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30.06.2019 | 09:00 | Wettbewerbsfähigkeit 

Niedrigzinsen beschleunigen Strukturwandel in der Landwirtschaft

Halle - Bäuerliche Familienbetriebe verlieren durch niedrige Zinsen an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Großbetrieben.

Strukturwandel in der Landwirtschaft
(c) proplanta
Darauf weisen Prof. Ulrich Koester und Prof. Stephan von Cramon-Taubadel in dem Diskussionspapier „Besonderheiten der landwirtschaftlichen Kreditmärkte“ hin. Niedrige Zinsen reduzierten die Produktionskosten von kapitalintensiv erzeugten landwirtschaftlichen Produkten und seien zum Vorteil für größere Betriebseinheiten, die meist kapitalintensiver produzierten als kleinere Betriebseinheiten, heißt es in dem beim Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) erschienenen Papier. Niedrige Zinssätze könnten somit den Strukturwandel beschleunigen; diese Wirkung werde insbesondere dann eintreten, wenn Entscheidungen über die Betriebsübergabe getroffen würden.

Potentielle Betriebsnachfolger werden laut Koester und von Cramon-Taubadel bei niedrigen Zinssätzen verstärkt zu Investitionen in Sachkapital und Boden neigen und damit wahrscheinlich den landwirtschaftlichen Strukturwandel und die Abnahme der Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe beschleunigen. Bei niedrigen Zinsen und erwarteten Preissteigerungen werde die Wettbewerbsfähigkeit von bäuerlichen Familienbetrieben auf dem Pachtmarkt zugunsten von Kaufflächen absinken.

Zwar könnten Flächen, die von Nichtlandwirten erworben würden, auch an Familienbetriebe verpachtet werden; doch deutet die tatsächliche Entwicklung in der Bundesrepublik den Autoren zufolge nicht auf eine Wanderung der Flächen zu diesen Betrieben hin.

Die Erfahrung zeige, dass branchenfremde Investoren dazu neigten, größere Flächen am gleichen Standort zu kaufen und diese in bestehende landwirtschaftliche Betriebe einzubringen. Familienbetriebe seien hingegen mehr daran interessiert, im Umkreis ihres Standortes Land zu pachten und sich lokal zu vergrößern.

Möglichkeiten für Erweiterungsinvestitionen begrenzt

Für landwirtschaftliche Betriebe sind im Vergleich zu anderen Unternehmen die Möglichkeiten für rentable Erweiterungsinvestitionen begrenzt. Wie Koester und von Cramon-Taubadel ausführen, erfordert das notwendige Investitionsprojekt in der Regel nicht nur physisches Kapital in Form von Maschinen, Gebäuden oder Vieh, sondern auch eine Aufstockung der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Diese könne von den einzelnen Betrieben aber nur erweitert werden, wenn andere bereit seien, Flächen abzugeben. Daraus folge, dass die Nachfrage landwirtschaftlicher Betriebsleiter nach Krediten für Erweiterungsinvestitionen nicht nur lediglich auf einer ökonomischen Wahrscheinlichkeitsberechnung beruhe, sondern auch auf der augenblicklichen und erwarteten Situation auf dem Bodenmarkt.

Da aber keine Sicherheit bezüglich der für die Wirtschaftlichkeitsberechnung wichtigen Variablen bestehe, gehe in die Berechnungen stets auch eine subjektive Einschätzung der künftigen Entwicklung dieser Variablen ein, heißt es in dem Papier. Zugleich sei es „einleuchtend“, dass fachfremde potentielle Kreditoren häufig nicht über ausreichende Fachkenntnisse verfügten, um die vorgelegten Wirtschaftlichkeitsberechnungen zu beurteilen. Daher könne vermutet werden, dass die Finanzierung von Investitionen umso mehr von verbürgten Sicherheiten durch Eigenkapital abhängig sei, je geringer die fachliche Kompetenz der Beurteilung durch die Geldgeber sei. Wenn der Kreditnehmer sein Darlehen nicht durch relativ wertbeständiges Vermögen absichern könne, würden die Kreditoren wegen des erhöhten Risikos entweder einen höheren Zinssatz fordern oder Kredite nicht vergeben.

Hohe Eigenkapitalquote bei geringem Liquiditätsgrad

Die Nachfrage nach Krediten durch Landwirte ist nach Angaben von Koester und von Cramon-Taubadel trotz einer im Vergleich zu den gewerblichen Unternehmen relativ hohen Eigenkapitalquote durch einen hohen Anteil von Kapitalgütern mit geringem Liquiditätsgrad gekennzeichnet. Generell seien landwirtschaftliche Vermögensobjekte vergleichsweise schwierig in Geld umzuwandeln; dies gelte mitunter auch kurzfristig für Nutzflächen. Da für einen Kreditgeber die Liquiditätsnähe der zur Sicherung der Kredite zur Verfügung stehenden Vermögensobjekte von Bedeutung sei, hätten einzelne Landwirte trotz einer hohen Eigenkapitalquote nur eingeschränkten Zugang zu den Kreditmärkten.

Die große Unsicherheit bezüglich der potentiellen Investoren einerseits und der Kapitalgeber andererseits kann den Agrarwissenschaftlern zufolge auf landwirtschaftlichen Kreditmärkten zu Marktversagen führen. Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen könne die Kreditgeber anregen, die Konditionen für Agrarkredite zu erhöhen und dadurch die Nachfrager abhalten, Darlehen aufzunehmen. Das tatsächliche Kreditvolumen könne daher niedriger sein, als es aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wünschenswert wäre.

Zinsverbilligte Kredite nicht zielgerichtet

Eine Begründung für staatliche Eingriffe in ländliche Kreditmärkte kann laut den Autoren des Diskussionspapiers vorliegen, wenn die gesamtwirtschaftliche Rendite höher angenommen wird als die private Rendite. Beispielsweise könne vermutet werden, dass einzelne Landwirte weniger risikobehaftete Investitionen tätigten, als es aus gesamtwirtschaftlicher Sicht bei der Zielsetzung „Maximierung des Sozialprodukts“ wünschenswert wäre. Es sei daher nachvollziehbar, dass zahlreiche Regierungen den Landwirten zinsverbilligte Kredite zur Verfügung stellten.

Bei der Beurteilung dieser Maßnahmen stellen Koester und von Cramon-Taubadel allerdings fest, dass die Risikoaversion einzelner Landwirte dadurch nicht zielgerichtet verringert und lediglich ein Symptom des Marktversagens angesprochen werde. Zielgerichtete Politikmaßnahmen müssten auf die Ursache des Problems, in diesem Fall die Unsicherheit bezüglich künftiger Ereignisse, abzielen.

Adäquate Instrumente wären nach Ansicht der beiden Wissenschaftler die Förderung von Terminmärkten, staatlich getragene Marktvorausschauen oder subventionierte Versicherungen. Denkbar wäre auch, Kooperationen von Landwirten unterschiedlicher Produktionsrichtungen zu fördern, um auf einzelbetrieblicher Ebene einen Ausgleich der Gesamtrisiken zu ermöglichen.
AgE
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