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Wildschwein (c) proplanta
Freitag, 26.04.2024
Invasion der Schwarzkittel

„Wildschweinangriffe im Grunewald“, „Wildschwein-Besuch im Baumarkt“, „Rekord bei Wildschweinjagd“ - Meldungen dieser Art häufen sich in den vergangenen Jahren und weisen auf immer höhere Schwarzwild-Bestandsdaten hin. In der Tat wurden nach Auskunft des Deutschen Jagdschutz-Verbandes zwischen April 2008 und März 2009 in Deutschland rund 640.000 Wildschweine erlegt, 33 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Vor dem Zweiten Weltkrieg lag die Strecke noch bei ca. 10.000 Tieren.

Insbesondere seit Beginn der 1980er Jahre wird über eine enorme Vermehrung des Schwarzwildes berichtet, wobei dies als europaweites Phänomen zu betrachten ist. Doch nicht nur die Bestandsdichte nimmt zu. Wildschweine waren in vielen Regionen ausgerottet und erschließen nun diese Lebensräume wieder neu. 


Fette Jahre: mögliche Ursachen der Bestandszunahme 

Als Gründe für die steigenden Schwarzwildbestände werden verschiedene Faktoren diskutiert. Unstrittig ist, dass eine allgemein verbesserte Ernährungslage zu einer Bestandeszunahme führt. Immer wieder wird dafür der vermehrte Maisanbau, auch in Zusammenhang mit der Bioenergieerzeugung, angeführt. Diese Hypothese lässt sich jedoch wissenschaftlich nicht bestätigen.

Das Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien konnte lediglich in den alten Bundesländern Deutschlands einen statistischen Zusammenhang ermitteln. In der ehemaligen DDR jedoch waren die höchsten Bestandeszuwächse bei Schwarzwild zu verzeichnen, obwohl es fast keinen Maisanbau gab. Auch nach der Wiedervereinigung waren die Anbauflächen wesentlich geringer als im Westen, aber die Schwarzwilddichte sehr hoch. In Österreich nahm ebenfalls der Maisanbau nach 1985, im Gegensatz zu den Schwarzwildbeständen, stetig ab. Die „Maishypothese“ ist somit nicht aufrecht zu erhalten. 

Ein Einflussfaktor könnte jedoch auch ein häufigeres Fruchten von Buche und Eiche sein, das seit Mitte des vorigen Jahrhunderts zu beobachten ist. Diese Früchte stellen die Hauptnahrung der Wildschweine dar. Die kürzlich vorgestellte Waldzustandserhebung für das Jahr 2009 bestätigte gerade wieder eine ungewöhnliche Häufung der guten Samenjahre der Buche im letzten Jahrzehnt. Diese Vollmastjahre können vor allem in Wechselwirkung mit der Klimaveränderung Bedeutung erlangen, da sie die bestandsregulierende Wirkung eines strengen Winters abpuffern können. 

Insbesondere seitens des Naturschutzes werden zudem „hausgemachte“ Gründe für die starke Vermehrung der Wildschweine angeführt. Kritisiert wird vor allem die nach wie vor gängige Praxis der Fütterung der Tiere sowie eine Bejagung, die die Sozialstruktur der Rotten zerstört. 


Keiler im Schnee
Die verbesserte Ernährungslage ist hauptsächlich für die drastische Bestandeszunahme von Wildschweinen verantwortlich.


Flurschäden und Schweinepest: Probleme der hohen Schwarzwilddichten 

Die hohen Bestandsdichten stellen nicht nur wegen des vermehrten direkten Kontaktes mit den Menschen ein Problem dar. Landwirte berichten immer häufiger von starken Flurschäden durch Wildschweine. Die häufigsten Schäden werden im Grünland verzeichnet, wobei die  Wiederherstellungskosten der Grasnarbe teurer zu Buche schlagen als Aufwuchsschäden.

Wegen des Sicherheitsbedürfnisses der Tiere liegt ein Großteil der Schäden im waldrandnahen Bereich. Das Wühlen auf der Fläche kann Beschädigungen der Mähwerkmesser beim Schnitt und Verunreinigungen des Mähgutes zur Folge haben. Extensiv bewirtschaftetes Grünland mit einer artenreicheren Bodenfauna als Intensivgrünland ist für die Wildschweine als Nahrungsquelle besonders attraktiv. Die Wildschäden können dort eine  Nährstoffmobilisierung zur Folge haben und damit Änderungen im Artenspektrum bis hin zur Artenverarmung. 

