Gibt es Weinbau in den USA? Okay, dank
Gallo und Robert Parker können die meisten Menschen diese Frage mit „ja“
beantworten. Wo denn genau in den USA?
Kalifornien natürlich. In anderen Staaten
auch? Hm…keine Ahnung! Vielleicht? Aber
hallo! Die meisten Menschen, auch in den USA selbst, wissen nicht, dass
fast in jedem der 50 Bundesstaaten Trauben angebaut und zu Wein vergoren
werden. So ging es auch mir.
Im Rahmen
meines Weinbaustudiums an der Hochschule Geisenheim bin ich in den Jahren 2011
und 2012 jeweils über den Sommer bzw. Herbst zum Praktikum ins Weingut Chehalem nach Oregon gegangen. Den Platz
habe ich durch eine glückliche Fügung erhalten: ein Bekannter eines Bekannten
kannte jemanden etc. Ihr kennt das ja bestimmt aus eigener Erfahrung. Der
Betrieb liegt ganz im Norden des Anbaugebiets Willamette Valley, knapp 30 Minuten südlich von Portland und
produziert Jahr für Jahr um die 200.000 Flaschen Wein. Verglichen mit dem
durchschnittlichen Betrieb in Deutschland eine deutlich größere Produktion. Ich
war gespannt.
Um ein Visum
(Kategorie J1) zu bekommen, habe ich an einem Austauschprogramm des Deutschen
Bauernverbandes teilgenommen. Der große Vorteil daran war, dass ich die Chance
auf einen Zuschuss des Bundesministeriums für Landwirtschaft hatte – Geld, das
ich für die hohen Kosten für Visum, Flug und Freizeit in den USA gut gebrauchen
konnte (der Lohn hätte zwar auch gereicht, aber ein Polster ist nie verkehrt).
Die netten Damen und Herren des DBV haben sich auch ganz fix um den (leider)
notwendigen Papierkram gekümmert und alsbald hielt ich meinen Pass samt Visum
in den Händen und konnte endlich meinen Flug ins große Abenteuer buchen und
antreten.
Delta Airlines
brachte mich von München über Amsterdam nach Portland, wo mich meine Kollegin
und für die Dauer des Praktikums auch Mitbewohnerin, Wynne, am Flughafen
erwartete. 30 Minuten Fahrt später stand ich dann schon vor dem Weingut. Ein kurzes
Hallo und eine schnelle Betriebsführung, dann ging’s auch gleich zu meiner
Bleibe für die Zeit. Sehr praktisch dabei: ein ganzes Haus mitten in den Weinbergen
war für die nächsten Monate zusammen mit Wynne und zwei weiteren zum Herbst
anreisenden Praktikanten mein Zuhause. Noch praktischer: zum Weingut waren es
nur zwei Minuten zu Fuß bergab. Da schmeißt nicht einmal ein Amerikaner das
Auto an (das bekam ich vom Betrieb auch gestellt…samt Tankkarte!).
Bis die
anderen Praktikanten im September zum Herbst eintrafen (insgesamt waren wir 6),
gingen meine Arbeitstage von 8.30 Uhr bis 17.00 Uhr. Verglichen mit dem, was
ich von Deutschland gewohnt war, also ein sehr gemütlicher Start in den Tag.
Und die Bezahlung war um ein Vielfaches besser (Stundenlohn + Überstunden in
USA vs. 400€ pauschal in D). Optimal! Den Sommer über arbeitete ich fast
ausschließlich als vollwertiger Teil der dann dreiköpfigen Kellermannschaft und
konnte Erfahrung in den Bereichen Probieren, Verschneiden, Filtrieren und
Abfüllen und natürlich, wie in der Weinbranche absolut unerlässlich, Putzen
sammeln. Der eine oder andere Tag im Weinberg war auch mal drin. Dafür gab es
aber eigentlich die feste Crew. Gabelstapler- und Traktorfahren gehörte auch
zum täglichen Programm. An Wochenenden half ich immer wieder mal bei Events
mit: perfekte Gelegenheiten, um mal mit Leuten, die nicht vom Betrieb waren,
ins Gespräch zu kommen und die Umgebung und Kultur(en!) kennenzulernen. Ich gab
gerne meine freien Tage am Wochenende freiwillig auf. Noch.
