück überlebt. Jetzt wollen wir einen Schlussstrich ziehen.»

Im Jahr 2007 verkaufte die sächsische Regierung Röderau-Süd als Grünland an einen privaten Interessenten. Längst ist die Elbaue wieder zu dem geworden, was sie vor der Bebauung war: Wiese und Weideland. (dpa)
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