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20.05.2010 | 12:30 | Tierhaltung 
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100 niederländische Wissenschaftler fordern nachhaltige Viehhaltung

Hamm/Bienenbüttel - Als wichtiges politisches Signal für Deutschland und die ganze EU bewertet die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) das „Plädoyer für eine nachhaltige Viehhaltung“ von mehr als 100 niederländischen Wissenschaftlern,

Rinderhaltung
(c) proplanta
Darin fordern diese „ein Ende der organisierten Unverantwortlichkeit“ im Bereich der agrarindustriellen Tierhaltung ein. Große Teile dieses Memorandums, so AbL-Sprecher Eckehard Niemann, deckten sich mit Zielen und Aktivitäten des deutschen „Netzwerks Bauernhöfe statt Agrarfabriken“. Die holländischen Forderungen nach einer bäuerlichen Viehhaltung „im Dienste des Tierwohls, des Menschen und der Gesellschaft“ und nach Produktionsformen, die in „Einklang auch mit der städtischen Gesellschaft“ stehen müssten, gäben einen starken Anschub für eine Debatte auf Ebene der ganzen Europäischen Union.

Die niederländischen Wissenschaftler prangern die agrarindustrielle Fleischproduktion und Viehhaltung als „mensch- und tierunwürdig“ an, weil sie Lebewesen wie Sachen an agrarindustrielle Haltungssysteme anpasse und artgerechtes Verhalten wie Wühlen/Picken, Bewegung oder Nestbau verhindere. Sie verweisen auf die Belastung einseitig gezüchteter und gestresst gehaltener Tiere durch Skelett- und Kreislaufprobleme, auf das Lebend-Schreddern von Hähnchenküken, auf Schnabelkürzen, Kastration und Enthornung.

So wie Sklaverei und Kinderarbeit nicht durch ökonomischer Vorteile zu rechtfertigen seien, so sei auch beim Umgang mit Nutztieren längst eine ethische Schranke überschritten. Es sei bezeichnend, dass sich sowohl Bauern als auch Verbraucher „unwohl fühlen, wenn das Tierwohl in der Viehindustrie zur Sprache kommt“. Eine Politik der Beschwichtigung sorge dafür, dass die Konsumenten „nur mit viel Spürsinn“ Einfluss auf dieses System nehmen könnten. Die Rückverfolgbarkeit unserer Nahrung sei bisher auf das Vermeiden von Verunreinigung gerichtet, nicht aber auf eine „ethische Nachverfolgbarkeit“.

Die Wissenschaftler legen eine lange Liste der gesellschaftlichen Folgen des immer krisenanfälligeren agrarindustriellen Systems vor: weltweiter Hunger durch Nutzung der Flächen für Viehfutter, Abholzung der Regenwälder, Importe von Futtermitteln und damit von Nährstoff- und GülleÜberschüssen, Schädigung der Bevölkerung durch Gestank und Feinstaub-Bioaerosole, Treibhausgase und Ammoniak-Schäden an Flora und Fauna, Klima- und Umweltbelastungen, Überdüngungs-Schäden der Böden und des Wassers, Vergeudung des weltweit knappen Elements Phosphor, genetische Verarmung, Tiertransporte über weite Strecken, Skandale in Schlachthöfen, Dioxin- und Hormonskandale, auch für Menschen bedrohliche Tierkrankheiten und resistente Bakterien, ernährungsbedingte Krankheiten...

Mit Bezug auf die mangelhafte Umsetzung von Forderungen der regierungsamtlichen Wijffels-Kommission und auf das derzeitige Bauverbot für Mega-Ställe in Nord-Brabant fordern die Wissenschaftler einen schnellen „Paradigmenwechsel“: Zur raschen Beendigung der weltweiten Folgen der intensiven Tierhaltung müssten die Niederlande “im internationalen Verband eine Vorreiterposition einnehmen“, über neue Rechtsvorschriften eine nachhaltige Produktion von Fleisch und Milchprodukten erzwingen“, „tierfeindliche Haltungsformen“ und die Anwendung von Antibiotika verbieten, den Verbrauch von tierischen Eiweißen verringern, die gesellschaftlichen Kosten in einen „ehrlichen Produktpreis“ einrechnen, den Bau neuer Agrarfabriken stoppen und eine regionale, „flächengebundene Landwirtschaft mit geschlossenen Kreisläufen und regionalem Anbau von Eiweißpflanzen fördern. Die Niederlande, die sich mit ihrer Intensivst-Landwirtschaft „zum Schlachter und Milchmann Europas“ entwickelt hätten und ihre Überschüsse auf dem Weltmarkt zu Dumpingpreisen exportierten, sollten ihre Produktion beschränken, sich auf tierfreundliche Premium-Marktsegmente mit hoher Wertschöpfung ausrichten und so die Existenz von Bauernhöfen sichern. (AbL)
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Kommentare 
Antonietta schrieb am 25.05.2010 08:46 Uhrzustimmen(75) widersprechen(50)
Größer - schneller - billiger: Unter diesem Motto der Agrarindustrie leiden heute rund 150 Mill. Nutztiere in deutschen Ställen. Ob Schwein, Rind, oder Legehenne, ob Pute, Kaninchen oder Ente - sie werden verstümmelt, in enge Ställe oder Käfige gepfercht und mit Medikamenten vollgepumpt. Auf der Strecke bleiben nicht nur das Wohl der Tiere und ihre artgemäße Haltung, sondern auch Qualität, Geschmack und die gesundheitliche Unbedenklichkeit der Produkte.
Ringeltaube schrieb am 21.05.2010 10:42 Uhrzustimmen(59) widersprechen(85)
Vor Freude heulen könnte man, wenn man dies liest - und wehe, es fordert gleich wieder jemand, das Thema "nicht zu emotionalisieren" (was in der Regel auch nur LobbyvertreterInnen tun). Hier haben wir es schwarz auf weiß, interdisziplinär von über hundert Wissenschaftlern, denen man wohl kaum mangelnde Sachlichkeit unterstellen kann. Auch deutsche unabhängige Wissenschaftler können diese Fakten bestätigen, mir fallen etliche Namen ein. Die BTK hat ja z. B. auch schon kritisch z. B. zur Putenmast in Deutschland Stellung bezogen. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt!
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