Im September
trafen die anderen Praktikanten ein und wir bereiteten das Weingut und uns
langsam aber sicher auf die Traubenflut vor, die uns, im Gegensatz zum vorherigen
Jahr, Ende September bevorstand (2011 begann die Lese erst Ende Oktober!). Die
Arbeitstage wurden länger und auch das freie Wochenende ging immer mal wieder flöten.
Bei der Belegschaft war das aber
absolut kein Problem, das Team war mehr als perfekt und ich bin gerne zur
Arbeit gegangen. Außerdem wurde immer darauf geachtet, dass man einen Tag pro
Woche frei hatte. Das machte alles halb so schlimm. Wirklich!
Endlich war es
soweit: die ersten Trauben rollten im Sattelschlepper auf den Hof. Ein kurzes
Anstoßen mit der ganzen Mannschaft und einem Glas Sekt und dann begannen die
kurzweiligsten acht Wochen, die ich je erlebt hatte. Die ersten Tage waren von
weißen Trauben geprägt, vor allem Chardonnay. Die Verarbeitung lief relativ
einfach: Presse auf, Trauben rein, Presse zu und an, Most in den Tank legen und
kühlen. Wunderbar. Wäre da nicht das Wetter in Oregon, das jedes Jahr im Herbst
seine zickige Phase beginnt. Nach schier unglaublichen 100 Tagen ohne einen
Tropfen Wasser vom Himmel öffnete dieser zum Herbst seine Pforten und der Regen
war plötzlich in jeder Ritze der Regenkleidung. Selbst Staplerfahren macht da
nur bedingt Spaß. Aber es macht Spaß.
Der Trub hat drei Tage Zeit, um sich abzusetzen. Der klare Most wird abgezogen,
in Tanks und Holzfässer umgepumpt und mit einem Reinzuchthefeansatz beimpft
(einige Fässer waren Spontangärungen, bekamen also keine Hefe zugesetzt). Dann
darf er gären. Fast ungestört. Das Einzige, was regelmäßig gemacht wird, sind
Temperatur- und Mostgewichtskontrollen und Nährstoffgaben, falls der Most sie braucht.
Gären dürfen die Weine bis sie trocken (=durchgegoren=kein Zucker mehr) sind.
Das dauert. Lange. Viel länger als mein Praktikum.
Nach einigen
Tagen kamen schließlich auch rote Trauben am Weingut an – Spätburgunder, im
Englischen Pinot Noir. Hier lief das Verarbeiten etwas anders, die Trauben
wurde auf der Maische vergoren: die Leseboxen rein ins Kühlhaus, am nächsten
Tag mit dem Stapler raus, aufs Förderband (gleichzeitig der Sortiertisch –
Blätter und faules Lesegut müssen raus) kippen, das bringt die Trauben in den
Entrapper auf dem Tank. Schwefel und Trockeneis dazu. Ende. Zumindest für den
Moment. Nächster Tag: Überschwallen der Trauben mit Most, damit sie feucht
bleiben. Ab dann galt es, die Maische jeden Tag unterzustoßen, dies erhöht die
Extraktion von Farbe und Tannin. Irgendwann fängt jeder Tank an zu gären. Von
selbst. Ohne Hefezusatz. Wie schon damals bei den Römern. Toll! Während der
Gärung wird der Tresterhut, je nach Intensität der Gärung, zwei bis drei Mal
täglich mit einem Plastik-Stößel von Hand untergestoßen: morgens nachmittags
und nachts (22 Uhr). Das gibt Muckis. Ehrlich! Vor allem, wenn man zur
Nachtrunde nur zu Dritt eingeteilt ist. Nach Gärende wird der Trester
abgepresst und der Wein wandert ins Fass und bleibt dort bis ins darauffolgende
Jahr.
