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16.03.2019 | 12:30 | Zwischenbilanz 

Geht Julia Klöckner als Ankündigungsministerin in die Annalen ein?

Berlin - Die Opposition vermisst klare Entscheidungen und Umweltverbände üben scharfe Kritik - Julia Klöckners einjährige Amtszeit fällt äußerst bescheiden aus; als Ankündigungsministerin könnte Sie in die Annalen eingehen.

Julia Klöckner - Bundesagrarministerin
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Bundesagrarministerin Julia Klöckner und der Baden-Württembergische Agrarminister Peter Hauk bei einem Pressegespräch in Stuttgart (c) proplanta
Prioritäten setzen

Die Liberalen vermissen indes den roten Faden in der Landwirtschaftspolitik der Bundesregierung. „Nach einem Jahr im Amt lässt sich konstatieren, dass Bundesministerin Klöckner leider nur die Politik ihrer Vorgänger uninspiriert weiterführt“, erklärte die zuständige Berichterstatterin der FDP im Haushaltsauschuss, Ulla Ihnen.

Der Haushalt der Ministerin enthalte „unzählige Förderprogramme“. Da gebe es „ein bisschen Digitalisierung, ein bisschen Internationales, ein bisschen strukturelle Förderung für den ländlichen Raum oder punktuelle Dürrehilfen“. Eine klare Linie sei jedoch nicht zu erkennen. Einerseits würden 70 Mio. Euro allein in die Werbung für das neue freiwillige, staatliche Tierwohlkennzeichen gesteckt.

Andererseits würden weitere Millionen für wirkungslose Kampagnen wie „Zu gut für die Tonne“ ausgegeben, die sich bislang nicht als erfolgreich erwiesen hätten. Gleichzeitig stockten die Verfahren bei der Zulassung neuer Pflanzenschutzmittel noch immer. Weidetierhalter sorgten sich um ihr Einkommen, da sich der Wolf in Deutschland großflächig ansiedele.

Schließlich befinde sich auch die Forstwirtschaft in Deutschland durch die Ausbreitung des Borkenkäfers oder durch Extremwetterereignisse in einer schwierigen Lage. Ihnen forderte eindeutige Prioritäten, etwa die Möglichkeit für Landwirte, einfacher Risikovorsorge betreiben zu können sowie ein Abbau überflüssiger Bürokratie.

Gespräche und Freiwilligkeit reichen nicht aus

Ernüchtert zeigte sich auch der agrarpolitische Sprecher der Bundestagfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Friedrich Ostendorff. Nach seinem Eindruck scheint Klöckner „in die Fußstapfen ihres Vorgängers treten und als Ankündigungsministerin in die Annalen eingehen zu wollen.“ „Außer Runden Tischen bleibt nicht viel“, so Ostendorff. Er halte viel davon, Menschen mit zu nehmen. Nur mit Gesprächen und reiner Freiwilligkeit werde jedoch keine Politik gemacht.

Der Grünen-Politiker verwies auf eine massive Verunsicherung in der Landwirtschaft. Viele hätten „einfach keine Lust mehr“. Man dürfe sich daher nicht wundern, „wenn in die Leerstellen dann der Rückversicherungs- oder Baukonzern tritt“. Dringend notwendig seien Planungssicherheit und eine nachhaltige Zukunftsperspektive für eine bäuerliche Landwirtschaft. Es sei eine existenzielle Frage und auch eine Frage der Kultur und Identität. „Wenn wir darauf keine Antworten finden, dann haben wir als Gesellschaft verloren“, warnt der langjährige Parlamentarier.

Leeres Versprechen

„Mehr als mau“ fällt nach Auffassung des agrarpolitischen Sprechers der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Protschka, die Ein-Jahresbilanz der Bundeslandwirtschaftsministerin aus. In der Ferkelkastrationsfrage sei den Landwirten in letzter Sekunde in Form der Inhalationsnarkose mit Isofluran eine Alternative zur betäubungslosen Ferkelkastration versprochen worden, die sowohl aus tierschutz- als auch aus arbeitsrechtlichen Gründen „mehr als hinterfragenswert“ erscheine. Dies trage zur negativen Stimmung der deutschen Sauenhalter bei.

