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22.09.2019 | 17:20 | Artenvielfalt erhalten 

Volksbegehren für Insekten in Baden-Württemberg

Stuttgart - Tobias Miltenberger wurde schon so oft gestochen, dass er aufgehört hat zu zählen. Aber er spüre die Stiche auch kaum noch, weder Schmerz noch Schwellung, sagt er.

Wildbiene
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Tobias Miltenberger lebt für die Bienen. Mit einem Volksbegehren will er die Insekten im Südwesten retten. Das wird kein Spaziergang. (c) proplanta
«Bei mir passiert da nicht mehr viel.» Er nehme es den kleinen Tierchen auf keinen Fall krumm. Und erzählt gleich darauf, dass Bienengift im asiatischen Raum ja als heilsam gelte. Einmal habe er sich gar bewusst von zwei Bienen in den Nacken stechen lassen, um seine Muskulatur zu entspannen. «Bienengift ist ein wertvolles Mittel.»

Tobias Miltenberger liebt Bienen. Er ist Berufsimker. Im Sommer ist er fast täglich bei den Tieren. «Ich lebe von und mit den Bienen», sagt er. Er betreibt mit seinem Kompagnon David Gerstmeier eine eigene Imkerei, Summtgart heißt die. Dabei gehe es nicht darum, möglichst viel Honig zu produzieren, sondern auf die Bedürfnisse der Bienen zu achten.

Mit Gerstmeier gründete er außerdem das Institut proBiene, betreibt Bildungsarbeit, ist sozusagen Lobbyist für die summenden Insekten. Und im Frühjahr haben die beiden das Volksbegehren für mehr Artenschutz gestartet.

Die Faszination für die Biene packte Tobias Miltenberger in den 90er Jahren auf Reisen in Südamerika - seitdem lässt sie ihn nicht mehr los. Meist sind die Tierchen ganz entspannt, wenn er sich nähert. Er steht auf einer Obstwiese zwischen Zwetschgen- und Apfelbäumen im Stuttgarter Stadtteil Sonnenberg zwischen zwanzig kleinen Holzkisten am Boden.

In jedem Kasten lebt ein Volk - rund 40.000 Bienen gehen darin emsig ihrer Arbeit nach. Zu hören sind sie kaum. Miltenberger nimmt ein Rähmchen aus einem Kasten, etwa 1.000 Bienen krabbeln daran friedlich über die Waben. Er hält sich die Waben wenige Zentimeter vor die Nase. «Sie sehen ja, wie ruhig die sind.»

Wenn Miltenberger die Bienen beobachtet, gerät er ins Schwärmen wie ein kleiner Junge. «Hier schlüpft gerade eine!», ruft er dann etwa. Oder: «Die Farben sind der Wahnsinn!» Man könne die Biene mit allen Sinnen erleben, sagt er und strahlt. Dann erzählt er, dass die Bienen-Königin eigentlich mehr Mutter ist als Monarchin. Oder dass man historisch eher von einem «Bien» spricht als Organismus als von einzelnen Bienen, weil die Insekten ja allein nicht überleben könnten. Oder dass kein anderes Tier die ökologischen Zusammenhänge so gut aufzeige wie die Biene.

Mit einem Blick weiß er, wie es seinen gelb-schwarzen Tierchen geht - gerade alles andere als gut. Den Völkern in Sonnenberg macht eine Milbe zu schaffen. Aber der Parasitenbefall sei nur ein Symptom. «Sie liegen auch sonst auf der Intensivstation.» Weil es immer weniger Blumenwiesen gebe, werde es immer schwieriger für die Tiere, Nahrung zu finden. Dabei brauchen sie Futter für den Winter. Miltenberg hält die Waben gegen das Licht. «Da müsste eigentlich ein fetter Honigkranz sein. Aber da ist nichts», sagt er. Er muss notfüttern.

Miltenberger spricht von einer Bienenkrise. Von den rund 400 Arten der Wildbiene im Südwesten stünde ein Großteil auf der Roten Liste. Mit einem Volksbegehren will er die Bienen im Südwesten retten. Zum ersten Mal dürfen die Bürger im Land damit über einen Gesetzentwurf entscheiden.

Unter dem Motto «Rettet die Bienen» geht die Unterschriftensammlung am Dienstag los. Innerhalb der nächsten Monaten muss jeder zehnte Wahlberechtigte in Baden-Württemberg unterschreiben - das sind etwa 770.000 Menschen. Dann ist der Landtag am Zug. Wenn die Abgeordneten dem Entwurf nicht unverändert zustimmen, gibt es eine Volksabstimmung.

In Bayern stimmten bereits 18,4 Prozent der Wahlberechtigten für ein ähnliches Volksbegehren. Aber die Forderungen von Miltenberger und Gerstmeier gehen deutlich weiter. Der Anteil der Flächen, auf denen Pestizide genutzt werden, soll bis 2025 halbiert werden. In Naturschutzgebieten sollen sie verboten werden. Die ökologische Landwirtschaft soll zudem bis 2035 auf 50 Prozent ausgebaut werden.

Unterstützt wird das Begehren unter anderem von Naturschutzverbänden wie dem Nabu, von Anbauverbänden wie Demeter, von den Aktivisten von Fridays for Future. Außerdem steht der Klimaschutz unter den politischen Themen hoch im Kurs. «Wir haben schon damit gerechnet, dass das richtig Schwung aufnimmt», sagt er. Aber es gibt auch Kritik. Die Regierungsparteien Grüne und CDU betrachten das Volksbegehren teils mit Skepsis.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) äußerte sich bislang eher zurückhaltend. Mal abgesehen vom offenen Widerstand von Landwirten, Weinbauern, selbst von Imkern und aus der Biobauern-Szene. «Von einer Ökobewegung wie Bioland bin ich enttäuscht», sagt Miltenberger. Auch von seiner eigenen Partei, den Grünen, wünscht er sich mehr Mut.

Die aber kann sich am Sonntag beim Parteitag nicht zu einer uneingeschränkten Unterstützung des Volksbegehrens durchringen. Kritisch gesehen wird die Passage, in dem es um ein Pestizidverbot in Schutzgebieten geht. Das würde, so Umweltstaatssekretär Andre Baumann (Grüne), auch viele Bio-Landwirte betreffen.

Viele fürchten aber, dass ihnen das Geschäft kaputtgemacht wird. Mit grünen Kreuzen auf den Feldern protestierten nun Bauern am Bodensee und anderen Orten unter anderem gegen das Volksbegehren. Die Initiative stelle Forderungen an die Landwirte, die diese nicht mehr stemmen könnten, sagte Hubert Hengge vom Verein «Bodensee-Bauern» erst am Freitag.

Die Sorge sei groß, dass ein Pestizidverbot in Landschaftsschutzgebieten massive Folgen für den Anbau von Sonderkulturen wie Obst und Wein haben könnte. Wenn dort kein Pflanzenschutz mehr betrieben werden dürfe, bedrohe das die Existenz der Landwirte.

Miltenberger sagt, dass es nicht einfach wird, den Gesetzesentwurf durchzubringen. Er sieht sich selbst nicht als Radikaler, sondern als Idealist - und hat wenig Lust auf Kompromisse. «Die Maßnahmen sind notwendig», sagt Miltenberger zu den eigenen Forderungen. «Ich habe noch keinen besseren Vorschlag gehört.»
dpa/lsw
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