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Wohin gehen wir jetzt
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Wohin gehen wir jetzt

Beschreibung: Nach einer fünftstündigen Flugreise aus Wien und einem Zwischenstopp in Istanbul, erreichte ich den Rafic Hariri Flughafen müde, aber entspannt. Die Aufgeregtheit, die ich bei meinem ersten Flug ein Jahr zuvor in Libanons Hauptstadt verspürt hatte, war verflogen. Nachdem ich die Passkontrolle ohne größere Befragung durchschritten hatte, und die Zollbeamtin ein Einmonatsvisum in meinem Pass stempelte, schritt ich fast schon routiniert zum Ausgang und fing sogleich mit den auf mich hereinstürzenden Taxifahrern und ihren Unterhändlern zu handeln an. Nach großem Gezetere einigte ich mich auf immer noch überhöhte L£ 20,000 anstatt der verlangten US$45. Schnell wurde meine Tasche davongetragen und ich zu einem klapprigen, abseits geparkten Mercedes geführt.

Ein müdes Lächeln entglitt mir beim Einsteigen in das Gefährt, ich dachte unwillkürlich an den deutschen TÜV und schüttelte leicht den Kopf. Wir ratterten los. Ich bat den Fahrer um eine Zigarette, rauchte, schaute hinaus an die langsam vorbeiziehenden Häuser Süd Beiruts. Der Aschenbecher und der Fenstergriff fehlten, die Asche fiel auf den Taxiboden. Das Radio spielte einen Song aus längst vergangenen glorreichen Zeiten Beiruts und im hier und jetzt, redete mein Taxifahrer, trotz oder gerade wegen meines brüchigen Arabisch ohne Unterlass auf mich ein. Ich lehnte mich zurück, blas den Rauch aus und schaute wortkarg auf die Fassaden der Stadt, die sich im dämmrigen Licht der Abendbeleuchtung abzeichneten. Ich war wieder in Beirut.

Mein neues Zuhause lag im sunnitischen Westen der Hafenstadt. Ich teilte mir die geräumige Wohnung mit vier anderen Europäern, die alle für die gleiche NRO tätig waren. Am ersten Morgen nach meiner Ankunft traf ich Melek, die Chefin der NRO, eine resolute und freundliche Mitfünfzigerin, mit hell strahlenden blauen Augen und blonden Strähnen im brünetten Haar. Ihre Organisation engagiert sich für benachteiligte Kinder und Jugendliche im Libanon, insbesondere für palästinensische Flüchtlingskinder. Das Büro lag in Hamra, dem multikulturellen Zentrum der Stadt. Der Fußweg von der Wohnung führte vorbei an zerschossenen Häuserwänden und neuen in die Höhe schießenden Glasbauten, an Gemüseständen und an Filialen einer schwedischen Modekette. Die traditionellen Viertel Beiruts verschwinden, das ehemalige „Paris des Ostens“ wandelt sich rasant. Frauen mit Kopftuch schlenderten Seite an Seite mit Frauen in High Heels und Minirock. Die Sprache der Straße schwankte hörbar zwischen Arabisch, Französisch und Englisch.

Melek war wie immer geschäftig. Nach kurzer Wartezeit empfing sie mich in ihrem geräumigen Büro und wir nahmen auf der Ledercouch Platz. An diesem Morgen berieten wir uns über meine bevorstehende Aufgabe: „Tell me, Jasmin, how do you want to do it?“. Melek präsentierte ihr Stück Land im Norden Libanons. 13ha braches Ackerland in Akkar, einer der ärmsten Regionen des Mittelmeerstaates. Für ihre Organisation Unite Lebanon Youth Project (ULYP) wollte sie dieses Land urbar machen und zusammen mit den Kindern und Jugendlichen einen Ort der Nachhaltigkeit schaffen. Sie hatte mich engagiert, nachdem ich im Sommer 2011 für ihre NRO im Sommercamp Mathematik unterrichtet hatte. Ich erfuhr damals von ihren Plänen und bat spontan meine Hilfe an. Ich hatte internationale Forstwirtschaft und Bodenkunde in Deutschland und Österreich studiert und war auch schon beruflich im Nahen Osten tätig geworden. Nachdem ich im darauffolgenden Winter mein Masterstudium abgeschlossen hatte, kontaktierte ich Beirut und flog in die Levante.