Für einen Flop hält Protschka das geplante freiwillige staatliche Tierwohllabel. „Noch nicht einmal im Ansatz erkennbar“ ist für den AfD-Politiker die Nutztierstrategie. „Peinliches Kompetenzgerangel“ mit dem Umweltministerium sei dafür verantwortlich, dass es für die Weidetierhalter in Deutschland immer noch keinen effektiven Schutz vor dem Wolf gebe.

Außerdem verschärfe sich der Zulassungsstau für Pflanzenschutzmittel zusehends, während die Forderungen nach Verboten von zugelassenen Pflanzenschutzmitteln immer lauter würden. Schließlich verwies Protschka auf die geplante Novelle der Düngeverordnung, die alle Landwirte mit weiteren Aufzeichnungspflichten und Bürokratiekosten belasten werde, obwohl die Umwelteffekte der 2017 novellierten Düngeverordnung noch nicht einmal messbar seien.

Der AfD-Politiker zieht die Schlussfolgerung, dass Klöckner „mit allen Mitteln den Strukturwandel vorantreibt“. Es zeige sich, dass das Bekenntnis der Regierungskoalition zum bäuerlichen Familienbetrieb nur ein leeres Versprechen sei.

Weiter so mit warmen Worten

Für die verbraucherpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Amira Mohamed Ali, setzt Klöckner das Aussitzen wichtiger Fragen leider fort, „trotz viel eigenem Optimismus der Ministerin“. Klöckner habe zugelassen, dass die Schlachtkonzerne das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration blockiert hätten. Die Pläne für die zukünftige europäische Agrarpolitik der Bundesregierung seien nach wie vor eine „Black Box“.

Eine wirksame Kennzeichnung sowohl beim Tierwohl als auch bei den Nährwerten werde komplett vernachlässigt. Der Linken-Politikerin zufolge müssen selbstverpflichtende Freiwilligkeit und Runde Tische als kosmetische Politik überwunden werden. Stattdessen bedürfe es eines „klaren politischen Verantwortungsbewusstseins für eine gemeinwohlorientierte Landwirtschaft“.

Ambitionierte Politik notwendig

Überwiegend kritisch bewerten auch Verbände aus dem Öko- und Umweltbereich die Arbeit der Bundeslandwirtschaftsministerin. Der Vorstandsvorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, forderte Klöckner anlässlich ihres Amtsantritts vor einem Jahr dazu auf, zum Motor für eine „enkeltaugliche Landwirtschaft und Ernährung“ zu werden.

Prinz Löwenstein bescheinigte der Bundesregierung, im Agrarbereich „richtige Themen auf die Agenda gesetzt zu haben. Das gelte insbesondere für das Ziel „20 % Ökolandbau bis 2030“. Gefordert sei nun aber eine ambitionierte Politik, die alle verfügbaren Instrumente auf das Öko-Ziel ausrichte

„Von EU-Agrarpolitik über Düngeverordnung, öffentlicher Gemeinschaftsverpflegung, Forschung, Klimapolitik und Tierwohllabel bis zur Züchtung muss Öko zum Anliegen der gesamten Bundesregierung werden“, so der BÖLW-Vorsitzende.

Keine Antworten

Ein mangelhaftes Zeugnis stellte der Naturschutzbund Deutschland (NABU) der Ministerin aus. Klöckner habe bislang keine Antwort gegeben, „wie Deutschlands und Europas Agrarpolitik umwelt- und klimaverträglicher werden soll“.

