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29.09.2019 | 15:19 | Hat das Wetter seine Unschuld verloren? 

Gespräche über's Wetter plötzlich ein heikles Thema

München - Schietwetter? Na klar! Goldener Herbst? Auch kein Problem! Früher war das Plaudern über's Wetter selbstverständlich.

Gespräche über's Wetter
Religion und Politik waren früher die Themen, die man beim Small Talk unbedingt meiden sollte. Wetter aber galt als sichere Bank. Hat sich das in Zeiten von Klimawandel, Greta und Fridays for Future geändert? (c) proplanta
Doch wer heute beim Small Talk nicht aufpasst, findet sich plötzlich in einer Diskussion über Klimawandel, CO2-Ausgleichszahlungen, Umweltaktivistin Greta Thunberg und freitags demonstrierende Schüler wieder. Hat das Wetter seine Unschuld verloren?

«Die Politisierung des Privaten schreitet voran», sagt Anna Wagner, die an der Universität Augsburg zu öffentlicher Kommunikation forscht. Wie bei Ernährung und Gesundheit gehe es in der öffentlichen Debatte bei Wetter und Klima immer häufiger um das Individuum: Was kann der Einzelne tun, wie muss er sich anders verhalten? «Auch in den sozialen Medien wird individuelles Verhalten bewertet», sagt sie. Tabuisierungen könnten zudem dazu führen, dass sich Menschen mit gegensätzlicher Meinung dort nicht mehr trauten, diese zu äußern.

Auch Uwe Kirsche vom Deutschen Wetterdienst (DWD) hat den Eindruck, dass bei Gesprächen über das Wetter immer öfter auch Klimawandel mitschwingt. «Da hat sich was gedreht. Da ist ein Fragezeichen hinzugekommen: Könnte das schon mit Klimawandel zusammenhängen?», sagt er. Und: «Die Frage wird zu Recht gestellt.»

Doch seien die Menschen aufgeklärter: «Da ist mit Fridays for Future noch mal Schwung reingekommen», so Kirsche. Der DWD wolle dieser Entwicklung folgen und ab kommendem Jahr häufiger Einschätzungen geben, inwieweit bei Wetterphänomenen jeweils der Klimawandel eine Rolle spiele.

Das steigende Interesse an dem Thema spürt auch Meteorologe und TV-Moderator Sven Plöger, der immer mehr Zuschriften von Zuschauern dazu bekommt - inklusive Bitten, «dass ich ihnen die Klimawandelwelt erkläre». «Ganz oft werde ich gefragt: Ist das, was wir gerade erleben, noch Wetter oder schon Klimawandel? Warum bleibt ein Hoch oder Tief so lange?», erzählt Plöger.

«Von Seiten der Zuschauer spüre ich ganz deutlich, dass sie fühlen, dass sich da etwas ändert.» In den Debatten gebe es viel Unsicherheit. Das könne auch daran liegen, dass naturwissenschaftliche Themen generell schwierig seien.

Dass das Phänomen an sich nicht so neu ist, zeigt Zukunftsforscher Horst Opaschowski. 1994 schrieb er mit Blick auf Wetterextreme wie einen Jahrhundertsommer im selben Jahr und einen auffällig kalten Mai 1991: «Immer mehr Bundesbürger entwickeln eine neue Angst - die Furcht vor dem Wetter. Eine Art Wetterphobie lässt die Menschen glauben, dass das Wetter nicht mehr normal sei.»

Nun sei das 21. Jahrhundert ein Zeitalter der Extreme geworden, so Opaschowski. Die Bevölkerung empfinde Wetterextreme als «Vorboten des Klimawandels», schreibt er in seinem neuen Buch «Wissen, was wird».

83 Prozent der Deutschen stimmten der Auffassung zu: «Klimawandel und Wetterextreme werden zur größten Bedrohung der Zukunft.» Die Deutschen würden auch sensibler für Langfristfolgen: Gerade Familien mit Kindern hätten vorrangig das Wohlergehen der nächsten Generation im Blick und machten sich die größten Sorgen.

Kein Wunder also, wenn der locker-flockige Austausch übers Wetter zur hochpolitischen Debatte wird? Wenn man nicht mehr gemeinsam über ein verregnetes Wochenende schimpfen oder die nächsten Sonnenstrahlen herbeisehnen kann, ohne dass ein imaginärer Donald Trump auf der einen Schulter und Greta Thunberg auf der anderen sitzen?

Ganz so schlimm ist es nicht, da sind sich alle einig: Wetter taugt weiter als Small-Talk-Thema. «Der Gesprächspartner ist entscheidend», sagt Kommunikationsforscherin Wagner. «Wenn ich mit Tante Erna über das Wetter rede, ist das etwas ganz anderes als mit einem Kollegen, der militanter Klimaschützer ist.»

Der Sprachwissenschaftler Philipp Dankel von der Universität Basel sagt, es sei zwar möglich, dass sich Small-Talk-Routinen ändern und spezifische Small-Talk-Themen häufiger mit gesellschaftspolitischen Fragen verknüpft werden. Aber: «Im Small-Talk spielt auch Höflichkeit eine große Rolle.» Das könne dazu führen, dass man zwar über Urlaub spricht, «aber darauf aufbauend keine Diskussion über die CO2-Bilanz vom Zaun bricht». Oder man meide das Thema einfach. Ähnlich sagt Wagner: «Zum Schutz der sozialen Beziehung werden Themen mitunter ausgeklammert.»

Agnes Anna Jarosch vom Deutschen Knigge-Rat sagt: «Es ist sehr sinnvoll, beim Small Talk einen großen Bogen um Themen zu machen, die polarisieren.» Es sei denn, man weiß, dass das Gegenüber gleicher Ansicht ist. Dann könne das sogar zusammenschweißen. «Jeder kann steuern, in welche Richtung ein Gespräch läuft», so Jarosch.

Wer keine Lust auf Klimawandel-Diskussionen habe, könne etwas Allgemeines sagen wie: «Interessant, was in der Welt vorgeht». Oder ein Schlagwort suchen, um umzulenken - bei Gretas Reise nach New York etwa: «Apropos segeln, das will ich auch lernen.»
dpa
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