Die Abschlussarbeit in einem Unternehmen der Landmaschinenindustrie zu schreiben, war schon mein Ziel, bevor ich das Bachelorstudium Agrarwissenschaften mit Fachrichtung Agrartechnik im Oktober 2008 begann. Der Plan ist zwar aufgegangen, doch Improvisieren gehört dazu! Wie kommt man also zu einer praxisrelevanten Bachelorarbeit, die nicht in der Schublade landet?
Obwohl im heimischen Ackerbaubetrieb ein hellgrüner Mähdrescher und dunkelgrüne Schlepper mit roten Felgen dominieren, war ich offen für jede Landmaschinenmarke. Nach einem längerem, informativem Gespräch mit Herrn Prof. Dr. Köller, Leiter des Instituts für Verfahrenstechnik in der Pflanzenproduktion, ging ich mit drei E-Mail Adressen nach Hause. Die besten Erfahrungen hinsichtlich Betreuungsqualität hatte mein Professor mit der Firma John Deere gesammelt, zudem ist die geringe Distanz zum Studienort sehr vorteilhaft. Die drei Kontaktdaten waren von den John Deere Standorten:
Also, drei E-Mails mit Lebenslauf, Notenspiegel und Zeugnissen in die unbekannte Firmenwelt losgesandt und prompt kam zwei Tage später eine Antwort aus Zweibrücken.
Einen Monat später, nach den Weihnachtsferien 2010 / 2011 saß ich auch schon im Vorstellungsgespräch. Die zwei unbekannten Herren vom technischen Marketing für Mähdrescher, die sich einige Zeit später als sehr nette Kollegen entpuppten, gingen zunächst gar nicht richtig auf mein Anliegen der Abschlussarbeit ein. Sinngemäß zitiert kam ein Statement: „Für die Abschlussarbeit, da finden wir schon ein Thema. Aber hätten Sie nicht von Februar bis Juni Zeit für ein Praktikum? Erst mal ein paar Wochen zum Kennenlernen und Einarbeiten in Zweibrücken. Anschließend für 1,5 Monate nach Portugal für ein Event, auf dem über 100 neue Produkte und Systemlösungen vorgestellt werden und 5000 Besucher (größtenteils Vertriebspartner / Händler) erwartet werden.“ Das hörte sich verdammt verlockend an.
Am Zeitplan noch ein bisschen hin und her gedreht, begann ich im April die ersten 6 Wochen Praktikum in Zweibrücken. Während dieser Zeit habe ich eine Marktrecherche gemacht, ein Kabinenbenchmark und diverse PowerPoint Präsentationen erstellt und aktualisiert – genau wie ich mir die Aufgaben im Marketing vorgestellt hatte. Doch zum Praktikum im technischen Marketing gehörten auch praktische Arbeiten wie das Lackieren (Ausbessern) von Schneidwerken und Mähdrescher Prototypen.
Eine Woche vor meinem Abflug in den Süden begann die Verladung der Maschinen und Ausstellungsstücke auf LKW, die sich nun über 2000 km durch Frankreich und Spanien auf den Weg nach Lissabon machten. Nach und nach wurde es im sonst 10-Personen Büro voller, bis ich schließlich drei Praktikanten-Kollegen hatte. Das Hauptanliegen der Abschlussarbeit war noch immer ungeklärt, doch von diesem Zeitpunkt (Mai) bis zum geplanten Beginn der Abschlussarbeit (September) blieb noch genügend Zeit. Die Story von Portugal
Am Sonntag, den 15. Juli 2011 ging der Flieger von Frankfurt nach Lissabon. Mit mir die drei neu gewonnen Praktikanten-Kollegen und zwei Techniker von den John Deere Werken Zweibrücken (JDWZ). Angekommen in Lissabon sollte es mit zwei Mietwagen zum Hotel gehen. Zunächst war etwas bei der Buchung schief gelaufen. Doch nach STUNDENLANGER Diskussion im gebrochenen Englisch des portugiesischem Personals und meinem ungeübtem Schul-Englisch, hatten wir immerhin statt dem geplanten Partybus und einem Kombi endlich zwei Kombis als fahrbaren Untersatz.
Raus aus dem engen Parkhaus kamen wir direkt in den „Todeskreisel“. Ein ca. 5-spuriger Kreisel, auf dem weder Fahrbahnmarkierungen noch Verkehrsregeln erkennbar waren. Doppelt Glück: Ich saß nicht am Steuer und das andere Auto fuhr voraus. Mit einem Hupkonzert der anderen Autos wurde unser Fahrer netterweise auf die rote Ampel im Kreisel hingewiesen, die unsere Kollegen soeben (glücklicherweise unbeschadet) passiert hatten. Chaos pur!
„Wow!“ wir sind am Hotel angekommen und jeder von uns hat ein Doppelzimmer für fünf bis sechs Wochen incl. leckerem Frühstück, Waschservice und einem Balkon. Zudem zwei Mietwagen für sechs Personen, die uns fast uneingeschränkte Mobilität zusichern. Sind wir jetzt im Urlaub oder zum Arbeiten hier? Zum Erfahrungen sammeln natürlich.
Der Alltag in Portugal
Morgens um 6 Uhr gibt‘s Frühstück, um 7 Uhr geht es los von „Vila Franca de Xira“ über den Tejo auf die 20.000 ha Farm „Companhia das Lezírias“ (http://www.cl.pt/htmls/en/home.shtml). Hier wurden wir rundum mit leckerem Mittag- und Abendessen versorgt. Außerdem haben wir täglich literweise stilles Wasser und Lipton Ice-Tea aus Dosen geschlürft, um unseren Wasserhaushalt bei sommerlichsten Temperaturen auszugleichen.