Apropos Nacht:
Die Arbeitszeiten änderten sich zum Herbst natürlich auch. Morgens ging‘s
meistens um 7 Uhr los und je nach Pensum war auch gut und gerne erst nachts um
22 Uhr Schluss. Mittags wurde man vom Feinsten bekocht, für Kaffee und
Knabbereien war tagsüber gut gesorgt. Höchst zufriedenstellend und angenehm das
Ganze! Und der Regen hat auch irgendwann wieder aufgehört…
Die Belegschaft
im Betrieb war klasse. Ich war als Praktikant auf einem Level mit den
Festangestellten, es wurde viel gescherzt – Harry, der Besitzer war an
vorderster Front mit dabei! Immer aber war der nötige Ernst mit im Spiel, die
Arbeit auf einem Weingut ist schließlich alles andere als ungefährlich, vor
allem im Herbst. Und man hat mit Trauben auch nur einen Versuch. Pro Jahr! Die
Mannschaft war mit acht Leuten im Keller gerade richtig besetzt. Wir
Praktikanten durften, je nach Erfahrung und Können, sehr viel Arbeit
selbstständig erledigen und bekamen durchaus Verantwortung übertragen. Die eigene
Meinung, Ideen und Vorschläge wurden gehört und respektiert. Das geschieht
einem als Praktikant nicht überall!
Gemeinsame
Feierabendbiere gehörten genauso zum Programm wie Besuche zu Weinproben und
Führungen auf anderen Weingütern. Meine Freizeit, so dünn sie zum Ende hin auch
gesät war, konnte ich immer so nutzen, wie ich wollte. In Oregon gibt es eine
sehr große do-it-yourself-Bewegung, gerade was Ernährung angeht. So konnte ich
mit neu gewonnenen Freunden eigenes Gemüse anbauen und ernten, Bier brauen und Äpfel
pressen (und vergären).Generell ist die Region um Portland die perfekte
Mischung zwischen Stadtleben und Natur. Man ist innerhalb von zwei Stunden Fahrt
wahlweise am Meer, im Gebirge, im tiefsten Wald oder sogar in der High Desert,
einer Art Wüste im Hochland. Auch Portland ist als Stadt unschlagbar. Jung,
lebenswert und hip, jagt ein kultureller Höhepunkt den nächsten (Märkte,
Konzerte, Bars), man kann sich vor kulinarischen Highlights gar nicht retten.
Einfach rundum gut!
Mitte MOvember (die männliche Belegschaft trug
Schnurrbart, im Englischen kurz mo
genannt), musste ich wieder die Heimreise aus meinem home away from home antreten. Vier Monate waren seit meiner Ankunft
vergangen. Vier Monate, in denen ich vieles gelernt und entdeckt habe. Und noch
viel wichtiger: vier Monate, in denen ich neue Freunde in einem fremden Land gefunden
habe. Freunde fürs Leben! Ich musste versprechen, im nächsten Jahr
wiederzukommen. Ich sagte zu, wie konnte ich auch anders. Allerdings komme ich nur
zu Besuch. Arbeiten werde ich woanders.
Solltet ihr je
die Chance haben, Erfahrungen jeglicher Art im Ausland zu sammeln, dann zögert keine
Sekunde und nehmt die Chance wahr! Ich habe beim Schreiben dieses Textes meinen
gesamten Aufenthalt noch einmal durchlebt und versucht, die so entstandene Euphorie
aufs Papier zu bringen. Ihr werdet an Eurem Aufenthalt/Austausch wachsen –
fachlich und vor allem menschlich. Ihr werdet einmalige Menschen und Kulturen
kennenlernen und prägende Erfahrungen machen. Die kann Euch niemand jemals
nehmen.