Und ahnen Sie, ob die Senf-Blauschillersandbiene in Ihrer Nachbarschaft summt?
Sie alle zählen zur «Natur des Jahres» 2019. Die eine ist Baum des Jahres, der andere Fisch des Jahres und die letzte Wildbiene des Jahres. Seit Herbst verkünden Organisationen, Verbände, Stiftungen quasi am laufenden Band Tiere und Pflanzen des Jahres 2019.
Der Naturschutzbund Deutschland listet 31 «Jahreswesen» auf: die Arzneipflanze des Jahres (2019: Weißdorn) gibt es, das Höhlentier des Jahres (Gemeine Höhlenstelzmücke) und die Gefährdete Nutztierrasse des Jahres (Schwalbenbäuchiges, Rotes und Blondes Wollschwein).
Aber auch Abstrakteres wie der Boden des Jahres (Kippenboden) und ganze Lebensräume wie das Waldgebiet des Jahres (urbane
Wälder an Rhein und Ruhr) sind dabei. Und manches - wie die Flusslandschaft des Jahres (Lippe) und das Gemüse des Jahres (Gurke) - wird gleich für zwei Jahre gewählt. Was soll das und wer soll da den Überblick behalten?
«Wenn man alle Tiere/Pflanzen/Landschaften des Jahres auflistet, dann wird es in der Tat sehr unübersichtlich», räumt Kerstin Elbing vom Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO) ein. Andererseits seien die Auszeichnungen in der Regel gut begründbar.
Jeder Verband, jede Organisation habe eigene Schwerpunkte, Zielgruppen und Kommunikationskanäle, so dass viel mehr Menschen erreicht würden als wenn man sich auf wenige Tiere, Pflanzen oder Landschaften beschränken würde. «Ich denke, da höhlt steter Tropfen den Stein - und nur sehr wenige Personen haben wirklich stets alle Einzelauszeichnungen vor Augen.» Zudem müsse man in einer Öffentlichkeitskampagne gute Geschichten erzählen können.
Denn in der Regel geht es darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen - und zwar weit über das einzelne «Jahreswesen» hinaus. So verknüpfte die Gesellschaft für Mykologie die Kür des Grünen Knollenblätterpilzes, von dem schon 50 Gramm beim Verzehr lebensbedrohlich sind, zum Pilz des Jahres mit der Forderung nach mehr öffentlicher Unterstützung für Pilzberater.
Der Deutsche Angelfischerverband betonte bei der Auszeichnung des Atlantischen Lachses, dass vor allem der Mensch die Lebensräume der Art zerstört hat. Und die Stiftung Baum des Jahres will die bei der
Renaturierung von Feuchtgebieten nützliche Flatter-Ulme neu ins Bewusstsein von Stadtplanern und Förstern holen. Wie erfolgreich solche Kampagnen sind, ist nur schwer zu messen.
Eine bedrohte Art könne nicht innerhalb eines Jahres gerettet werden, macht Birte Strobel von der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz (ZGAP) klar. «Während eines Aktionsjahres geht es in der Regel darum,
Lobbyarbeit für Tierarten beziehungsweise Themen zu betreiben, die nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen und Spenden für Schutzmaßnahmen zu generieren.»
Es werde über Missstände aufgeklärt. Die Bevölkerung und politsche Entscheidungsträger würden sensibilisiert. Das
Bundesumweltministerium erklärt dazu, dass es Kampagnenthemen und -schwerpunkte nicht bewertet.
Die ZGAP zeichnet seit 2016 das Zootier des Jahres aus und hat gute Erfahrungen gemacht. Dank der Kampagnen kämen sowohl durch die Zoos als auch durch deren Besucher viele Spenden zusammen. So konnten auch Langzeitprojekte profitieren, etwa durch neue Aquarientechnik für die Scharnierschildkröten-Zuchtstation in Münster oder neue Fahrzeuge für die Projektarbeit zum Schutz des Persischen Leoparden im Iran.
«Der Wert der Auszeichnung liegt wohl vorrangig im Bereich der Sensibilisierung und Umweltbildung - die natürlich nicht bei der Einzelart hängenbleiben darf, sondern auch den Lebensraum und die Rahmenbedingungen mit adressieren soll», erklärt Elbing. Da sei der Vogel des Jahres ein gutes Beispiel: 20 Jahre nach der ersten Wahl ist es 2019 erneut die Feldlerche, weil sich ihr Rückgang fortgesetzt hat.
Verantwortlich dafür sei intensivere Landwirtschaft mit Pestiziden und weniger Brachflächen - und die sei unter anderem Resultat der EU-Agrarförderung, so Elbing. «Und das ist ein deutlich sperrigeres Thema, das in der Breite kaum zu vermitteln ist.»
Andere Organismen wie die Spinne des Jahres und das Weichtier des Jahres würden vor allem zur Imageverbesserung gekürt, meint Elbing. Auch die Auszeichnung Mikrobe des Jahres soll vor allem falsche Vorstellungen korrigieren: Nicht jedes Bakterium macht krank.
Los ging es nach VBIO-Angaben übrigens 1971 mit dem Vogel des Jahres. 1980 folgte die Blume des Jahres (2019: Besenheide). Vor allem nach der Jahrtausendwende kamen weitere Auszeichnungen hinzu, die sich besonders auf immer kleinere Pflanzen- und Tiergruppen bezogen. Das erleichtert die Abgrenzung nicht gerade: So gibt es neben dem Vogel des Jahres seit 2014 den Seevogel des Jahres (Eiderente).
Es gibt das Insekt des Jahres (Rostrote Mauerbiene), aber auch den Schmetterling (Schachbrettfalter), die Libelle (Schwarze Heidelibelle) und eben die Wildbiene des Jahres. Da konnte sich das Wirbellose Tier des Jahres (2001 bis 2007) nicht durchsetzen. «Dies ist aber eines der wenigen Beispiele für die Einstellung der Auszeichnung», so Elbing.
Manche der Ehrungen haben Nachahmer in anderen Ländern gefunden - der Vogel des Jahres etwa in den USA. Andere wie der Bedrohte See des Jahres und die
Landschaft des Jahres werden international gekürt.
Dass das Ganze auch ein emotionales Thema ist, macht ZGAP-Sprecherin Strobel deutlich: Da die Natur mit all ihren Lebensräumen, Pflanzen- und Tierarten so bedroht sei wie nie und deren Verschwinden nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit stattfinde, habe jedes Tier, jede Pflanze, jeder Lebensraum des Jahres Berechtigung und Wichtigkeit. «Unserer Ansicht nach verdeutlicht die Vielzahl an «Jahreslebewesen» nur allzu eindrücklich die prekäre Lage unseres Planeten.»