Dort angekommen durchforstete ich das Internet nach einschlägiger Literatur und kontaktierte örtliche NaturwissenschaftlerInnen, deren Publikationen zum Thema nachhaltige Agrarwissenschaften mir positiv aufgefallen waren. Zu meiner Freude, erhielt ich Rückmeldung von einem enthusiastischen Nutztierwissenschaftler der American University of Beirut (AUB). Wir trafen uns gleich am nächsten Tag. 

Von der Bliss Street in Hamra durchschritt ich das alte steinerne Tor und wurde sogleich vom Sicherheitspersonal aufgehalten. Als Nicht-Studentin musste ich eine Sicherheitskontrolle passieren, fand mich aber alsbald auf dem altehrwürdigen Campus in Ras Beirut wieder.  Wenige Schritte vom Haupttor entfernt war der Blick frei auf den darunterliegenden Sportplatz und auf das, sich hinter der Corniche ausbreitende Mittelmeer. Die AUB ist die älteste amerikanische Hochschule im Nahen Osten. Sie wurde 1886 gegründet und hielt auch während des Bürgerkrieges ihren Betrieb aufrecht. Heutet bietet die private Alma Mater ca. 8000 StudentInnen die Möglichkeit einen auch in Amerika anerkannten Bachelor, Master oder PhD Abschluss zu machen.

Der Professor empfing mich herzlich. Sein kleines, vollgepacktes Büro lag im „neuen“ Trakt der Universität. Die Klimaanlage lief, das Fenster stand offen. An der Wand hingen vergilbte Bilder von einer texanischen Farm, ein alter Kalender: ein Pärchen an der Beirut Promenade während des Bürgerkrieges, im Hintergrund eine detonierende Bombe. Der kleine hölzerne Schreibtisch lag voll mit Büchern und Dokumenten, die Regale wiesen alte Hochschulschriften über Nutztierhaltung und verstaubte Memorabilien auf. Der Professor lachte viel. Wir sprachen über Beirut, den Libanon, die Uni, den Krieg, die Diaspora. Wir diskutierten über Möglichkeiten und Grenzen des anstehenden Projektes. Der Professor war daran interessiert, die Fläche als Pilotprojekt zu nutzen, um anderen in der Region interessierten Bauern zeigen zu können, wie man nachhaltig, unter den sich verändernden Klimabedingungen den Boden bewirtschaften kann. Zudem arbeitete er an einer Initiative, um ähnlich gesinnte Akteure im arabischen Raum miteinander zu vernetzen.

Vom Gespräch beflügelt,  initiierte ich eine Kooperation zwischen einem Department meiner Universität in Wien und seinem Department an der AUB. Der libanesische Professor war bereit mich vor Ort zu betreuen. Durch ein wenig Glück und Überzeugungsgeschick erhielt ich ein befristetes Forschungsstipendium von meiner österreichischen Universität. Ich inskribierte mich für ein Landwirtschaftsdoktorat. Der Arbeitstitel: A sustainable model for ecofarming. A case study in Akkar.


Zunächst sah es ganz gut aus:

An der Universität bildeten wir eine Arbeitsgruppe: ein Landschaftsplaner, der an der AUB lehrte, eine Agraringenieurin, die für die größte nationale NRO Libanons arbeitete, ein Agraringenieur, der am Litani Fluss ein internationales Projekt betreute, der Professor und ich. Den Agraringenieur hatte ich in einer der vielen Bars in Beirut kennengelernt. Es stellte sich heraus, dass er an der AUB studiert hatte und in Akkar einen Hof besaß und bereits erste Anstrengungen zur Permakultur unternommen hatte. Ich holte ihn, nach Rücksprache mit der AUB, mit ins Boot.

Wir trafen uns in wöchentlichen Abständen, um über die Fortschritte des Projekts zu diskutieren. Die Lage war schwierig. Eine der ersten Dinge, die ich lernte, war, dass im Libanon alles politisch ist. Zum Beispiel erwies sich das Land der NRO als schwer zugänglich. Die Topographie war weniger das Hindernis als soziale Ressentiments der Ortsansässigen. Der 15jährige Bürgerkrieg hatte Flucht und Vertreibung verursacht. Das Katasteramt fiel den Flammen zum Opfer und 2012 waren viele Besitzansprüche noch ungeklärt. Fast jede Woche wurden irgendwo Menschen ausquartiert. Die neu-Enteigneten verbrannten oft Reifen auf den Hauptverbindungsstraßen, um Ihrer Wut und Ohnmacht Ausdruck zu geben.

