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02.08.2015 | 10:15 | Risikobewertung 

Glyphosatbewertung der Krebsforschungsagentur löst geteiltes Echo aus

Lyon/Brüssel/Berlin/Frankfurt - Die in dieser Woche veröffentlichte Monographie der internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) zu den Gesundheitsauswirkungen von Glyphosat hat unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen.

Risikobewertung Glyphosat
(c) proplanta
In ihrer Veröffentlichung bekräftigt die IARC ihre Bewertung von Glyphosat - wie erwartet - als „wahrscheinlich krebserregend“: Es lägen „begrenzte Beweise“ dafür vor, dass der Wirkstoff die Bildung von Krebs im menschlichen Körper fördere. Ein positiver Zusammenhang sei für das Non-Hodkin- Lymphom (NHL) festgestellt worden, unter dem mehrere bösartige Erkrankungen des lymphatischen Systems zusammengefasst seien. „Ausreichende Beweise“ gebe es für die krebserregende Wirkung von Glyphosat bei Tieren.

Auf insgesamt 92 Seiten werden rund 200 Studien angeführt, um dieses Urteil zu stützen. In ihrer Zusammenfassung weist die IARC auf „starke Indizien“ hin, dass sich dieWirkung von Glyphosat auch auf zwei wesentliche Charakteristika bekannter menschlicher Karzinogene erstrecke. So legten In-Vitro-Studien und Tierversuche unter anderem nahe, dass der Kontakt mit dem Stoff genotoxische Auswirkungen habe.

Vor allem Umweltorganisationen forderten infolge der Befunde ein Eingreifen der Politik in Form einer zumindest vorläufigen Aussetzung der Zulassung des Wirkstoffs. Vertreter auf Seiten der Industrie verwiesen dagegen auf die mangelnde Aussagekraft einer Bewertung des stofflichen Gefahrenpotentials für das tatsächliche Risiko bei sachgemäßer Anwendung.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) kündigte eine Stellungnahme an, sobald eine Prüfung der vorgenommenen Einstufung abgeschlossen sei. Die von der IARC angeführten, tierexperimentellen Studien seien allerdings bereits bekannt gewesen und in den überarbeiteten Bewertungsbericht von April 2014 eingeflossen.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) teilte mit, sie werde die Ergebnisse der Monografie im Rahmen des laufenden Kreuzgutachtens bezüglich der Neubewertung von Glyphosat berücksichtigen und dieses noch 2015 an die EU-Kommission übermitteln sowie veröffentlichen.

Realistisches Risiko bewerten

Nach Einschätzung der Arbeitsgemeinschaft Glyphosat (AGG) wird die IARC-Klassifizierung bei weltweiten Zulassungsbehörden voraussichtlich „wenig bis keine praktische Relevanz für die Bewertung möglicher Risiken, die mit dem Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft verbunden sind“, haben. AGG-Sprecherin Ursula Lüttmer-Ouazane wies darauf hin, dass der Auftrag der IARC nicht in der Risikobewertung bestehe, sondern allein in der Identifikation möglicher Gefahren. Sie monierte vor diesem Hintergrund auch die mangelnde Kommunikation des Krebsforschungsinstituts, das „das Feld bestimmten Interessengruppen“ überlassen habe, die „verantwortungslos mit falschen Begriffen wie ‚Warnung der Weltgesundheitsorganisation (WHO)“ operiert hätten.

Auf die Unterschiede zwischen theoretischem Gefahrenpotential und realistischem Risiko wiesen auch der Weltverband der Pflanzenschutzindustrie (CropLife) und der Pflanzenschutzmittelhersteller Monsanto hin. Das Unternehmen hatte bereits Mitte Juli eine eingehende Analyse der IARC-Befunde angekündigt und hielt sich zuletzt mit einer Kommentierung zurück. Es betonte allerdings, dass jede von der IARC verwendete Studie bereits von den Zulassungsbehörden bewertet worden wäre, mit dem Ergebnis, dass Glyphosat als nicht krebserregend einzustufen sei. Um die Bewertung zu relativieren wies Monsanto darauf hin, dass auch starkes Erhitzen von Lebensmitteln, der Friseurberuf oder Schichtarbeit von der Agentur bereits als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft worden sei.

Landwirtschaft abhängig

Derweil forderte der Naturschutzbund Deutschland (NABU) von der Bundesregierung eine Aussetzung der Zulassung von Glyphosat im Sinne des Vorsorgeprinzips, bis offene Fragen geklärt seien. Zudem müssten die Anwendungsbestimmungen für den Wirkstoff verschärft werden, um die „Aufwandmengen deutlich zu reduzieren“. Ferner sei ein Verbot im Haus- und Kleingartenbereich „überfällig“, da dort das Risiko von Fehlanwendungen besonders groß sei.

Eine umgehende Aussetzung aller Anwendungen, in denen Menschen mit Glyphosat in Kontakt kommen, verlangte die Umweltorganisation Greenpeace. Die Einstufung der IARC müsse „ernst genommen“ werden und in die Neubewertung des Wirkstoffes miteinfließen, was bisher nicht geschehen sei.

Als „generelles Problem“ nannte die Fachvertreterin für landwirtschaftliche Fragen, Christiane Huxdorff, eine „Abhängigkeit der Landwirtschaft“ von dem Breitbandherbizid und forderte einen „grundsätzlichen Wandel“ im Agrarbereich.

Eine sorgfältige Prüfung der Monografie durch die zuständigen Behörden forderte der Sprecher für Gentechnik- und Bioökonomiepolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Harald Ebner. Wenn sich die IARC-Einschätzung bestätige, müsse auch die EU Glyphosat in die entsprechende Krebsrisikostufe eingruppieren. Ebners Parteikollege im Europaparlament, Martin Häusling, forderte die EFSA zur Zurückweisung der bisherigen Risikobewertung Deutschlands auf und riet dazu, eine Neubewertung einzufordern. (AgE)
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