Er sorgte in dem kleinen Land für einen historischen Wirtschaftsboom. Ausgerechnet der frühere Arme-Leute-Fisch legte die Basis für die Blüte der Niederlande im 17. Jahrhundert, das Goldene Zeitalter. Noch immer steigen zu Beginn der Matjessaison große Partys - wie am Dienstag am Hafen von Scheveningen bei Den Haag.
Doch auch in Hamburg wird gefeiert. Denn nach den Niederlanden ist Deutschland das zweitgrößte Matjes-Land. Die Hälfte der jährlich rund 180 Millionen holländischen Matjes wird in Deutschland verzehrt, etwa 42 Prozent in den Niederlanden, der Rest in Belgien.
Dem Start der Saison fiebern die Niederländer entgegen. Denn wenn das erste Fässchen symbolisch geöffnet ist, gibt es endlich Antwort auf die Frage: Wie schmeckt der «Hollandse Nieuwe», der neue Matjes?
Kenner Gerbrand Voerman hält sich noch bedeckt. «Die Berichte sind positiv», sagt der Vorsitzende des Verbands der niederländischen Heringgroßhändler vorsichtig. Schon Anfang Mai hätten Fischer von einem hohen Fettgehalt berichtet, erzählt er in seinem Büro im Hafen von Scheveningen. Das ist ein gutes Zeichen für Hering. Je fetter, desto besser.
«Jeder Hering will ein Matjes werden», sagt man beim Niederländischen Fischbüro in Den Haag, dem Verband des Sektors. Doch nur eine Minderheit schafft das auch. Der holländische Matjes gilt schließlich als Luxusklasse unter den Heringen. Von den mehr als 500.000 Tonnen gefangenen Heringen im Jahr landen nur rund 25.000 Tonnen als Matjes in den Läden. Der Rest kommt in die Dose, endet als Rollmops, Räucherfisch oder Mehl.
Nur jungfräuliche Heringe können Matjes werden, das Wort ist abgeleitet vom niederländischen «Maagd» wie Jungfrau. Das heißt nicht, dass es junge Fische sein müssen. Sie dürfen aber noch keine Geschlechtsprodukte haben, müssen also frei von Milch und Rogen sein. Das ist nur bis Ende Juli der Fall. Weil sie aber erst Ende Mai richtig schön fett und lecker werden, ist die Matjessaison kurz.
Dabei stammen Matjes gar nicht mehr aus holländischen Gewässern und werden auch nicht mehr von holländischen Fischern gefangen. Nach Fangverboten in den 1970er Jahren wegen
Überfischung fanden die niederländischen Fischhändler in Skandinavien neue Gebiete. Seither kommt der holländische Matjes vorwiegend aus dem äußersten Norden Dänemarks, aus Norwegen und Schottland.
Direkt in den Häfen würden die Fische verarbeitet, sagt Heringhändler Voerman. Doch: «Alles steht unter niederländischer Leitung.» Das ist entscheidend. Denn erst die traditionelle Zubereitung macht aus den Heringen echte holländische Matjes.
Die Fische werden gekehlt, dabei werden die Eingeweide bis auf die Bauchspeicheldrüse entfernt. Diese sorgt mit Enzymen für den einzigartigen Reifungsprozess und den charakteristischen Geschmack.
Bereits im späten Mittelalter hatten Niederländer entdeckt, dass der Fisch durch das Kehlen länger frisch blieb. Dadurch konnten die Fischer weiter rausfahren und mehr fangen als die Konkurrenz. Mit besonderen Flachbodenschiffen brachten sie den Fang außerdem schnell an Land. Das verschaffte den Niederländern Vorsprung und legte die Basis für ein jahrhundertelanges Hering-Monopol.
Heute wird der Fisch vorwiegend maschinell gekehlt, anschließend gepökelt und tiefgefroren. Das ist gesetzlich vorgeschrieben, um
Keime von
Parasiten abzutöten. Durch das Einfrieren kann Matjes nun aber auch das ganze Jahre über verkauft werden. Erst in den Niederlanden werden die Fische filetiert - vorwiegend von Hand.
In den Kühlhallen in Scheveningen stehen in diesen Wochen täglich Dutzende Frauen an den Stahlbecken. Die schnellsten schaffen 400 Fische in der Stunde. Ratsch, ratsch geht das. Und erst jetzt zeigt sich der holländische Matjes in aller Schönheit: Blassrosa, glänzend - und mit feinem sahnig-salzigen Aroma.