Vorsprung durch Wissen
schließen x
Suchbegriff
Rubrik
 Suchen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
15.10.2017 | 07:30 | Jamaika-Koalition 

Union bekräftigt Anspruch auf Agrarressort

Berlin - Noch vor Beginn der Gespräche über die Bildung einer sogenannten Jamaika-Koalition haben CDU und CSU ihren Anspruch auf das Agrarressort bekräftigt.

Bundestagswahlen 2017
(c) proplanta
Man werde in den anstehenden Koalitionsverhandlungen alles daran setzen, dass dieses Ministerium auch künftig von der Union geführt werde, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt am Mittwoch (11.10.) bei einer Veranstaltung des Deutschen Landwirtschaftsverlages (dlv) in Berlin.

Der Vorsitzende des Bundestagsernährungsausschusses, Alois Gerig, nannte es gegenüber AGRA-EUROPE nicht vorstellbar, dass die Union angesichts der Bedeutung dieses Politikfeldes für beide Schwesterparteien auf die Leitung eines Bundesministeriums für ländliche Räume verzichten werde. „Ob das dann CDU oder CSU sein werden, ist für mich nicht entscheidend“, betonte der baden-württembergische CDU-Politiker.

Allerdings bleibt das Bundeslandwirtschaftsministerium auch für die Grünen von hohem Interesse. „Wir wollen Agrarpolitik gestalten“, betonte der alte und wohl auch neue agrarpolitische Sprecher der Fraktion, Friedrich Ostendorff. Dies gehe nun einmal am ehesten aus einem Ministerium heraus. Ostendorff warnte zugleich vor einer Diskussion um Ressorts und Posten. Stattdessen gehe es darum, gemeinsam Weichenstellungen für eine neue Agrarpolitik vorzunehmen. Darin liege aus Sicht der Landwirtschaft „die große Chance von Jamaika“.

Sondierung beginnt diese Woche

Die Sondierungsgespräche von CDU, CSU, FDP und Grünen zur Bildung einer Regierungskoalition im Bund sollen am kommenden Mittwoch (18.10.) und damit drei Tage nach der Landtagswahl in Niedersachsen beginnen. Den Angaben zufolge will die Union zunächst mit den Liberalen und Grünen getrennt zusammenkommen.

Auch FDP und Grüne wollen sich zu einem separaten Gespräch treffen. Am Freitag soll es dann eine erste Sondierung zwischen allen drei Partnern geben. Die Entscheidung zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen dürfte frühestens Ende Oktober fallen, wahrscheinlich aber erst im November.

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel betonte vergangene Woche erneut den Stellenwert der Themen ländliche Räume und Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen. Auch über diese Fragen werde man in den Sondierungsgesprächen reden. Auf Unionsseite dürften sich insbesondere die rheinland-pfälzische CDU-Landesvorsitzende Julia Klöckner sowie Fraktionschef Volker Kauder dieses Themas in den anstehenden Runden annehmen.

Bei der CSU zählen die Bundesminister Schmidt und Dr. Gerd Müller zur Delegation für die Sondierungsgespräche. Die FDP hat unter anderem den rheinland-pfälzischen Wirtschafts- und Landwirtschaftsminister Dr. Volker Wissing für die Sondierung nominiert. Auf Seiten der Grünen wird vor allem dem schleswigholsteinischen Landwirtschaftsminister Dr. Robert Habeck die Rolle zukommen, die Schnittmengen in dem Bereich ländliche Räume und Landwirtschaft auszuloten.

Meyer mit dabei

Unterdessen haben die Grünen Renate Künast nominiert, in möglichen Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU und FDP die Gespräche im Bereich Agrar- und Ernährung einschließlich des gesundheitlichen Verbraucherschutzes zu leiten. Die 61-jährige Juristin war von 2001 bis zum Ende der rot-grünen Koalition im Jahr 2005 Bundeslandwirtschaftsministerin. In der vergangenen Legislaturperiode hatte Künast den Vorsitz des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz inne.

In der Arbeitsgruppe der Grünen sollen Fachpolitiker aus unterschiedlichen Ebenen mitwirken. Neben den Bundestagsabgeordneten Ostendorff und Harald Ebner, der scheidenden Abgeordneten Nicole Maisch sowie dem EU-Parlamentarier Martin Häusling zählt auch der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer zu den Unterhändlern.

Führende Rolle für Connemann

Auf Unionsseite sind noch keine personellen Entscheidungen gefallen. Sehr wahrscheinlich wird die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Gitta Connemann, wie bereits vor vier Jahren erneut die Verhandlungsführung im Agrarbereich übernehmen. Connemann hat bereits angekündigt, sie wolle das Thema ländliche Entwicklung einbeziehen.