Schwarzwildschäden auf Maisanbauflächen stehen an zweiter Stelle der Schadensbilanz. Sie nehmen in den letzten Jahren stark zu, da die Biogaserzeugung eine rasante Entwicklung erfährt und dafür in vielen Regionen immer mehr Mais angebaut wird. 

Aus veterinärmedizinischer Sicht ist das Schwarzwild vor allem als Erregerreservoir und Infektionsquelle diverser Krankheitserreger im Visier. Neben Trichinen oder der Aujeszky'schen Krankheit ist hier insbesondere die Klassische Schweinepest von Bedeutung. Der Schweinepest-Erreger kann bei Kontakt vom Wild- auf das Hausschwein (und umgekehrt) übertragen werden. Wie das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz mitteilte, trat diese Seuche in Deutschland im Jahr 2009 bei 52 Wildschweinen auf, wobei der Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen lag.

Bei Hausschweinen wurde die Schweinepest zuletzt 2006 beobachtet. Die Ausbreitung der Krankheit ist nach Erkenntnissen des Friedrich-Löffler-Instituts abhängig von der Wilddichte und der Altersstruktur im Bestand, wobei Jungtiere häufiger infiziert sind. Bei Ausbrüchen der Wildschweinepest wurden in Deutschland mehrfach Impfmaßnahmen durchgeführt.

 
Wildschweine im Schnee

Wildschweine müssen gezielt bejagd werden, sonst nehmen Populationen überhand.


Wildtiermanagement und Toleranz: Lösungsansätze 

Angesichts der erheblichen Probleme durch Schwarzwild scheint eine Regulierung des Bestandes unerlässlich. Die derzeitige Praxis der Schwarzwildbewirtschaftung muss allerdings kritisch hinterfragt werden. Die Diskussion darüber wird leider sowohl auf Seiten der Landwirte und Jäger als auch auf Seiten des Tier- und Naturschutzes selten sachlich geführt. Ein Wildtiermanagement sollte das ökologische Gleichgewicht regulieren, also Wildbestände flexibel anpassen und dabei verschiedene Wirkgrößen über die Bejagung hinaus einbeziehen. 

Reformbedarf weist vor allem die gängige Praxis der Fütterung auf. Die Wildforschungsstelle Aulendorf hat ermittelt, dass auf der Gesamtjagdfläche Baden-Württembergs jährlich rund 4.000 Tonnen Mais allein zur Kirrung, dem Anlocken mit geringen Futtermengen, ausgebracht werden. Pro erlegtes Wildschwein werden so bisweilen über 400 Kilogramm Mais eingesetzt. Hinzu kommt die Winterfütterung der Tiere. Davon sollte unbedingt Abstand genommen werden. 

Ebenfalls kritisch zu beurteilen sind Fälle, bei denen die Leitbache versehentlich oder bewusst erlegt wird. Bei Fehlen der Leitbache bricht das soziale Gefüge der Rotte auseinander. In der Folge steigt die Fruchtbarkeit der anderen Weibchen erheblich an. 

Obwohl diese Fakten in der Jägerschaft natürlich bekannt sind und von verantwortungsbewussten Jägern auch beachtet werden, stellt es ein Problem dar, dass Fehlverhalten kaum geahndet wird und Fütterung und Kirrung schwer zu überwachen sind. 

Da Wildschweine jedoch in ganz Europa heute günstige Lebensbedingungen vorfinden, ist damit zu rechnen, dass die Schwarzwildbestände auch in Zukunft hoch bleiben werden. Eine effiziente Bejagung, unter Berücksichtigung populationsökologischer Erkenntnisse, ist daher unerlässlich. 

Letztendlich sind Wildschweine jedoch natürliche Mitglieder der heimischen Fauna, die in den letzten Jahrzehnten ihre ursprünglichen Lebensräume zurückerobert haben. Ein gewisses Maß an Wildschäden ist daher unvermeidbar und muss toleriert werden. (Pp)
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