«Keineswegs nur in Wäldern», betont der Paläontologe Hervé Bocherens von der Universität Tübingen. Er hat mit Kollegen im Fachjournal «PLOS ONE» eine Studie dazu veröffentlicht. Bislang wurden Europas größte Landsäugetiere meist als Bewohner von Mischwäldern beschrieben.
Bocherens glaubt, dass die Konzepte zum Schutz von Wisenten grundlegend überarbeitet werden müssen. Seine Untersuchung uralter Wisentknochen aus Norddeutschland, Dänemark und Südschweden zeigt demnach: Auf dem Speiseplan der Wisente standen vor über 10.000 Jahren sowohl Blätter als auch Gras und Flechten. Das legt aus Sicht der Wissenschaftler nahe, dass Wisente eine abwechslungsreiche Landschaft bevorzugten und auch auf der grünen Wiese lebten.
Keine ganz neue Erkenntnis, meint hingegen die Biologin Coralie Herbst vom Artenschutzprojekt Wisent-Welt im Rothaargebirge (Bad Berleburg, Nordrhein-Westfalen). Die Diskussion über den idealen Lebensraum der Tiere gebe es schon länger. Bocherens Studie liefert aus ihrer Sicht aber wertvolle Hinweise für die Arterhaltung und Auswilderung.
Denn bislang sind solche Projekte auf Waldgebiete ausgerichtet. «Wälder sind wichtig für Wisente, aber sie brauchen für ihre Ernährung auch die grüne Vegetation», sagt Bocherens. Bislang könnten Wisente hierzulande im Winter nicht ohne Zufütterung überleben. Als idealen Lebensraum schweben Bocherens deshalb Regionen mit Wiesen, Sträuchern, Lichtungen und Wäldern vor. Vorstellbar sind für ihn großflächige ehemalige Militärgebiete in Osteuropa.
In freier Natur lebten Wisente bis zum 18. Jahrhundert in Deutschland. Sie wurden nach Überzeugung von Bocherens in die Wälder gedrängt, weil offene Landschaften schrumpften - bedingt durch
Klimawandel, wachsende Waldflächen und zunehmende landwirtschaftliche Aktivität des Menschen. «Dort nahm die Population so stark ab, dass die Tiere fast vollständig ausstarben.»
Schätzungsweise an die 3.000 freilebende Wisente gibt es heute in Europa. Auch im dicht besiedelten Deutschland streifen die dunkelbraunen Kolosse wieder frei umher: Im Rahmen eines Artenschutzprojektes wurde im Rothaargebirge zwischen Siegen und Marburg vor knapp zwei Jahren eine Herde ausgewildert. Die hat inzwischen Nachwuchs bekommen und zählt statt ursprünglich acht inzwischen zwölf Tiere.
«Der Wisent braucht halboffene Landschaften», ist Biologin Herbst überzeugt. Die Erfahrung mit den ausgewilderten Wisenten zeige aber, dass sie im Wald «ganz gut zurechtkommen». Die Tiere präferierten in der Praxis nicht die grüne Wiese, sondern lichte Waldbestände. Und zum Ruhen - oder wenn sie Kälber bekommen - ziehen sie sich laut Herbst in dichtes Fichtendickicht zurück. (dpa)