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25.08.2018 | 06:43 | Klima- und Naturschutz 

Wir brauchen Umweltschutz - Aber wie soll er aussehen?

Kassel / Osnabrück - Weltwirtschaft und Konsum wachsen, die Autos werden zahlreicher und größer, die Wohnungen auch. Doch die Belastbarkeit der Erde hat Grenzen.

Umweltschutz
Die EU-Kommission will die Klimaziele verschärfen. Viele Menschen finden Klima- und Naturschutz wichtig. Konkret etwas zu tun, fällt aber gar nicht so leicht. Doch es gibt Lösungsansätze. (c) proplanta
Klimaforscher warnen sogar vor einer möglichen Heißzeit mit fünf bis sechs Grad Erderwärmung und mahnen eine fundamentale Neuorientierung menschlicher Werte und des Verhaltens an.

Einem umwelt- und vor allem klimafreundlichen Verhalten steht jedoch vieles im Weg: «Als Studenten fahren sie noch Rad, später bringen dieselben Menschen ihre Kinder mit dem Auto in den Kindergarten.

Wenn ich mich selbst ansehe, gibt es auch immer verschiedene Anreize, gegen den Klimaschutz», sagt Andreas Ernst, Psychologe und Professor für Umweltsystemanalyse an der Universität Kassel. «Warum soll man seine Kinder nicht in den Kindergarten fahren, wenn es andere tun? Warum soll ich etwas tun, wenn andere den Gewinn haben?» 

Ernst sieht in vielen Bereichen einen «Heute-Morgen-Konflikt»: «Morgen höre ich auf.» Das sei wie beim Rauchen, wo aber auch ein Ausstieg gelingen könne. «Menschen, die damit aufhören wollten, versuchen sich fernzuhalten von Rauchern, stellen Aschenbecher weg, lassen sich helfen, suchen Gruppen mit Gleichgesinnten.» Wichtig sei immer: «Man muss freundlich mit sich umgehen.» 

Es gebe beim Klimaschutz keine einzelne, schnelle Lösung. Auch Technologien seien keine alleinige Rettung. Der Prozess gleiche eher einer Kaskade. Sich selbst schlau zu machen sei wichtig und sich selbst mit den richtigen Menschen zu umgeben: «Sich treffen mit Gleichgesinnten, die gemeinsame Werte teilen, im Internet, in Gruppen, in Institutionen von Stadtteilen oder in der Politik», sagte Ernst - etwa mit Menschen, die eben auch mal im Anzug radfahren.

Der Klimaforscher Michael Kopatz setzt vor allem auf Vorgaben durch die Politik, die dem Verbraucher nicht die alleinige Verantwortung zuschieben sollte. «Mit dem Politikerspruch «Der Konsument entscheidet an der Ladentheke» sind die Konzerne aus dem Schneider», sagt der Autor des Buches «Ökoroutine».

Der Wissenschaftler des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie plädiert dafür, EU-weit höhere Standards einzuführen, was den Umweltschutz und Energieverbrauch betrifft. «Öko wird nur zur Routine, wenn wir die Verhältnisse verändern», betont Kopatz, der sich in Osnabrück als Kommunalpolitiker der Grünen engagiert.

Es gebe schon Fortschritte, etwa bei Vorgaben für den CO2-Ausstoß von Autos. Statt neue Straßen zu bauen, müssten aber öffentliche Verkehrsmittel ausgebaut werden. «Niemand steigt freiwillig auf den Bus um, es muss sich cleverer anfühlen», sagt Kopatz. Daher sollten Städte auch die Parkplätze in den Innenstädten verknappen. An den Flughäfen müsse die Zahl der Starts und Landungen auf den heutigen Stand beschränkt werden.

Der Forscher hofft auch darauf, dass sich Unternehmen auf gemeinsame Standards für den Klimaschutz verständigen. Notwendig sei dafür aber politischer Druck, betont Kopatz. Anonym forderten das einzelne Top-Manager sogar so ein. Er begrüßte den Vorschlag der EU-Kommission, das EU-Klimaziel zu verschärfen und damit von 1990 bis 2030 insgesamt 45 statt 40 Prozent Treibhausgase einzusparen. «Ambitionierte Ziele sind wichtig, schon durch ihre internationale Vorbildfunktion der EU». Nun müssten jedoch steigende Standards und Limits folgen.

Auch aus Sicht der Göttinger Politologin Monika Oberle sollte die Politik mehr Anreize setzen, die ein ressourcensparendes Verhalten attraktiv machen. Dies könnten kostenlose ÖPNV-Tickets, höhere Kaufprämien für Elektroautos, aber auch mehr und besser ausgebaute Radwege sein. Zudem solle Bildung für nachhaltige Entwicklung ein fester Bestandteil der Lehrpläne an Schulen werden.

