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11.04.2018 | 13:02 | EU-Verbraucherrecht 

Sind Sammelklagen der richtige Weg zur Verbraucherstärkung in der EU?

Brüssel - Verbraucher in Europa sollen künftig einfacher ihre Rechte durchsetzen können.

EU-Verbraucherrecht
Verbraucherrechte in der EU sind vergleichsweise gut - aber schwer einzuklagen. Das haben nicht nur die Geschädigten des VW-Skandals zu spüren bekommen. Die EU-Kommission will nun Abhilfe schaffen. (c) proplanta
Die EU-Kommission präsentiert dazu am Mittwoch in Brüssel mehrere Gesetzesvorschläge. Herzstück ist die Einführung effektiver Sammelklagen vieler Geschädigter gegen große Firmen. Außerdem sollen Online-Käufe transparenter werden. Ein Überblick über die Pläne:

Warum sind Sammelklagen überhaupt nötig?

Dieselgate, Abgasmanipulation, Volkswagenskandal: Bei Verbrauchern weckt das unschöne Erinnerungen. Seit im Herbst 2015 die millionenfache Abgasmanipulation an VW-Dieselmotoren bekannt wurde, pochen Verbraucher auf Entschädigung - meist erfolglos. Die Klage eines Einzelnen gegen den Riesenkonzern hat wenig Aussicht auf Erfolg. Deshalb rufen Verbraucherschützer schon seit Jahrzehnten nach der Möglichkeit einer Kollektivklage. Die EU-Kommission forderte die Mitgliedstaaten bereits 2013 auf, gemeinsame Klagen auf Unterlassung und Schadenersatz zu erlauben. Passiert ist seitdem allerdings wenig.

Was plant die Brüsseler Behörde?

Justizkommissarin Vera Jourova will mit einem Gesetzesvorschlag für Fälle wie den Abgasskandal nachhelfen. Wie aus einem frühen Entwurf hervorgeht, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, sollen «qualifizierte Institutionen» wie Verbraucherverbände künftig stellvertretend für Geschädigte klagen können.

Die Kommission unterscheidet demnach mehrere Szenarien: Im einfachsten ist die Zahl der Betroffenen bekannt und sie haben vergleichbaren Schaden erlitten. Hier können Verbraucherverbände auf Schadenersatz für die Geschädigten klagen. Ein Mandat brauchen sie zunächst nicht, sie dürfen aber nicht profitorientiert arbeiten und müssen ihre Finanzierung offenlegen. In einem zweiten Szenario ist der Streitwert so gering, dass die Zahlung von Schadenersatz an die Verbraucher unverhältnismäßig wäre. Wird ein Unternehmen dazu verurteilt, entstandenen Schaden auszugleichen, soll das Geld an gemeinnützige Stellen fließen.

Im dritten Szenario ist eine Sammelklage dem Entwurf zufolge nur bedingt möglich. Es geht um komplexe Fälle, bei denen die Zahl der Geschädigten unklar und der individuelle Schaden sehr verschieden ist. Die Abgasmanipulation von Volkswagen dürfte darunter fallen.

Nationale Gerichte sollen dann zwar entscheiden können, dass EU-Recht verletzt wurde. Geschädigte müssten ihren Schadenersatz aber selbst einklagen und könnten sich auf das Gerichtsurteil berufen.

Welche Reaktion gibt es auf die Überlegungen aus Brüssel?

Verbraucherschützer sprechen von einem Schritt in die richtige Richtung. Vor allem das letzte Szenario sehen sie jedoch kritisch. An dieser Stelle sei der Kommissionsvorschlag eine Minimallösung, sagt Ursula Pachl vom europäischen Verbraucherschutz-Verband BEUC.

Die Industrie indes warnt vor US-Verhältnissen. Es gebe keinen Grund, «das amerikanische Sammelklagen-System zu kopieren, in dem Ansprüche ohne Verbrauchermandat vorgebracht werden können», sagt Markus Beyrer vom Europäischen Unternehmerverband Business Europe. Die Erfahrungen aus den USA hätten gezeigt, dass Verbraucher in den meisten Fällen leer ausgingen und Anwaltskanzleien profitierten.

Droht in der EU wirklich eine Klageindustrie nach US-Vorbild?

Nicht wirklich - sagt die EU-Kommission. In den USA sind Sammelklagen ein lukratives Geschäftsmodell für Kanzleien. Viele haben sich dort auf Massenverfahren gegen Konzerne und Institutionen spezialisiert.

Der Brüsseler Vorschlag soll ein Mittelweg zwischen vereinfachtem Rechtszugang und genügendem Schutz gegen Missbrauch sein, wie es in dem Entwurf heißt. Daher dürfen nur Non-Profit-Organisationen klagen.

Wie ist die rechtliche Lage in Deutschland und anderen EU-Ländern?

In einigen Ländern wie Frankreich, Portugal und Italien gibt es die Möglichkeit einer Sammelklage schon. Auch in Deutschland sind die Vorbereitungen für eine Musterfeststellungsklage fortgeschritten. Ein Gesetzentwurf steckt in der Ressortabstimmung, das Kabinett soll ihn möglichst im April beschließen. Die Zeit drängt: Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass das neue Instrument zum 1. November in Kraft sein soll - damit angesichts drohender Verjährungen auch Betroffene des VW-Abgasskandals von der Regelung Gebrauch machen können. Die EU-Vorschläge wären darauf nicht mehr anwendbar.

Wie genau sehen die Pläne in Deutschland aus?

Konkret sollen Musterfeststellungsklagen dann möglich sein, wenn mindestens zehn Verbraucher ihre Betroffenheit glaubhaft machen und sich binnen zwei Monaten 50 in einem Register anmelden. Klagebefugt sollen nur «qualifizierte Einrichtungen» wie Verbraucherverbände sein. Sie könnten in Musterprozessen strittige Fragen grundsätzlich klären, danach müsste jeder Verbraucher seine konkreten Ansprüche in einem individuellen Prozess geltend machen. Hier ähnelt der deutsche Ansatz dem dritten, komplexen Szenario im Kommissions-Vorschlag.

Welche weiteren Ideen hat die EU-Kommission? 

Angesichts des VW-Skandals sollen nationale Verbraucherschutzbehörden bei Gesetzesverstößen in mehreren EU-Ländern höhere Strafen verhängen können. Im Gespräch waren vier Prozent des Jahresumsatzes des Unternehmens im jeweiligen Land. Die einzelnen EU-Länder könnten jedoch höhere Auflagen verhängen. Bislang gibt es für solche Fälle keine einheitliche Regelung auf EU-Ebene, die Maximalstrafen sind oft verhältnismäßig gering.

Zudem sollen Käufer auf Online-Marktplätzen wie Ebay oder dem Amazon-Marketplace nach dem Willen der Kommission besser informiert werden, ob es sich um einen privaten oder gewerblichen Anbieter handelt. Danach richten sich auch die Verbraucherrechte. Neukunden kostenloser Online-Services wie soziale Netzwerke oder Mail-Dienste sollen ferner das Recht haben, zwei Wochen nach Vertragsabschluss davon zurückzutreten.

Europaparlament und die EU-Staaten müssten den Vorschlägen mehrheitlich zustimmen, damit sie Gesetz werden können.
dpa
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