Die ersten zwei Wochen haben wir die Maschinen abgeladen, Showelemente montiert und platziert und zugesehen, wie andere deutsche Firmen ein Zelt nach dem anderen aus dem Boden sprießen ließen und in einen High-Tech Showroom verwandelten.
Koordiniert über Funk von einer Theater-Crew, haben wir mit sämtlichen Maschinen (vom Rasenmäher über selbstfahrende Feldspritzen bis zum Mähdrescher) eine 2-stündige Opening Show eingeübt. Wir sind natürlich die Mähdrescher gefahren. Die vollbesetzte Bühne fasste 800 Personen und die Lichtanlage hat während der 3-wöchigen Show jeden vierten Tag den sandig-staubigen Ort zusammen mit einem riesigen Drehteller (drehbare Bühne) zu einem großartigen Schauplatz verwandelt.
Doch so schön sich das anhört, vor jeder Show wollten die zahlreichen Maschinen von uns und den ca. 40 – 50 portugiesischen Studenten von Staub und Dreck befreit werden – saubere Maschinen gehören zum Marketing dazu.
Während der 2-wöchigen Aufbauphase, 3-wöchigen Show und einer Woche Abbau bin ich jede Menge Mähdrescher gefahren, musste meine Englischkenntnisse in einem Vortrag auf die Probe stellen und konnte trotz knapper Zeit die wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Lissabon erkunden. Letztendlich war die Arbeit auf der Station für Mähdruschvorsätze der Schlüssel zu meiner Abschlussarbeit.
Abschlussarbeit
Der erste Schritt war getan. Nach diesem „Kennen-lern-Praktikum“ lief es mit der Abschlussarbeit wie am Schnürchen. Ein Kollege aus Zweibrücken vermittelte mich, nach meinem Wunsch, an das strategischen Marketing im Deere & Company European Office in Mannheim. Inzwischen habe ich für meine Abschlussarbeit und einer weiteren Studie mit über 30 Landwirten zwei- bis vierstündige Interviews in Deutschland, Dänemark, Großbritannien, Spanien und Ungarn geführt. Wertvolle gebündelte Einblicke, als hätte ich auf jedem Betrieb, in jedem Land einige Zeit ein Praktikum absolviert.
Herausforderung
Zeitlich hat sich das Praktikum in Zweibrücken / Portugal vollständig mit der Vorlesungszeit des sechsten Semesters überschnitten.
Ein Dank an die Hohenheimer Dozenten. Nach Gesprächen mit dem Prüfungsamt und einigen Professoren brauchte ich bei meinen Wahlmodulen nicht anwesend zu sein und konnte sogar zwei Prüfungen von Blockmodulen, die im Mai stattgefunden hätten, zum nicht-regulären Termin als mündliche Prüfung im Juli ablegen. Das ermöglichte mir meinen straffen Zeitplan umzusetzen.
Fazit
Es hat sich gelohnt. Auch wenn es durch das Praktikum eine zeitliche Herausforderung geworden ist die drei nicht-besuchten Vorlesungen innerhalb von vier Wochen aufzuarbeiten und anständige Ergebnisse dabei zu erzielen, ist mein Plan aufgegangen. Es bleiben eindrucksvolle Erinnerungen und Erfahrungen, die für mich persönlich, wie auch beruflich von großem Nutzen sind und sein werden.
Übrigens: Eine Bachelorarbeit im Unternehmen hat sehr schnell den Umfang einer Masterarbeit. Insgesamt hat sie bei mir 7 Monate in Anspruch genommen. Das ist kein Nachteil, man muss es aber bei der Planung berücksichtigen!
Tipps:
- Früh genug mit der Planung los legen. Ich habe mich im Dezember beworben, um im September die Abschlussarbeit zu beginnen.
- Statt teuren Praktikumsprogrammen, Flugkosten und Übernachtungskosten lieber eine Win-Win Situation schaffen und ein Praktikum in einer international tätigen Firma absolvieren. Das Unternehmen bekommt kostengünstige Unterstützung und du bekommst eine Auslandserfahrung in der jegliche Unkosten erstattet werden. Zusätzlich gibt es noch einen kleinen Lohn oben drauf.
- Die Professoren finden Gefallen an motivierten Studenten. Legt eure Absichten dar, wenn nötig, verhandelt mit dem Prüfungsamt um euch eure Freiräume zu schaffen. Nichts ist unmöglich!
Für Interessierte, mein detaillierter Zeitplan:
- Dezember 2010 Bewerbung
- Januar 2011 Vorstellungsgespräch
- Febraur Prüfungen des 5. Semesters
- März 3½ Wochen Stallbaublock in den Semesterferien im März (Pflicht)
- April – Juni Praktikum Zweibrücken / Portugal
- Juli Prüfungen des 6. Semesters
- August Ernte auf elterlichem Betrieb
- September 2011 Beginn der Abschlussarbeit
- März 2012 Ende der Abschlussarbeit
Wenn du bis hier her gelesen hast, dann musst du auch unbedingt das Video zum Event anschauen:
2009 Nach der Landwirtschaftslehre absolvierte ich ein dreimonatiges Praktikum auf dem Betrieb Chiavassa in Argentinien, was für mich sehr interessant und aufschlussreich war, da ich viele neue Eindrücke gewinnen konnte.