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08.11.2014 | 07:36 | Tetrahydrocannabinol 

Cannabis als Medizin

Frankfurt/Main - Hanf war früher, heute verwendet THC Pharm Orangenschalen. Die kleine Firma aus Frankfurt macht Arzneimittel aus Cannabis.

Hanf
In Hessen gibt es einen einzigen Hersteller von Arzneimitteln aus Cannabis. Es ist ein Nischenmarkt, der mit vielen Problemen zu kämpfen hat. Trotzdem will die kleine Frankfurter Firma expandieren. (c) proplanta
Die Wirkstoffe Tetrahydrocannabinol(THC) und Cannabidiol (CBD) können aus verschiedenen Pflanzen gewonnen werden. «Das ist wie Vitamin C», sagt Firmenchef Holger Rönitz, «da ist es auch egal, ob es aus Zitronen, Paprika oder synthetisch hergestellt wird.»

Als THC Pharm 1998 die erste Charge verkaufte, war die Firma der erste und einzige Hersteller von THC-Pharmazeutika in Deutschland. Inzwischen gibt es zwei Konkurrenten außerhalb Hessens.

Der 52-Jährige ist weder Apotheker noch Chemiker, sondern gelernter Industriekaufmann. In den Gründungsjahren war er Pressesprecher bei Greenpeace und WWF. Die Firma war das Nebenprodukt einer Patienteninitiative, die es einem querschnittsgelähmten Freund ermöglichen sollte, die schmerzlindernde Wirkung von Cannabis zu nutzen, «ohne sich dabei permanent in die Illegalität zu begeben», wie Rönitz sagt.

Das Labor liegt in einem Hinterhof im Stadtteil Oberrad: Bananenstauden und Engelstrompeten überwuchern fast die kleinen Schuppen. Vier bis sechs Wochen dauert es, bis aus Hanffasern oder einem anderen Ausgangsstoff eine farblose harzige Flüssigkeit wird, erklärt Chemietechnikerin Yvonne Roehlings. Aus dieser «Rezeptursubstanz» stellen dann Apotheker in ganz Deutschland für jeden Patienten ein individuell dosiertes Arzneimittel her - Tropfen, Kapseln oder Lösungen zum Inhalieren.

Die Internationale Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin nennt eine ganze Reihe von möglichen Einsatzgebieten: Übelkeit und Erbrechen während der Chemotherapie, Appetitlosigkeit und Abmagerung bei Aids, Krämpfe bei multipler Sklerose, aber auch Epilepsie, Juckreiz oder Tourette-Syndrom.

In Deutschland gibt es ein einziges Fertigarzneimittel aus Cannabis, ein Spray namens Sativex, zugelassen für Multiple-Sklerose-Patienten. Abgesehen davon sind die Kassen sehr zurückhaltend, Cannabis-Medikamente zu bezahlen. Rezeptursubstanzen brauchen zwar keine Zulassung, sollten aus Sicht der AOK aber vom Gemeinsamen Bundesausschusses (der Ärzte, Therapeuten, Kliniken und Kassen) empfohlen sein. «Eine solche Empfehlung liegt für Rezepturen auf Cannabinoid-Basis bisher nicht vor», argumentiert die AOK Hessen.

Schwerstkranke und Sterbende seien die größten Patientengruppen, sagt Rönitz: «Cannabinoide kommen oft erst dann zum Einsatz, wenn die Patienten alles andere durch haben.» Aber viele Ärzte hätten «Vorbehalte», Cannabinoide zu verschreiben, weil THC-Medikamente unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Dabei sei die Dosierung so gering, dass sie «so gut wie keine berauschende Wirkung» hätten, jeder Kiffer inhaliere das Zigfache. «Man kann sich damit auch nicht umbringen.»

Medikamente aus Cannabis sind «eine effektive, gut verträgliche Substanz», findet auch der Wiesbadener Schmerztherapeut und Palliativmediziner Thomas Nolte. «Der Vorteil ist die gute Verträglichkeit, auch in der Langzeitanwendung. Wegen des speziellen Wirkmechanismus' können wir damit Effekte erzielen, die wir mit anderen Pharmaka nicht erreichen können.» Für Nolte ist es «nicht nachvollziehbar», dass Dronabinol einen anderen Status hat als andere schmerzlindernde Medikamente, zum Beispiel Opioide.

THC Pharm leidet nach eigener Darstellung nicht nur unter der Zurückhaltung der Ärzte, der «Blockadehaltung» der Kassen, den bürokratischen Auflagen der Behörden. Dass nun über die generelle Legalisierung und Selbstanbau für Schwerstkranke diskutiert wird, mache die Lage nicht besser, findet Rönitz: «Die Legalisierungsdebatte ist nicht sehr hilfreich.» Je mehr über Kiffen geredet wird, «desto weniger wird rational über die medizinischen Aspekte diskutiert». (dpa/lhe)
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Kommentare 
Axel Junker schrieb am 09.11.2014 16:50 Uhrzustimmen(141) widersprechen(164)
Herr Rönitz verdrängt bei seiner Bewertung, die Legalisierungsdebatte sei "nicht sehr hilfreich zur Durchsetzung des medizinischen Aspekte von Cannabis", dass hierzulande eine regulierte Legalisierung wie sie für Uruguay geplant - und in Coplorado so wie Washington/USA bereits ERFOLGREICH durchgeführt wird, auch viele Patientenprobleme lösen würde, die in der Bundesrepublik Deutschland - insbesondere für Bezieher von natürlichen Cannabisblüten im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung - besonders patientenfeindlich sind. Nur einige Schwierigkeiten aus einer ganzen Problemkaskade sind die Kostenerstattungs-Verweigerung durch Gesetzliche Krankenkassen, Blockaden der Kostenerstattungs-Anfrage an den Gemeinsamen Bundesausschuss, Residenzpflicht (Verbot mit Cannabismedizin zu reisen), Lieferausfälle in steter Regelmäßigkeit, so dass Versorgungssicherheit seit 2008 nicht gewährleistet ist und wegen begrenzten Import-Kontingents von Medizinalcannabis aus den Niederlanden auch künftig nicht gewährleistet sein wird. Die seit Jahren professionell vom BfArM gehandhabte Untätigkeit in starrer Weisungsabhängigkeit von Bundesministerium für Gesundheit macht für Patienten, die gesundheitlich von Cannabis profitieren, aber nichts besser - sondern (so wirkt es) alles schlechter. Urkundlich beglaubigter Ausnahme-Erlaubnisinhaber nach 3 § Abs 2 BtMG zu sein, ist aktuell zur bestehenden Krankheit für viele Betroffene eine kaum zu bewältigende Zusatzstrafe.
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