Wie früher - bei Sturzfluten nach starken Regenfällen - rauschte das Wasser durch die tiefe Schlucht, zumindest für 60 Stunden. Am Mittwoch hatte US- Innenminister Dirk Kempthorne die Rohre am Glen Canyon Damm geöffnet, um den Grand Canyon zu fluten und damit nachzuhelfen, wieder halbwegs natürliche Bedingungen zu schaffen, die durch den Bau der Staumauer 1963 verloren gegangen sind.
«Heute lassen wir dem Fluss wieder freien Lauf», pries der Politiker das wissenschaftliche Experiment, bei dem pro Sekunde mehr als eine Million Liter Wasser das Flussbett hinuntergespült wurden. Genug um das Empire State Building innerhalb von 20 Minuten zu füllen, sagte Kempthorne, als er die Flut aus dem aufgestauten Powell-See in Gang setzte. Mit dem Wasserstrom, der durch das 446 Kilometer lange Teilstück des Colorado River im Grand Canyon National Park (US-Bundesstaat Arizona) geschickt wurde, sollen Sedimente flussabwärts getragen werden. Diese angeschwemmten Ablagerungen sollten dann helfen, wieder Strände aus Sand und Schlick für Tiere und Erholungssuchende an den Ufern zu bilden und damit auch bedrohte Fischarten zu retten.
Biologen haben vor allem den Humpback Chub (Gila Cypha), einen vom Aussterben bedrohten Fisch, im Blick. In den nächsten Monaten wollen Wissenschaftler durch das Experiment Erkenntnisse darüber sammeln und Modelle entwickeln, wie man bereits abgetragene Strände durch Heben und Senken des Wasserspiegels allmählich wieder aufschütten kann.
Doch die Flutungsaktion ist von Umweltschützern heftig kritisiert worden. «Dieses Experiment, diese Zeremonie ist eine Farce», sagte Nikolai Lash, Vorstand der Umweltgruppe Grand Canyon Trust. «Es war eine glänzend inszenierte Show für die Medien, um die Behörde zur Finanzierung von Bewässerungsvorhaben als aktive Umweltschützer zu präsentieren, wenn eigentlich viel mehr geschehen müsste.» Lash zufolge war der Plan schnell zusammengezimmert worden, nachdem der Grand Canyon Trust die Regierung 2007 verklagt hatte, Washington würde nichts zum Schutz des Flusses unternehmen.
Aus Sicht vieler Experten würde nur eine regelmäßige Flutung des Grand Canyons zur Renaturierung des angeschlagenen Ökosystem führen. Washington will es aber vorerst bei einer Einzelflutung belassen und in den kommenden fünf Jahren nur jeweils im Herbst mehr Wasser als sonst in den Colorado River entsenden - dann allerdings nicht in einem großen Schub wie jetzt, sondern stetig über zwei Monate hinweg.
«Der Regierung ist die maximale Ausschöpfung der Wasserenergiegewinnung wichtiger als die schwindenden Reichtümer des Grand Canyons», kritisierte Lash den seit Jahren praktizierten Staudammbetrieb. Der Wasserablauf richtet sich nach dem jeweiligen Strombedarf in den westlichen Bundesstaaten, die von dem Staudamm mit Hydroenergie versorgt werden. Auch Steve Martin, Leiter des Grand Canyon Nationalparks, der dem Innenministerium unterstellt ist, mokierte sich über die Washingtoner Vorgaben. Falls keine weiteren Flutungen mindestens ein Mal jährlich erfolgen, «könnte dies zu einer weiteren Schädigung des Lebensraums» im Grand Canyon führen.
In einem Interview mit der «Los Angeles Times» beklagte Martin, dass Energieinteressen vorrangig behandelt würden. In den letzten zehn Jahren habe das Innenministerium 80 Millionen Dollar für Flutungs-Studien am Colorado River ausgegeben, doch das Ergebnis entspreche nicht dem neuesten Stand der Wissenschaft.
Gezielte Flutungen wurden bereits 1996 und 2004 im Grand Canyon vorgenommen. Zwei Wochen nach der künstlichen Sturzflut 1996 wertete der damalige Innenminister Bruce Babbitt die Aktion als «äußerst ermutigendes Modell der Renaturierung», die die «optimistischsten Erwartungen» übertroffen habe. Wissenschaftler dämpften später die Erfolgsmeldung. Während sich an einigen Stellen Sedimente anlagerten, wurde andernorts mehr abgetragen, hieß es nach Auswertung der Daten. (dpa)
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