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09.10.2019 | 11:00 | Tierschutzrecht 
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Tiere zu Ramschpreisen notverkauft - Staatsanwältin auf Anklagebank

Kiel - Der Fall hat große Brisanz, die Rollen sind vertauscht. Statt selbst anzuklagen muss eine Kieler Staatsanwältin seit Dienstag auf der Anklagebank im Saal 232 des Landgerichts in Kiel Platz nehmen.

Tierverkauf
Sie sollte Tiere schützen und Tierquäler belangen. Dabei soll sie das Recht der betroffenen Tierhalter gezielt gebeugt haben. Vor Gericht räumt die Angeklagte Fehler ein, sieht sich aber als Opfer. (c) proplanta
Der Vorwurf gegen die suspendierte Tierschutz-Dezernentin: Verdacht der Rechtsbeugung in mindestens zehn Fällen. Der Anklage zufolge soll die Juristin bei Tierschutzermittlungen reihenweise Rinder, Pferde, Schafe, Hunde und Hühner beschlagnahmt und zum Teil zu Ramschpreisen notverkauft haben, ohne den Besitzern das Recht auf Widerspruch vor Gericht einzuräumen.

Für die Frau in grünem Strickkleid und dunkler graublauer Jacke steht bei einer Verurteilung nicht nur die Entfernung aus dem Dienst, sondern auch Gefängnis auf dem Spiel. Rechtsbeugung gilt als Verbrechen und wird mit einem bis fünf Jahren bestraft.

Die 44-Jährige habe in der Zeit zwischen Ende 2011 und Anfang 2014 ihre Stellung dazu «genutzt, das Tierschutzrecht mit Nachdruck durchzusetzen», sagt Staatsanwalt Joachim Reinhold. «Sie entfernte sich dabei jedoch bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz.»

Bei der Beschlagnahme der Tiere spielten sich teils dramatische Szenen ab. Laut Staatsanwaltschaft umklammerte eine Besitzern auf dem Boden knieend einen ihrer Hunde. Eine andere äußerte Suizidabsichten und wurde deshalb in eine psychiatrische Klinik gebracht.

Der Fall der Staatsanwältin löste heftige Proteste von betroffenen Tierhaltern aus. Ihre Aktionen beschäftigten auch Landtagsabgeordnete und das Justizministerium. Auf Anordnung des Generalstaatsanwalts ermittelt die Itzehoer Staatsanwaltschaft gegen die Kollegin.

Die Angeklagte selbst räumt - umrahmt von ihren beiden Verteidigern aus der Hamburger Kanzlei Strate und Ventzke - Versäumnnisse ein: «Ich habe Fehler gemacht», verliest sie ihre vorbereitete Stellungnahme. «Keinesfalls aber habe ich das Recht gebeugt». Sie habe den wegen Tierschutzverstößen beschuldigten Tierhaltern «nicht bewusst das Recht beschnitten».

Die Schuld sieht sie woanders: Arbeitsüberlastung, fehlende Einarbeitung und mangelnde Kontrolle durch Vorgesetzte nennt sie als Gründe für fehlerhaftes Verhalten. «Es gab kein planvolles, geschickt angelegtes Konstrukt zur Rettung von Tieren», sagt sie. Banaler Grund sei ihr fahrlässiger Umgang mit dem Gesetz gewesen. «Keinesfalls war ich mir bewusst, dass ich schwerwiegende prozessuale Fehler beging.»

Mittlerweile sei ihr klar, dass sie den Notverkäufen beschlagnahmter Tiere nicht die notwendige Sorgfalt gewidmet habe, sagt die 44-Jährige und führt auch Eiligkeit und Arbeitsbelastung an. In ihrem Arbeitszimmer hätten sich Aktenberge an den Wänden, auf und selbst unter dem Schreibtisch getürmt. Kollegen hätten ihr wiederholt Fälle abgenommen. Sie habe sich übernommen und zu wenig delegiert. Sie habe in einigen Bereichen die Kontrolle verloren.

Eine Mitschuld sieht sie bei ihren Chefs: «Selbstverständlich habe ich es als Billigung meines Vorgehens verstanden, dass meine Vorgesetzten keine Kritik an mir übten.» Sie sei auch angesichts der massiven Beschwerden betroffener Tierhalter davon ausgegangen, dass ihr Vorgehen von Vorgesetzten, der Generalstaatsanwaltschaft und auch dem Justizministerium mehrfach überprüft worden sei.

Die Juristin schilderte, bereits in ihrem ersten Job bei der Staatsanwaltschaft Flensburg mit Problemen im Zusammenhang mit Tierschutzfällen allein gelassen und nach Beschwerden von Haltern unter Druck gesetzt worden zu sein.

Drei Jahre nach ihrem Wechsel zur Kieler Staatsanwaltschaft habe sie 2011 das Tierschutz-Dezernat übernommen. Die damalige stellvertretende Behördenleiterin habe sie darauf hingewiesen, wegen der Kosten für Unterbringung und Versorgung der beschlagnahmten Tiere Notveräußerungen rechtzeitig im Blick zu haben.

«Relevant war lediglich das Verhältnis der Kosten zum Wert der Tiere.» Ihr sei es darum gegangen, dass die Tiere in staatlicher Obhut tierschutzgerecht gehalten und gefüttert wurden. «Anders als es in der Anklageschrift erscheinen mag, lag der Schwerpunkt meiner Arbeit nicht in der Notveräußerung.»

Verhandelt wird in dem spektakulären Prozess auch der Fall eines Hühnerhalters aus dem Raum Gettorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde). 2013 habe die Staatsanwältin in seiner Abwesenheit 600 Legehennen beschlagnahmen lassen, sagt der Mann.

«Ohne richterlichen Beschluss.» Von der Staatsanwältin sei er später «abgefertigt worden wie ein Stück Scheiße». Seine Legehennen hat er nie wieder gesehen. Neben ihm nehmen zum Prozessauftakt auch andere betroffene Tierhalter Platz. Sie müssen den Gerichtssaal aber vor Beginn der Verhandlung verlassen, weil sie als Zeugen in Betracht kommen.

Ein Urteil könnte Ende März 2020 fallen. Der Hühnerhalter aus dem Raum Gettorf hofft durch den Prozess auf Genugtuung. Große Hoffnung darauf hat er aber nicht: «Ich fürchte, dass das für lau ausgeht.» Ein ebenfalls betroffener Rinderhalter sieht das ähnlich: «Ich erwarte nicht viel. Es wird alles unter den Tisch gekehrt.»
dpa/lno
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Kommentare 
Stefan schrieb am 09.10.2019 16:07 Uhrzustimmen(20) widersprechen(1)
Ist das nicht die Standard Praxis dieser staatlichen Tierschützer.
Tierschutz vorgeschoben und Menschen zu ruinieren.

Sicherlich gab und gibt es immer wieder Tierschänder, Tierquäler usw.
Aber ob diese in dieser Form in den Reihen der Landwirte zu finden sind oder waren ist eine sehr fragwürdige Angelegenheit.
Rechte hast du als Tierhalter keine.
Kalte Enteignung und Verstaatlichung ist meines Erachtens der Hintergrund. Und bei der aktuellen Politik findet dies nur Bestätigung.
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