Aber auch sie grübelt manchmal, wenn sie die kranken Tiere nicht retten darf, selbst wenn sie könnte. Denn manchmal sind Behandlungen für die
Bauern zu teuer.
Viele Kühe hätten Klauenprobleme, weil sie meist auf hartem Boden stehen - und dann geht es zum
Schlachter statt zum Tierarzt. «In der Nutztiermedizin muss man leider immer die Wirtschaftlichkeit des Tieres im Blick behalten», sagt die 36-jährige Rinderspezialistin aus Hohne in Niedersachsen. «Landwirte können nichts dafür, aber manchmal ist das hart.»
Doch die Nutztierpraktikerin hat selten Zeit nachzudenken. Viele ältere Kollegen gehen in den Ruhestand, und sie ist für immer mehr Bauernhöfe zuständig. Denn heutzutage wollen sich nach Angaben des Bundesverbands praktizierender
Tierärzte die meisten jungen Veterinäre statt auf Rinder, Schweine oder Hühner auf Haustiere spezialisieren.
Ein Hauptgrund: Seit rund 20 Jahren sind 80 bis 90 Prozent der Studierenden an den fünf tiermedizinischen Hochschulen in Deutschland Frauen - und die haben meist eine Präferenz für Hunde, Katzen und Meerschweinchen, wie Zahlen der Bundestierärztekammer zeigen. «Viele Studentinnen reiten, sie wollen allen Tieren helfen und lehnen die industrielle
Nutztierhaltung ab», sagt die Schweinefachärztin Inge Böhne, die seit mehr als 30 Jahren eine Praxis in Melle hat.
«Studenten hingegen kommen meist aus Familien mit Bauernhöfen oder Nutztierpraxen.» 2006 gab es bundesweit noch 2631 Nutztierpraktiker, im vergangen Jahr waren es 1.125 - weniger als halb so viele. Gleichzeitig gab es 2006 4.673 Ärzte für Haustiere, 2017 waren es schon 6.099. Zusätzlich gibt es Ärzte, die Haus- und Nutztiere behandeln. Zurzeit arbeiten noch etwa gleich viele Männer und Frauen als Veterinäre.
Der Präsident der Tierärztlichen Hochschule Hannover, Gerhard Greif, schätzt jedoch, dass in den nächsten Jahren mehr als 80 Prozent Frauen den Job ausüben werden. Diesen Trend beobachtet er in ganz Europa. Vor 30, 40 Jahren dominierten noch Männer den Beruf.
Dem Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, bereitet der Rückgang der Nutztierpraktiker Sorgen: «In Gebieten mit wenigen Nutztieren wird es für Landwirte immer schwieriger, gute Spezialisten für Schweine und Rinder zu finden.» An Orten mit vielen Großbetrieben mit Tausenden Hühnern, Schweinen und Rindern, gebe es zurzeit aber noch genügend Tierärzte - besonders weil es immer weniger und dafür größere
Betriebe gebe.
Für die Sprecherin vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte, Astrid Behr, ist jedoch klar: «Wenn der Trend weitergeht, wird die landwirtschaftliche medizinische
Versorgung zum Problem.»
Die meisten Nutztierpraxen sind auf dem Land und müssen 24 Stunden pro Tag für ihre Landwirte da sein, denn diese erwarten, dass ihr Doktor auch mitten in der Nacht kommt, wenn eine ihrer Kühe für eine schwierige Geburt einen Kaiserschnitt braucht. Viele Frauen wollen jedoch wegen Kindern Teilzeit arbeiten, und das geht einfacher in Kleintierpraxen. Zudem wollten viele Absolventen nicht aufs Land ziehen, nachdem sie während des Veterinärstudiums die Annehmlichkeiten der Städte Berlin, München, Leipzig, Hannover oder Gießen genossen hätten, sagt der Geschäftsführer der
Tierärztekammer Niedersachsen, Holger Lorenz.
Gleichzeitig wächst der Kleintiergesundheitsmarkt stark und bietet Absolventen viele Jobs in den Städten. Immer mehr Haustierbesitzer sind bereit, mehrere Hundert Euro für Operationen oder Computertomographie zu bezahlen. Insgesamt geben Deutsche pro Jahr mehr als zwei Milliarden Euro für Besuche ihrer Hunde, Katzen, Reptilien, Nagetiere, Vögel und Zierfische bei Tierärzten, Tierhomöopathen, Tierheilpraktikern, Tierphysiotherapeuten sowie für Medikamente aus, wie aus einer Studie der Universität Göttingen hervorgeht.
Um Tierärztinnen und Arzthelferinnen trotzdem anzulocken, bieten einige Nutztierpraxen mehr Lohn, sagt Lorenz. Durchschnittlich verdient ein angestellter Nutztierpraktiker 40.000 Euro pro Jahr - mehr als ein angestellter Heimtiermediziner, der 32.500 Euro erhält, wie Forscher der Freien Universität Berlin herausfanden.
Mehr Nutztierpraktiker entscheiden sich inzwischen in größeren Praxen zu arbeiten, die den Nacht- und Wochenendnotdienst aufteilen. Das tut auch Doktor Susanne Lier, die Mutter ist und ihre Praxis mit einer Kollegin führt und sieben Angestellte hat. «So ist die Arbeit familienverträglicher.»