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06.09.2015 | 08:33 | Wolfsrückkehr 

Wie man in Deutschland auf den Wolf reagiert

Lübtheen - Er war gerade erst hier, und er kam wohl alleine. Die Spuren des Wolfsrüden sind noch gut zu erkennen in dem vom Regen durchweichten Sand der Wanderdüne.

Wölfe in Deutschland
Für Artenschutz kann man in Deutschland viele Menschen begeistern, sogar manchen Jäger. Es sei denn, es geht um den Wolf. Denn der stört nicht nur die Schäfer. (c) proplanta
Leise streicht der Wind über die violett blühende Heide. Menschen leben hier auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz im mecklenburgischen Lübtheen schon lange nicht mehr. Das freut den Wolf. Denn der Fleischfresser ist ein scheues Tier. Er weicht zurück, sobald sich die großen, lärmenden Zweibeiner nähern. Einzige Ausnahmen: der Wolf ist tollwütig oder wurde als Welpe von Menschen gefüttert.

Wird in Deutschland doch einmal ein Wolf auf einer Dorfstraße gesichtet, gilt er als verhaltensauffällig. Sanktionen drohen. Zuerst wird an seinem Körper ein Sender angebracht. Doch das ist gar nicht so einfach. Denn - wir erinnern uns - Wölfe sind scheu. Die deutschen Wolfsforscher haben sich deshalb eine Zeit lang mit «gepolsterten Tellereisen» beholfen.

Das sind Tierfallen, bei denen die Eisenteile ausgepolstert sind, damit die Tiere keinen Schaden nehmen. Heute ist das allerdings nicht mehr möglich. Denn ausgerechnet die Jäger, deren Verband sich für eine Herabstufung des Wolfes in eine niedrigere Schutzkategorie einsetzt, haben die Forscher wegen der Verwendung dieser durch eine EU-Verordnung verbotenen Tellereisen angezeigt.

Für die Tierschützer bedeutet das: Sie müssen sich jetzt viele Stunden auf die Lauer legen. So lange, bis sich eine Gelegenheit bietet, den gesuchten Wolf mit dem Betäubungsgewehr zu erwischen.

Taucht der mit dem Sender versehene Wolf dann erneut in menschlichen Siedlungen auf, droht ihm der Abschuss. Gerhard Adams, der im Bundesumweltministerium die Abteilung Artenschutz leitet, rät Menschen, die einen Wolf in der Ferne auf sich zukommen sehen, sich vorsichtig zurückzuziehen. Spaziergänger mit Hund müssten allerdings damit rechnen, dass der Wolf den Hund angreife, den er als Eindringling in seinem Revier wahrnehme. «Dann sollte man laut schreien und mit den Armen fuchteln, um den Wolf zu vertreiben», sagt Adams. Das Ministerium will demnächst auf seiner Website auch Verhaltensregeln für Begegnungen mit dem Wolf veröffentlichen.

Ganz andere Sorgen bereitet das schlanke Raubtier der Wanderschäferin Heike Griem aus Boizenburg. Seitdem der Wolf in ihrer Gegend ist, müssen sie und ihre Helfer jedes Mal, wenn die Herde weiterzieht, einen mobilen elektrischen Weidezaun aufstellen. Zusätzlichen Schutz liefern Herdenschutzhunde. Für den Zaun und die sechs Pyrenäenberghunde gab es Zuschüsse von zwei Landesregierungen. Denn Griems rund 2200 Schafe und Lämmer weiden in Regionen Mecklenburg-Vorpommerns und Schleswig-Holsteins, die als «Wolfserwartungsgebiete» gelten.

Zwar zeigen sich die Wölfe, die am Tag bis zu 70 Kilometer zurücklegen, gelegentlich auch in anderen Regionen. Dort gibt es allerdings keine Zuschüsse für Schutzmaßnahmen, sondern nur Entschädigungszahlungen für jedes Schaf, das mutmaßlich von einem Wolf gerissen wurde.

Heike Griem (45) hat persönlich nichts gegen den Wolf, obwohl er ihr viel Arbeit macht. Vier bis fünf Stunden dauert es, bis eine neue Weide eingezäunt ist. Der schwere Zaun, den sie dafür über die Wiese schleppen muss, wiegt 14 Kilogramm. Die kräftige Frau mit dem Schlapphut sagt: «Der Wolf und ich, wir sind einander ähnlich - wir sind beide Grenzgänger.»

Griem hat viel zu tun. Als Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) kürzlich da war, um sich im Naturschutzgebiet Büchener Sander zeigen zu lassen, wie Wolfsschutz in der Praxis funktioniert, eilten die beiden Frauen so schnell über die Wiesen, dass die angereisten Fotografen alle Mühe hatten, dranzubleiben. Die Herdenschutzhunde schlugen prompt an, als der Tross aus Berlin den Weidezaun erreichte. Die vierbeinigen Beschützer der Schafe ticken anders als Hütehunde.