Der Vorsitzende des Bundestagsernährungsausschusses und langjährige CDU-Abgeordnete, Alois Gerig, der ebenfalls 2013 an den Verhandlungen zur Bildung der Großen Koalition beteiligt war, geht davon aus, dass er auch diesmal eine aktive Rolle spielen wird. Mit der Entscheidung der Grünen, die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin Künast als Verhandlungsführerin im Agrarbereich zu benennen, kann Gerig eigenen Angaben zufolge gut leben: „Bei ihr wissen wir, wo wir dran sind.“ Ihr Interesse an einer Teilnahme an den Koalitionsverhandlungen haben auch der badenwürttembergische Landwirtschaftsminister Peter Hauk und sein sächsischer Amtskollege Thomas Schmidt angemeldet.

Offene Personalfragen in der FDP

Noch unklar ist die Situation bei der FDP. Ob sich der ausgewiesene Steuer- und Finanzfachmann Wissing in den Koalitionsverhandlungen mit der Agrarpolitik begnügen wird, ist zumindest fraglich. Interesse an landwirtschaftlichen Themen hatte zuletzt der bisherige niedersächsische Fraktionsvorsitzende Christian Dürr signalisiert. Der Diplom-Ökonom gilt nach seinem Einzug in den Bundestag auch als Kandidat für das Amt des agrarpolitischen Sprechers der FDP-Fraktion. Aller Voraussicht nach werden zudem Landespolitiker wie der landwirtschaftspolitische Sprecher der FDP im niedersächsischen Landtag, Hermann Grupe, für die Liberalen an den Koalitionsverhandlungen im Agrarbereich beteiligt.

Von Baden-Württemberg und Hessen lernen

Unterdessen beurteilt CDU-Agrarpolitiker Gerig die Chancen auf eine Einigung von Union, FDP und Grünen im Agrarbereich optimistisch. Er sei zuversichtlich, dass die unterschiedlichen Positionen in den anstehenden Koalitionsverhandlungen überwunden werden könnten, sagt der Parlamentarier. Voraussetzung sei allerdings, „dass alle Seiten von ideologischen Vorstellungen Abstand nehmen.“

Gerig verweist auf die Erfahrungen in Baden- Württemberg und Hessen. Sie zeigten, dass CDU und Grüne gemeinsam eine konstruktive Agrarpolitik formulieren und betreiben könnten. Gleichzeitig sieht Gerig für CDU und CSU rote Linien, die nicht überschritten werden dürften. „Eine Diffamierung bestimmter Formen von Landwirtschaft und speziell der Tierhaltung ist mit uns nicht zu machen“, so Gerig.

Außerdem müsse „Jamaika“ stets die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe, die Nachhaltigkeit der Produktion und die gesellschaftliche Akzeptanz der Landwirtschaft berücksichtigen und fördern. Selbst ein Reizthema wie „Glyphosat“ hält Gerig für lösbar, „wenn sich die Akteure an den Fakten orientieren und sich auf fachlich wissenschaftlicher Grundlage um eine Verständigung bemühen“. Alle Seiten müssten bei diesem wie bei anderen Themen versuchen, „Emotionen herauszunehmen und sachlich zu argumentieren“.

Grünen wollen verbesserte Haltungsbedingungen

Für Grünen-Agrarsprecher Ostendorff ist der Umbau der Tierhaltung das zentrale Thema der Koalitionsverhandlungen im Agrarbereich. Die Landwirte benötigten eindeutige Signale, „wo die Reise in den nächsten Jahren hingehen soll“, betonte der Grünen-Politiker gegenüber AGRA-EUROPE. „Wir müssen den Grundsatz, die Tierhaltung dem Tier anzupassen und nicht umgekehrt, mit Leben füllen“, so Ostendorff. Dies erfordere aus seiner Sicht Änderungen in den Haltungsbedingungen. Ohne ein größeres Platzangebot vor allem für Mastschweine werde man dem Anspruch einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung nicht gerecht.

Als zweites wichtiges Verhandlungsthema für seine Partei nennt Ostendorff den chemischen Pflanzenschutz. Hier müsse es konkrete Schritte für eine weitere Verminderung des Mitteleinsatzes geben. Auch daran würden die Parteimitglieder einen Erfolg der Grünen in den Koalitionsverhandlungen messen. Weniger schwierig, wenn auch ebenfalls kontrovers, beurteilt der Abgeordnete die Ausgangslage im Hinblick auf die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP).

Allerdings sei eswichtig, dass durch Umschichtungen von der Ersten in die Zweite Säule dringend notwendige Mittel für den Umbau der Tierhaltung, aber auch Umweltmaßnahmen mobilisiert werden.

Keinen Dissens sieht Ostendorff in der Einschätzung, der Förderung ländlicher Räume künftig ein höheres Gewicht zu geben. Kernelement einer zukunftsfähigen Gesellschaft Gerig hatte zuvor seine Forderung bekräftigt, dass ein künftiges Agrarministerium breit aufgestellt sein und auch die ländlichen Räume in den Mittelpunkt seiner Politik stellen müsse. Ein Ministerium für ländliche Räume könne zur Lösung unterschiedlicher gesellschaftlicher Probleme beitragen.

