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06.12.2009 | 07:30 | Ernährung & Gesundheit  

Der Denkfehler mit der Nulltype

Bonn - Interview mit dem Diplom-Ernährungswissenschaftler Dr. Heiko Zentgraf von der Vereinigung Getreide-, Markt- und Ernährungsforschung (GMF)

Der Denkfehler mit der Nulltype
Man hört immer wieder, helle Mehle und Weißmehlprodukte seien ungesund, weil sie keine Nährstoffe liefern. Was sagt dazu der Ernährungswissenschaftler?

Dr. Zentgraf: Niemand wird oder will in Abrede stellen, dass Vollkornprodukte die höchste Nährstoffdichte unter allen Mahlerzeugnissen aufweisen. Aber es ist fachlich einfach falsch, helle Mehle als „nährstoffarm“ oder gar „nährstofffrei“ zu bezeichnen, wie das leider gelegentlich sogenannte - und oft selbst ernannte - Experten tun. Der Gehalt an den Makronährstoffen Stärke-Kohlenhydrate und Eiweiß ist in hellen Mehlen sogar höher als in Vollkornprodukten. Das ist ja schließlich eine der lebensmitteltechnologischen Grundlagen für die bekannt guten Backeigenschaften der Mehle mit den niedrigen Typenzahlen. Der Fettgehalt ist dagegen in Vollkornprodukten höher, weil dafür der fetthaltige Keimling mit vermahlen wird.


Und wie ist das bei den Mineralstoffen? 

Dr. Zentgraf: Die Aussage „keine Nährstoffe in Weißmehlen“ ist gerade bei den Mineralstoffen ganz klar eine Fehlinformation. Den Tatsachenbeweis liefert die Mehltypenzahl, beispielsweise für unsere Brötchenmehle mit der Weizentype 550: Die Zahl gibt nach der für Mahlerzeugnisse geltenden DIN-Norm als Produktinformation an, wie viel Mineralstoffe pro 100 g Mehl enthalten sind. In diesem Beispiel für Brötchenmehl also im Mittel 550 mg, mit einer möglichen Schwankungsbreite von 510 bis 630 mg. Das ist ziemlich exakt ein Drittel des Mineralstoffgehaltes von vollem Korn. Nach Untersuchungen am Institut für Sicherheit und Qualität bei Getreide des MRI (Detmold) liegt nämlich der Mineralstoffgehalt von ganzen Weizenkörnern im Fünfjahresmittel bei 1.670 mg - bestimmt im Rahmen der amtlichen „Besonderen Ernte- und Qualitätsermittlung“ an repräsentativ gezogenen Getreideproben aus ganz Deutschland. Auf der anderen Seite müsste ein als „nährstofffrei“ bezeichnetes Mehl dagegen nach DIN-Norm eigentlich die Typenzahl „000“ tragen - und so etwas gibt es in Deutschland überhaupt nicht!


Aber Vitamine und Ballaststoffe sind doch in den Schalen der Getreidekörner…?  

Dr. Zentgraf: Das stimmt im Prinzip, zumindest zum überwiegenden Teil. Die verdauungsfördernden unlöslichen Ballaststoffe kommen hauptsächlich in den Randschichten vor. Allerdings haben Getreideforscher auch im Mehlkörper des Korninneren Ballaststoff-Fraktionen lokalisiert, vor allem die stoffwechselaktiv-löslichen. Und außerdem sind selbst in den hellsten Mehlen immer gewisse Anteile von mehlfein zerkleinerten Schalenteilchen drin, weshalb der historische Begriff „Auszugsmehle“ lebensmitteltechnologisch überholt ist.

Denn für die hellen Typenmehle - wie sie richtigerweise zu bezeichnen sind - wird nichts „herausgezogen“, sondern das Getreide wird in mehreren Mahlpassagen „durchgemahlen“, wie es müllereitechnisch heißt: Zusammen mit den Mineralien aus den Randschichten des Korns kommen daher durchaus respektable Mengen B-Vitamine und Ballaststoffe als „Mit-Passagiere“ in die hellen Mehle. Das führt beispielsweise dazu, dass selbst nach den sehr restriktiven EU-Richtlinien alle Typenmehle korrekterweise als „Ballaststoffquelle“ bezeichnet werden können, denn sie enthalten mehr als die für dieses Prädikat notwendigen drei Prozent - und damit auch mehr als die meisten Obst-  oder Gemüsesorten, deren Gesundheitswert ja wohl niemand in Frage stellen würde.


Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus für die alltägliche Ernährungspraxis?  

Dr. Zentgraf: Nehmen wir einmal den - bei unseren deutschen Verzehrsgewohnheiten ganz untypischen und damit eigentlich eher rein theoretischen - Fall an, jemand würde immer und ausschließlich Brötchen, Weißbrot oder andere Backwaren aus der Weizenmehltype 550 essen: Selbst dann würde die tägliche Durchschnittsportion bei Ballaststoffen, den getreidetypischen B-Vitaminen Thiamin und Niacin oder den wichtigen Mineralstoffen Eisen und Zink 20 bis 30 Prozent des empfohlenen Nährstoffbedarfs decken. 

Selbstverständlich könnten wir mit mehr Vollkorn die tägliche Aufnahme an Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen aus Getreideprodukten noch deutlich steigern, was ernährungs-wissenschaftlich durchaus wünschenswert wäre - aber das ist unter anderem auch eine „Geschmacksfrage“: Die Verbraucher haben bei unserer Vielfalt von Mahlerzeugnissen und Backwaren die Wahl - und eine Auswahl, die keine Wünsche offen lässt... (GMF)
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