Das Land der NRO grenzte an ein in Bürgerkriegszeiten neu entstandenes Dorf. Die Grundstückskarte wies einige unrechtmäßige Häuser im Randbezirk des Grundstücks auf. Eine Ortsbegehung war nicht möglich, da die einzige zum Grundstück führende Straße durch das kleine Dorf ging und die Einheimischen die Fremden nicht willkommen hießen. In Beirut diskutierten wir mit der NRO, die sich schnell bereiterklärte die Häuser und eine dazugehörende Grundstücksfläche unentgeltlich den Bewohnern zu überlassen. Auch entwickelten wir Pläne, die örtliche Bevölkerung in die Planung und Umsetzung unseres Projektes mit einzubeziehen, um natürlich auch die Akzeptanz des Projekts zu fördern.

Zunächst gaben wir eine aktualisierte Landnutzungskarte bei einem Ingenieurbüro in Auftrag. Da lernte ich eine weitere Sache kennen: Bokra. Bokra ist Arabisch und bedeutet morgen. Morgen kann morgen bedeuten, aber auch übermorgen, oder in zwei Wochen. Zunächst war ich ganz euphorisch, als ich erfuhr, dass ich meine Karte bokra bekommen würde. Ich glaube, ich wartete zwei Monate.

In der Zwischenzeit besuchte ich Ökoinitiativen und Bauern im Libanon. Ich zog in eine andere Wohnung im Osten der Stadt, im christlichen Mar Michael, obwohl Wohnraum und Leben in Beirut teuer ist, durchaus vergleichbar mit einer deutschen Stadt. Die täglichen drei Stunden ohne Strom verbrachten wir meistens außer Haus. Das Viertel hatte einen gewissen Charme. Kleine Treppen schlängelten sich zwischen den Häusern an den Steilwänden des Bezirks hoch, Künstler lebten dort, das Ausgehviertel Gemmayze schloss sich an. Die AUB lag nun ca. fünf km von meiner Wohnung entfernt, am anderen Ende der Stadt. Mit dem Bus dauerte es an guten Tagen 30 min und an schlechten 90 min. Und eigentlich war immer ein schlechter Tag in Beiruts Straßenverkehr. Mein Arabisch verbesserte ich im Selbststudium, auf der Straße und mit Freunden, obwohl die Mehrheit der Libanesen Französisch oder Englisch fließend beherrscht. Ich verlängerte mein Visum beim General Directorate of General Security, im ersten Stock des neoklassizistisch anmutenden Gebäudes, das bedrohlich über Mathaf thronte.

Ich hatte einen Arbeitsplatz an der Universität erhalten, an der Faculty of Agriculture, wo ich mir ein Zimmer mit Meerblick mit zwei freundlichen Libanesinnen teilte. Ich kontaktierte Botschaften, Privatleute und andere NROs, besuchte eine Konferenz (EcoOrient), um Kontakte zu knüpfen, entwickelte einen stufenweisen Landnutzungsplan und schrieb Förderanträge. Die Grundidee war ein partitiver Ansatz: wir wollten die lokale Bevölkerung aber auch ULYPs Jugendgruppen mit einbeziehen, in den Anbau, die Verarbeitung und die Vermarktung unserer Bioprodukte. Der Libanon hat jahrelang seinen Agrarsektor vernachlässigt und importiert mittlerweile über 80 Prozent seiner Nahrungsmittel. Zusätzlich verschärft sich die zunehmende Bodendegradation durch veraltete Anbaumethoden und falsche Bewässerungsmaßnahmen. 