Wenn Verbraucher umfassend aufgeklärt seien, würden sie einem Ölkonzern oder einem Produzenten von Billighähnchen einen Werbespruch nicht abnehmen, der die eigene Nachhaltigkeit preise, sagt Oberle. Auch Zertifikate für die Nachhaltigkeit von Produkten und Dienstleistungen seien ein sinnvoller Weg, für Transparenz zu sorgen und dafür, dass sich Nachhaltigkeit für Unternehmen lohnt.

ZDF-Umweltexperte Volker Angres ging kürzlich einen Schritt weiter und schlug vor, allen Wirtschaftsstudenten ein Semester Ökosystemlehre vorzuschreiben, damit sie die Auswirkungen ihres Handelns begreifen könnten.

Wissen sei zwar eine Grundvoraussetzung für Veränderung aber nicht hinreichend, sagt Psychologe Ernst. «In den Chefetagen der großen Konzerne gibt es exzellentes Wissen über politische Risiken, Ökologie und Klima.» Doch das genüge nicht. «Es ist ein ethisches Problem und die Frage, auf welche Seite man sich schlägt», sagt Ernst.

Politisch sei Umweltschutz oft noch angstbesetzt. Wenn man Umweltschutz wirklich ernst nimmt, bedeute das auch Verzicht. «Es gibt keine wachsende Wirtschaft ohne wachsenden Ressourcenverbrauch.

Null-Wachstum ist aber für die Politik ein Rotes Tuch, man fürchtet soziale Unruhen», sagt Ernst. Eine schrumpfende Wirtschaft sei aber nötig, um Umwelt und Klima ausreichend zu schützen. «Wir werden auf Dinge verzichten und wir werden mit weniger Dingen zurechtkommen in einer demokratischen Gesellschaft, das ist meine Vision.»

«Im Kern ist nachhaltige Entwicklung eine kulturelle Herausforderung», betont Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts, denn letztlich gehe es um die Idee, allen bald zehn Milliarden Menschen auf der Erde ein gutes Leben zu ermöglichen, ohne nachfolgende Generationen zu gefährden. Sein neues Buch «Die Große Transformation - Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels» versteht er als Kursbuch, wie eine solche Veränderung gelingen kann. Es gehe um «Zukunftskunst».

Mut zieht er aus den Analysen des US-Philosophen Kwame Anthony Appiah zur Abschaffung der Sklaverei oder zum Frauenwahlrecht: Die verliefen von der Ignoranz des Themas über Anerkennung des Problems bis zum Handeln und mündeten schließlich im Unverständnis darüber, dass die Praxis all die Jahre bestehen konnte. Wir seien beim Klimaschutz gerade in der Phase der Anerkennung mit Verhaltensänderungen von Teilen der Bevölkerung.

«Jede große Transformation ist letztlich eine moralische Revolution», schreibt Schneidewind. Unser heutiges Wirtschaftssystem mit dem Glauben an unbegrenztes Wachstum lasse die natürlichen Grenzen außer Acht. Nötig sei hier ein tiefgreifender Wertewandel. So sollten etwa die Preise der ökologischen Wahrheit entsprechen. Solange die Kosten für den Umweltverbrauch oder für Abfälle nicht genügend einberechnet würden, «wird sich Kreislaufwirtschaft nicht von allein durchsetzen.»

Wie weit Deutsche von einem nachhaltigen Leben entfernt sind, zeigt Schneidewind anhand des «Ökologischen Rucksacks»: Allein die Herstellung eines Smartphones benötige 110 Kilogramm an Material - etwa an Rohstoffen für die Elektronik. Nachhaltig seien in Deutschland 8 Tonnen Rohstoffverbrauch pro Mensch und Jahr, derzeit liege der Schnitt jedoch bei 30 Tonnen.

Mit dem Online-Rechner www.ressourcen-rechner.de kann jeder seinen Lebensstil anonym im Internet eingeben und grob seinen «Ökologischen Rucksack» ausrechnen lassen. Bei den zehn Prozent Nutzern mit dem geringsten Verbrauch waren es im Schnitt rund 14,4 Tonnen pro Jahr. Die zehn Prozent mit den höchsten kamen auf 41,6 Tonnen pro Jahr. Zusatzantworten von 50.000 Nutzern zeigten, dass Unterschiede beim Rucksack keinen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit hatten.

Schneidewind will mit dem Buch Lust auf Veränderungen machen und Leser zur «Selbst-Transformation» ermuntern. «Denn jede Transformation beginnt mit individuellen Pionieren des Wandels».
dpa
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