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28.06.2009 | 18:21 | Mülltaucher 

Müll à la carte - Essen aus der Tonne

Köln - Irgendwo in Köln, kurz nachdem es dunkel geworden ist.

Müll
(c) proplanta
Steven dreht sich ruckartig um, als sich Schritte nähern. Dann Erleichterung, die Person geht vorbei. Die Schritte verhallen. Steven greift wieder in den schwarzen Müllcontainer und zieht eine Packung Paprika raus. Äpfel, Kartoffeln, Mohrrüben, Kopfsalat wandern aus der Mülltonne in den Wanderrucksack. Steven sammelt Müll. Aber nicht nur das: Er isst Müll.

Leute wie er nennen sich Containerer oder Mülltaucher. Sie holen ihr Essen aus Abfalltonnen, aber nicht weil sie arm sind. Mülltauchen ist eine Lebenseinstellung gegen den Kapitalismus und die Wegwerfgesellschaft und für einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln. «Es wird von den Supermärkten so viel weggeschmissen. Alles Zeug, das erst in ein paar Tagen abläuft oder nur ein bisschen welk ist», sagt Steven. Der 24-jährige will das nicht hinnehmen. «Das ist doch hochwertige Nahrung und wird der kapitalistischen Logik folgend trotzdem weggeworfen», sagt Steven.

Mülltaucher gibt es seit 15 Jahren. Neu ist, dass die Aktivisten verstärkt in die Öffentlichkeit gehen. In Internet-Blogs berichten sie über ihre Beutezüge. In New York gibt es eigene Container- Führungen für Neueinsteiger. Mülltaucher gehen meist einem geregeltem Job nach und haben eine bürgerliche Wohnung. «Containern» ist ein politisches Statement. Auch Steven hat keine finanziellen Probleme.

Sein Vater ist Arzt. Er selbst studiert Sozialwissenschaften und will später in die Politikberatung. Steven ist nicht sein richtiger Name. Den will der 24-Jährige - unrasiert, fleckige Jeans - lieber nicht nennen. Denn ob das wirklich legal ist, was er tut, weiß er nicht. Wenn kein Schild das Betreten des Geländes verbiete und die Container zudem frei zugänglich seien, könne man davon ausgehen, dass der Supermarkt die Lebensmittel nicht mehr haben wolle, sagt der Kölner Anwalt Michael Biela-Bätje. «Um rechtlich ganz sicher zu gehen, braucht man allerdings eine Erklärung des Supermarktes.» Biela-Bätje hat vor fünf Jahren eine Studentin vertreten, die über einen Zaun geklettert war, um an Container heranzukommen. Das sei Hausfriedensbruch und strafbar.

Auch Steven hat heute Hausfriedensbruch begangen, aber ein schlechtes Gewissen hat er nicht: «Die Ware wird ja eh nicht mehr verkauft, für die Supermärkte ist das Müll». Warum wird Müll dann überhaupt eingezäunt? REWE-Sprecher Andreas Krämer sagt dazu: «Wir sind moralisch und juristisch dazu verpflichtet, damit Menschen nicht erkranken.» Denn die Lebensmittel, die in den Abfalltonnen landen, seien schnell verderbliche Lebensmittel wie Hackfleisch. Wenn bei diesen Produkten das Verfallsdatum ablaufe, seien sie eine Gefahr für den Konsumenten. Lebensmittel, die zwar kurz vor dem Ablaufen stehen, jedoch problemlos gegessen werden können, gebe die Gruppe an soziale Einrichtungen wie die Tafeln weiter.

Doch der Joghurt, den Steven an diesem Abend in den Rucksack steckt, läuft erst am selben Tag ab. «Eine gute Mahlzeit», meint er. Seine Freunde sehen das anders und schlagen Einladungen zum Abendessen bei ihm meist aus. «Wenn die mit mir diskutieren wollen, rate ich ihnen den Film "We feed the world" zu schauen», sagt Steven. Der Film zeigt die Massenproduktion von Lebensmitteln: Etwa die Hälfte landet im Müll, bevor sie den Endverbraucher überhaupt erreicht hat. Ein Skandal findet Steven. Er will solange mülltauchen, bis er in den Tonnen nichts mehr findet. «Dann ist das Ziel erreicht.» Doch das wird wohl noch etwas dauern. Diesmal jedenfalls geht er mit einem randvollem Rucksack nach Hause. (dpa)
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