Doch während unsere Pläne konkreter wurden, griff der syrische Bürgerkrieg verstärkt auf das kleine Land über. Die Flüchtlinge strömten in den Libanon, in Tripoli schossen Befürworter und Gegner Assads aufeinander. Entlang der sheire3 suuriyyeh (Syrien Straße) fielen die ersten Toten. Die Armee strömte in den Norden des Landes, jede Woche nach dem Freitagsgebet verschärften sich die Unruhen. An einem dieser Wochenenden war ich mit meinem Freund in Tripoli, der arabischsten der libanesischen Städte, mit einem alten Souk, einer Burganlage und den typischen Kaffeehäusern mit dem süßen Chai, dem starken Kaffee und Narguile, der Wasserpfeife. Wir hatten gerade Seife bei einem Händler gekauft  (die Stadt ist bekannt für ihre gute Seife), als wir die ersten Gewehrsalven hörten. Der Kaufmann verpackte alles hektisch und riet uns mit Nachdruck die Stadt umgehend zu verlassen. Wir liefen durch die engen Gassen der konservativen Hafenstadt, Blicke folgten uns, der blonden Frau. Wir erreichten eine Hauptstraße und liefen zu den geparkten Bussen und Minivans, unweit des Stadtzentrums. Als wir Beirut fast zwei Stunden später erreichten, erfuhren wir von 13 Toten in dieser Nacht.

Der Konflikt griff auch auf die umliegende Region über und betraf Akkar und unser Stück Land. Die Armee erschoss bei einer Straßenkontrolle einen Scheich, einen Gegner Assads. Es folgten Unruhen. Die Menschen wurden zusehends nervös.

Unser Landvermesser wurde beschimpft, mit Steinen beworfen. Dennoch erhielten wir nach einigen Wochen das verlangte Stück Papier. Zu den Unruhen zeigte sich jetzt noch, dass mehr Häuser als gedacht, auf unserem Grundstück standen, aber wir konnten aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage in Akkar nicht vor Ort arbeiten. Der Termin für den Projektstart wurde auf unbekannt verschoben, unsere Arbeitsgruppe löste sich auf.

Der Libanon ist ein kleines Land, aber seine Geschichte und Gegenwart unheimlich kompliziert. Bei einer Fläche von 10.452 km2 und einer geschätzten Einwohnerzahl von 4.516.100, gibt es laut offiziellen Angaben 400.000 registrierte palästinensische Flüchtlinge im Land. Zwischen 1975 und 1990 herrschte ein blutiger Bürgerkrieg und seitdem ein fragiler Frieden. In vielen Geschäften hängt wohl weislich ein Schild mit der Aufschrift „ Über Politik reden verboten“. Das Parlament setzt sich seit dem Abkommen von Taif 1989 nach dem Grundsatz der konfessionellen Parität zusammen. Im Parlament sind die Christen die Mehrheit, auf der Straße jedoch die Sunniten und Schiiten, gefolgt von den Maroniten, den Drusen und Orthodoxen. Überwiegend leben die Menschen zusammen entsprechend ihrer Konfession, in Beirut, als auch in den anderen Landesteilen. Politische Attentatsserien, bewaffnete Auseinandersetzungen und der virulente Konflikt mir Israel, der auf libanesischer Seite von Hisbollah angeführt wird, erschüttern immer wieder das Land. Hisbollah entstand im Bürgerkrieg, ist eine schiitisch-religiöse Partei und Miliz. Sie kontrolliert den Süden des Landes, die Bekaa Ebene im Regenschatten des Libanongebirges und sitzt mit in der Regierung. Ihr Führer, Hassan Nasrallah kann die Hauptstadt jederzeit lahmlegen lassen.

In diesem Klima ist es sehr anspruchsvoll zu arbeiten. Aber trotz der Krisen, der Konflikte, ist es ein sehr schönes Land mit freundlichen Menschen und atemberaubender Natur, Sehenswürdigkeiten und gutem Essen. Die Zivilbevölkerung engagiert sich um den Aufbau des Landes: Hedonismus statt Hisbollah. Alles und nichts ist möglich.

In diesem Sommer war es mir, nach nur fünf Monaten nicht mehr möglich mein Doktorat wie geplant im Libanon weiterzuführen. Die Politik hatte auch mein Leben eingeholt, meine Pläne untergraben, bevor ich noch den ersten Spatenstich setzen konnte. Wann und ob wir nun den Boden abtragen werden, die Terrassen ziehen, die Gärten errichten, ist ungewiss. Im österreichischen sagt man: Schau ma mal. Im arabischen: In scha’a llah.
Schlagworte
Ökolandbau Konflikte Orient Libanon
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