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16.02.2018 | 09:04 | Dieselfahrzeuge 

Diesel-Dilemma der Autobauer und Kunden

Wolfsburg / Berlin - Muss man ein schlechtes Gewissen haben, wenn man ein Auto mit Dieselmotor fährt?

Dieselfahrzeuge
Am Diesel scheiden sich die Geister. Ist er der Klimaretter, der es möglich macht, die CO2-Grenzwerte zu erreichen? Oder ist er ein übler Luftverpester? Die Frage ist, ob E-Autos den Verbrenner ersetzen können - und wann. Die Hersteller stecken in der Klemme. (c) proplanta
Tausende Todesfälle sollen auf das Diesel-Konto gehen, Krankheiten der Atemwege und mit Stickoxiden verpestete Innenstädte sowieso.

Sind Fahrverbote in Städten also der richtige Weg? Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig könnte am 22. Februar eine wichtige Entscheidung treffen und den Weg frei machen für genau diese - rechtlich umstrittene - Maßnahme.

Dem Urteil bangen viele entgegen - die Autofahrer, deren gar nicht mal so alte Wagen es dann treffen könnte; die Politik, die sich um die Stickoxidbelastung lange nicht gekümmert hat; aber vor allem die Autobauer, die immer mehr darum kämpfen müssen, die EU-Grenzwerte gerade beim Klimagas CO2 zu erreichen. Aber geht das ohne Diesel?

Das ist das Dilemma, in dem die Hersteller stecken. Wollen sie den Dieselmotor ersetzen, sind sie geradezu dazu verdammt, Elektroautos so bald wie möglich zum Erfolg zu machen. Davon sind sie aber weit entfernt. Selbst wenn es gelingt, verhindert der deutsche Strommix, dass E-Autos auf Anhieb die erhofften Saubermänner sind.

Werden etwa CO2-Grenzwerte verfehlt, drohen Strafzahlungen - vom erneuten Imageschaden ganz zu schweigen. Helfen könnte dabei der Diesel, doch dessen Anteil an den Zulassungen sinkt seit langem. Der Abgasskandal sowie immer neue Enthüllungen wie Abgastests an Affen und der Verdacht auf Tests sogar mit Menschen belasten seinen Ruf schwer. Und den der ganzen Branche - wieder einmal.

Doch ist das in diesem Fall berechtigt? Die Industrie sieht die Diesel-Technik - wenig überraschend - in deutlich rosigerem Licht, nämlich als klimaschonenden, CO2-armen Retter der Branche. Für Matthias Wissmann, den scheidenden VDA-Präsidenten, ist E-Mobilität die große Lösung, aber nicht die einzige. Der Verbrennungsmotor werde noch gebraucht, auch der Diesel «in seiner modernsten Form», betont er seit Monaten. Nur: Glauben die verunsicherten Kunden das noch?

«Totgesagte leben länger», sagt Thomas Koch, Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie. Alle Fragen der Emissionen seien in den neuesten Ausbaustufen gelöst, der Diesel werde noch lange bleiben. «So lange wir das Bedürfnis haben, das Fahrzeug mehr als 100 Kilometer zu bewegen», sagt er mit Blick auf die unter realen Bedingungen oft geringen Reichweiten der E-Autos.

Dieselmotoren seien die effizienteste Variante mit Vorteilen beim CO2-Ausstoß, bei hohen Laufleistungen und der Reichweite. Partikel und Stickoxide - an Stickoxiden und der Abschaltung der Reinigung entbrannte 2015 der Abgasskandal - seien kein Thema mehr.

Zwiespältig sieht dies Branchenexperte Stephan Bratzel. Es gebe inzwischen vergleichsweise saubere Diesel, aber diese seien teuer und nicht in allen Segmenten sinnvoll. Beim CO2-Ausstoß seien Diesel mittelfristig eine Alternative, doch der hohe Verbrauch der immer zahlreicheren Stadtgeländewagen fresse den Diesel-Vorteil nahezu auf. Wandern Kunden zum Benziner ab, verschärft sich das Problem.

Also doch kostenlos Bus und Bahn fahren, wie die Bundesregierung erwägt? Was zunächst verlockend klingt, bringt ganz eigene Probleme. Völlig unklar ist etwa die Finanzierung, sollten die Städte einen kostenlosen Nahverkehr organisieren. Und: Dieser Nahverkehr müsste massiv ausgebaut werden, mit modernen und umweltfreundlichen Bussen und Bahnen. Das würde Jahre dauern.

Ist allein die E-Mobilität dann die Lösung? Koch fragt: «Warum soll der Kunde mehr ausgeben für etwas, das weniger kann?» Bei ungünstigen äußeren Bedingungen seien elektrisch oft nicht mehr als 120 Kilometer Reichweite drin, das Laden sei umständlich.

«Es ist ein Segment, aber nicht die allein selig machende Technologie. Ich glaube nicht an die Batterie als Technik der Zukunft.» Dazu kommt aus Bratzels Sicht, dass die deutschen Hersteller erst ab 2020 in der Breite E-Autos anbieten. Eine Lösung könnten günstigere Plug-in-Hybride sein.

Überhaupt, Hybride: Für Koch könnte der Diesel-Hybrid der nächste große Trend werden. Bratzel wiederum beurteilt dies skeptisch, zwei Antriebe kosteten doppelt Geld - und die Abgasreinigung sei teuer.

Seiner Meinung nach ist die Hochzeit des Diesels vorbei, in neue Dieselgenerationen zu investieren sei nur noch im Ausnahmefall sinnvoll. Selbst VW-Chef Matthias Müller regte erst unlängst an, die Steuererleichterungen für den Diesel umzuschichten - hin zu E-Autos.

Laut einer Analyse des Umweltverbunds ICCT bieten Diesel beim Klimaschutz keinen nennenswerten Vorteil mehr. Im Gegenteil, vielfach sollen Elektroautos schon jetzt klimaschonender sein als Autos mit Verbrenner. Demnach sparen E-Mobile in Europa während der ersten 150.000 Kilometer 28 bis 72 Prozent des Treibhausgases CO2 ein. Die Bandbreite ergibt sich aus der lokalen Stromproduktion. In Deutschland etwa entsteht wegen des hohen Anteils von Kohlestrom mehr Treibhausgas als in anderen Ländern.

Gleichzeitig leiden die deutschen Autohändler immer stärker unter der Diesel-Misere. «Die Autokäufer sind zutiefst verunsichert. Drohende Fahrverbote in den Ballungsgebieten machen gebrauchte Diesel fast unverkäuflich», sagt der Präsident des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe, Jürgen Karpinski. Beim Handel stünden mehrere Hunderttausend gebrauchte Diesel auf Halde, die Lage sei für einen Teil der Unternehmen inzwischen existenzbedrohend.

Klar ist trotz allem: Dieselmotoren werden noch lange im Einsatz sein. Als Schiffsantrieb sind sie vorerst wohl unersetzlich, im Schienenverkehr sowieso, als Notstromaggregate - und sogar in Flugzeugen. Aber in Autos?

Wollen die Hersteller um Fahrverbote herumkommen, müssen sie nach Einschätzung von Branchenfachmann Ferdinand Dudenhöffer Hardware-Umrüstungen für die betroffenen Wagen anbieten. Das schließt etwa Volkswagen aus - auch weil eine neue Typgenehmigung nötig sei, die viel Zeit koste. Zudem sei ungeklärt, wer die Kosten dafür übernehmen soll.
dpa
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