Auch zum Stopp des Insektensterbens lasse die Ministerin Lösungen vermissen. Zudem setze sie zu sehr auf freiwillige Vereinbarungen statt auf wirksame Gesetze und Ordnungsrecht. Positiv wertet der NABU das Verbot dreier Wirkstoffe der besonders bienenschädlichen Neonikotinoide. Seither herrsche jedoch Flaute im Bereich der angekündigten Pestizidreduktion. Ein Ausstiegsdatum für Glyphosat nenne die Ministerin nicht, Ersatzmittel für Neonikotinoide seien weiterhin auf dem Markt. Die Ministerin lasse zudem keine Strategie erkennen, wie der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel insgesamt reduziert werden könne.

Untätigkeit beim Schutz von Umwelt und Tieren wirft Greenpeace der Ministerin vor. Im ersten Jahr im Amt habe Klöckner „viel gesagt, aber wenig getan“. Wenn die CDU-Politikerin nicht die Ankündigungsministerin der Großen Koalition bleiben wolle, müsse sie jetzt „die offenkundigen Probleme angehen und sie nicht länger schönreden“.

Am Dienstag vergangener Woche hatten Greenpeace-Aktivisten an der Fassade des Bundeslandwirtschaftsministeriums in Berlin ein 100 m2 großes Banner enthüllt, auf dem ein Ende des Tierleids gefordert wurde.

AgE
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Kommentare 
Bienenfreund schrieb am 17.03.2019 10:32 Uhrzustimmen(39) widersprechen(5)
Die Verantwortung für den gesellschaftlicherzwungenen Wandel in der Landwirtschaft tragen wir alle. Ich kann nur werben für einen fairen Umgang der Gesellschaft, der Medien und des Naturschutzes mit der Landwirtschaft.
Wissenschaft vor Ideologie stellen, darum bemüht sich Frau Klöckner nun wirklich.
Mauersegler schrieb am 17.03.2019 09:01 Uhrzustimmen(5) widersprechen(31)
Danke, Smiley Boy, für Deinen sehr engagierten Kommentar, und meinen größten Dank natürlich all den Kritikern und Aktivisten (die ich selbst auch praktisch unterstütze). Mensch- und Tierwohl in unserer Gesellschaft auf den Punkt gebracht: Tierwohl ist immer auch Menschenwohl. Erstens fördert eine artgerechte biologische Haltung eine gesunde Ernährung, zweitens erhält sie eine artenreiche Landschaft und leistet einen immensen Beitrag zum Klimaschutz, etwa durch Böden, in denen natürliche Symbiosen aus Wurzeln, Pilzen und Mikroorganismen wesentlich mehr CO2 speichern können als totgespritzte Agrarwüsten. Drittens würde eine bessere, humanere Politik, die nicht nur der Wirtschaft liebedienert, für mehr Zufriedenheit und auf Dauer sozialen Frieden in unserem Land führen. Das alles hat diese Frau offenbar noch nicht begriffen oder will es nicht begreifen? Warum nicht? Das lässt leider Finsterstes für die Macht- und Geldgeilheitsstrukturen in dieser Union schließen! Schlechter besetzt kann ein Ministerium gar nicht sein als derzeit Landwirtschafts- und Verkehrsministerium. Svenja Schulze finde ich nicht schlecht und sie hätte ohne solche Gegner wie Andreas Scheuer und Julia Klöckner sicherlich zumindest bessere Arbeitsbedingungen.
Smiling boy schrieb am 16.03.2019 12:54 Uhrzustimmen(9) widersprechen(37)
Ein Lob all den o.g. Kritikern! Das grösste den Greenpeace-Aktivisten (s. letzten Absatz). Es wird allerhöchste Zeit, dass wir als Gesellschaft lernen, das Wohl der Tiere über Profit, Bequemlichkeit und "wellness" zu stellen. Leider sind Tierquälereien, darunter selbst gesetzlich erlaubte oder tolerierte, immer noch an der Tagesordnung.
Das Wohl der Menschen steht in der Rangordnung unseres Bewusstseins und unserer Gesetzgebung an höchster Stelle, das der Tiere gehört, zusammen mit dem für die Umwelt auf der ganzen Linie (dafür übrigens der Schuljugend mit ihren Freitagsdemos auch ein riesengrosses Lob) an die zweite Stelle.
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