Vitale ländliche Räume sind nach Überzeugung des CDU-Politikers „ein Kernelement einer zukunftsfähigen Gesellschaft“. Sie böten zudem die Voraussetzung, die Ballungszentren zu entlasten. Ausdrücklich unterstrich Gerig den hohen Stellenwert, den die Politik für ländliche Räume für seine Partei habe. Das zeigten programmatische Aussagen im Wahlprogramm der Union ebenso wie jüngste Äußerungen von Spitzenpolitikern. „Dies muss sich auch in einer künftigen Regierungskoalition niederschlagen“, mahnt der Parlamentarier, der seinen Wahlkreis Odenwald-Tauber bei der Bundestagswahl zum dritten Mal hintereinander direkt gewonnen hat.

Länder brauchen mehr Kompetenzen

Der Handlungsbedarf in der ländlichen Entwicklungspolitik wird auch von Seiten der Wissenschaft gesehen. In einem Betrag für die Zeitschrift „Landentwicklung aktuell“ vom Bundesverband der gemeinnützigen Landgesellschaften (BLG) spricht sich der Präsident des Thünen-Instituts, Prof. Folkhard Isermeyer, dafür aus, auf Bundesebene die ressortübergreifende Zusammenarbeit zu Fragen der ländlichen Räume zu verbessern. Die Voraussetzung dafür wäre seiner Auffassung nach ein Ministerium, „das die spezifischen Anliegen der ländlichen Räume in ihrer Gesamtheit versteht und darauf achtet, dass einzelne Fachpolitiken auf die Bedingungen ländlicher Räume abgestimmt sind.“ Sie müssten so ineinander greifen können, dass sich die ländlichen Regionen gut entwickelt könnten.

Isermeyer äußert in dem Beitrag zudem grundlegende Zweifel an der derzeitigen Ansiedlung der ländlichen Entwicklung auf der Ebene der Europäischen Union. Während die Handels-, Verteidigungs- und Klimaschutzpolitik sinnvollerweise von Brüssel aus betrieben werden sollte, sei die Politik für ländliche Räume bei konsequenter Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auf Ebene der Mitgliedstaaten und in Deutschland bei den Bundesländern zu verorten, so der Thünen-Präsident. Auf diese Weise würden seiner Auffassung nach politische Verantwortlichkeiten deutlich und die ländliche Entwicklungspolitik wäre stärker von Vielfalt, Innovation, Wettbewerb und dem Lernen von anderen Regionen gekennzeichnet. Isermeyer räumt ein, dass eine dafür notwendige Grundsatzdebatte in der EU auf absehbare Zeit nicht sehr wahrscheinlich sei.

Angesichts der großen europapolitischen Krisen sei nicht damit zu rechnen, dass mit der Gemeinsamen Agrarpolitik eine weitere Großbaustelle eröffnet werde. Umso mehr komme es darauf an, bei der anstehenden Reform eine deutliche Verschlankung und mehr Freiräume für die ländliche Entwicklungspolitik zu erreichen und damit Bund und Länder in die Lage zu versetzen, echte Strategien zu entwickeln.
dpa
Kommentieren Kommentare lesen ( 2 )
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


Kommentare 
trakifreund schrieb am 16.10.2017 09:17 Uhrzustimmen(87) widersprechen(10)
die Wahl ist rum und das Postengeschachere geht los. Viele Forderungen und Vorschläge sind gemacht.
Mit keinem Wort wird die schadhafte Förderpolitik für die privaten kleineren bäuerlichen Betriebe erwähnt.

Eine sinnvolle Förderung wäre, pro Hektar € 500,00 und mit einem Höchstbetrag pro Betrieb von € 150.000,00.
Es ist nicht nachvollziehbar, dass Großbetriebe am Jahresende
1 Million und mehr an €uros überwiesen wird.

Juristische Personen ( GmbH´s , AG´s ) sollten gänzlich von der Förderung ausgeschlossen werden, denn hier liegt die Möglichkeit der Nichtlandwirte, wie Industrie usw. sich ganze Betriebe anzueignen.
Die Beträge die hier gezahlt werden, kann kein Landwirt aufbringen.
cource schrieb am 15.10.2017 09:17 Uhrzustimmen(20) widersprechen(25)
als wenn die parteien im weltweiten staatsfaschismus/friendly fascism irgendeinen handlungsspielraum hätten, mitnichten, die werden schön das machen was ihnen die weltweiten konzerne anbieten
  Weitere Artikel zum Thema

 Union blockiert das Wachstumspaket - Was das nun bedeutet

  Kommentierte Artikel

 Grundwasser in Bayern wird weniger

 Lindnerbräu - Hoch die Krüge!

 Mutmaßlicher Wolfsangriff - mehrere Schafe in Aurich getötet

 Weniger Schadholz - Holzeinschlag deutlich gesunken

 Entwaldungsfreie Lieferketten: EU-Kommission zur Klärung aufgefordert

 Bund Naturschutz: Kein kategorisches Nein mehr zum Wolfsabschuss

 Nach Atomausstieg boomen erneuerbare Energien in Niedersachsen

 Massive Flächenverluste in Bayern

 Umsatzsteuersätze: Union will Reform

 Union fordert Ergebnisse beim Bürokratieabbau