«Der Hütehund hält die Herde zusammen, er ist immer bei mir und führt meine Anweisungen aus», erklärt Schäferin Griem. Der Herdenschutzhund arbeite dagegen selbstständig. Da er unter Schafen großgeworden sei, fühle er sich als Teil der Herde. Griem sagt: «Er ist halt der Kumpel von den Schafen.»

Aus Sicht des Landwirtschaftsministers von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus (SPD), ist der Wolf auf jeden Fall leichter zu managen, als der Rechtsextremismus, der sich in seinem dünn besiedelten Bundesland ebenso ausgebreitet hat wie die Raubtiere. Im Schweriner Landtag ist die NPD mit fünf Abgeordneten vertreten. In der kleinen Stadt Lübtheen, unweit des ehemaligen Truppenübungsplatzes, sind die Rechten besonders aktiv. Vom «braunen Osten» will Backhaus aber trotzdem nichts hören. Er weißt darauf hin, dass einige führende NPD-Funktionäre, die hier leben, ursprünglich aus der alten Bundesrepublik stammen. So auch Udo Pastörs, der sich vor einigen Jahren in Lübtheen niedergelassen hat.

Auf dem Truppenübungsplatz Lübtheener Heide lebt schon lange niemand mehr. Die Bewohner des Dorfes Quast waren schon zu DDR-Zeiten zwangsumgesiedelt worden. Quast musste 1961 einer Erweiterung des Übungsplatzes für die Nationale Volksarmee weichen. Der letzte Einwohner des kleinen 80-Seelen-Dorfes war ein sperriger, heimatverbundener Geselle. Der alte Mann habe sich an seinem Bett festgekettet und sei dann mitsamt dem Bett weggetragen worden, erzählt Revierförster Joachim Kolmer.

Danach wurde auf dem nun auf über 6.000 Hektar angewachsenen Gelände, das schon von der Wehrmacht für Übungen genutzt worden war, nur noch kommandiert, geschossen und durch den Schlamm gerobbt. Nach dem Untergang der DDR nutzte die Bundeswehr den Truppenübungsplatz auch, um in nachgebauten «afghanischen Dörfern» Häuserkampf zu üben. Im Herbst 2013 zog die Bundeswehr ab. Jetzt lebt hier nur noch der Wolf.

Das Gelände ist öffentlich zugänglich. Dass hier in der Mittagssonne jetzt eine Mutter mit ihren Kindern und einem Schäferhund spazieren geht, missfällt den Forstbeamten nicht etwa deshalb, weil sie eine Begegnung mit dem Wolf befürchten. Ihnen ist nicht ganz wohl wegen der vielen Munition, die hier noch im Boden liegt. Am Rande des Kiefernwaldes stehen Warnschilder mit der Aufschrift «Munitionsverseuchtes Gelände - Lebensgefahr - Betreten verboten!»

Trotzdem ist der ehemalige Truppenübungsplatz, der im vergangenen Juni zusammen mit weiteren 25.000 Hektar im gesamten Bundesgebiet dem «Nationalen Naturerbe» zugeschlagen wurde, ein «Sahnestück». Was das Gebiet aus Sicht der Naturschützer so wertvoll macht, sind erstens seine schiere Größe und zweitens die unbewaldeten Heideflächen, auf denen der Wolf jetzt seine Kreise zieht.

Mehr als 100 Jahre lang gab es keine Wölfe in Deutschland. Seit 15 Jahren ist der Canis lupus wieder da. Die meisten der schätzungsweise 300 Wölfe leben in Sachsen. Einzelne Tiere, die früher von Osten kommend versucht hatten, hier heimisch zu werden, lebten meist nicht lange. Denn bis zur Wiedervereinigung galten die Wölfe in der DDR als jagbares Wild.

Auch jetzt noch gibt es Menschen, die sich um das Abschuss-Verbot nicht scheren. Die meisten deutschen Wölfe, die nicht an Altersschwäche oder krankheitsbedingt sterben, werden entweder illegal geschossen oder überfahren. In seltenen Fällen verlieren sie auch einmal einen Kampf gegen Wildschweine. Die sind nach Rehen und Rotwild ihre drittliebsten Beutetiere. Schafe und Ziegen stehen dagegen nur in Ausnahmefällen auf dem Speiseplan von Meister Isegrim.

Die gute Nachricht für die Jäger: Seitdem der Wolf zurück in Deutschland ist, wird nicht weniger Wild von Jägern erlegt als zuvor. Und auch nicht jedes Schaf, das angeblich vom Wolf gerissen wurde, starb auch wirklich zwischen den Zähnen eines Wolfes. Artenschutz-Experte Adams weiß: «Da, wo der Wolf auftaucht, wird ihm einfach alles in die Schuhe geschoben.» Das gilt möglicherweise auch für Frankreich. In Paris waren wütende Schafzüchter im vergangenen November mit ihren Tieren zum Eiffelturm gezogen, um eine höhere Abschuss-Quote für den Wolf zu fordern.
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