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08.03.2021 | 03:26 | Landtagswahl Baden-Württemberg 

Zehn Jahre nach Fukushima: Kretschmann vor erneuter Wiederwahl

Stuttgart - Stefan Mappus setzt jetzt auf Sonne. Der vorerst letzte CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg hat auf seinem Dach in Pforzheim eine Solaranlage.

Winfried Kretschmann
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Hat Stefan Mappus die Grünen so stark gemacht? Oder war es das Atomunglück von Fukushima? In Baden-Württemberg hat die einst so stolze CDU jedenfalls ihre Dominanz verloren. Ein Erklärungsversuch kurz vor der Landtagswahl. (c) proplanta
Der Ex-CDU-Mann ist schon lange raus aus der Politik und arbeitet als Finanzvorstand bei einer IT-Firma in München. Und im Staatsministerium hoch über Stuttgart hockt seit zehn Jahren sein grüner Nachfolger. Winfried Kretschmann schickt sich sogar an, am kommenden Sonntag für eine weitere Amtszeit gewählt zu werden. Wie konnte es dazu kommen im Musterländle?

Rückblick: Als Regierungschef kämpft Mappus im Jahr 2010 wie kaum ein anderer für die Atomkraft. Er will, dass die Meiler so lang wie möglich am Netz bleiben. Sie sollen «bis zum Ende ihrer technischen Lebensdauer betrieben werden können», sagt er einmal. Mappus geht Norbert Röttgen, den damaligen CDU-Bundesumweltminister, hart an, weil der die Laufzeiten der AKW nicht verlängern will.

Am Ende bekommt Mappus quasi, was er will. Und noch mehr: Knapp vier Monate vor der Landtagswahl steigt das Land auf Mappus' Betreiben hin beim Karlsruher Atomkonzern EnBW ein. 4,8 Milliarden Euro legte er für 45 Prozent hin. Sein Jubel über den im Geheimen eingefädelten Coup, der später noch ein juristisches Nachspiel haben sollte, war groß.

Katastrophe: Doch dann bebt am 11. März 2011 etwa 9.000 Kilometer entfernt die Erde, ein Tsunami überrollt Japans Küste und in Fukushima explodiert ein Atomkraftwerk. «Die Weissagungen der Grünen haben sich auf fürchterliche Weise bestätigt», sagt Kretschmann heute. Damals macht er bei einer Menschenkette gegen die Kernkraft mit - die vom Sitz der Landesregierung bis zum AKW Neckarwestheim reicht: Knapp 60.000 Menschen auf 45 Kilometern.

Die Kanzlerin reagiert. Angela Merkel drückt ein dreimonatiges Moratorium für die sieben ältesten AKW durch, auch Philippsburg I und Neckarwestheim I sind dabei - und Mappus steht knapp zwei Wochen vor der Wahl düpiert da. Er fühlt sich wie im falschen Film. «Eines war uns klar: Das Wahlkampfkonzept können wir in die Tonne treten», erzählt er jüngst rückblickend in einer TV-Dokumentation.

Machtwechsel: Umso ärgerlicher für Mappus, weil sich die Umfragewerte für die CDU gerade von der Stuttgart-21-Delle erholt hatten und die der Grünen gesunken waren. Mit Schlichter Heiner Geißler gelingt es ihm, den Großkonflikt um den milliardenschweren Umbau des Bahnhofs und die ICE-Strecke nach Ulm einzuhegen.

Die CDU steht bei 42 Prozent, ihr Koalitionspartner FDP bei 6. Doch schon hier bringen die SPD mit 22 und die Grünen mit 21 Prozent zusammen mehr auf die Waage als die CDU. Das wäre für Grün eine Verdopplung des Wahlergebnisses von 2006 gewesen.

Mappus versucht zu retten, was zu retten ist. Sagt, Kernkraft sei nur eine «Brückentechnologie» hin zu den erneuerbaren Energien. Doch am 27. März 2011 ist die 58 Jahre lange CDU-Dominanz im Südwesten gebrochen: Grün-Rot besiegt Schwarz-Gelb, Kretschmann - damals 62 - wird erster grüner Regierungschef überhaupt. Und Mappus wird in der CDU zur persona non grata.

Unfall der Geschichte? - Davor hat Kretschmann lange auf ein Bündnis mit der CDU hingearbeitet. Nach der Wahl 2006 mit Günther Oettinger, doch dessen Liebäugeln macht Fraktionschef Mappus ein Ende. Noch im Mai 2010 - Oettinger ist da längst EU-Kommissar in Brüssel und Mappus Nachfolger - erklärt der Grüne, Mappus sei als Person kein Hindernis für eine Koalition, «wenn grüne Kernanliegen durchkommen».

Doch Stuttgart 21, Fukushima und Mappus' Rambo-Image stellen alles auf den Kopf. Kretschmann sagt heute: «Alle meine Gegner haben deswegen meine Wahl als Unfall der Geschichte betrachtet, als ein temporäres Ereignis.» Nach dem Volksentscheid pro Stuttgart 21 muss er das verhasste Projekt unterstützen. Realpolitiker Kretschmann springt über seinen Schatten und findet sogar zu einem entspannten Verhältnis zur Autoindustrie, der er zu Beginn mit der «Innovationspeitsche» gedroht hatte.

2016 überholen seine Grünen die CDU. Kretschmann hatte in der Flüchtlingskrise für die Kanzlerin gebetet, während Guido Wolf von der CDU sich mit einem Plan A2 gegen sie stellte. «Der zweite Wahlerfolg war wichtiger, weil er gezeigt hat, dass wir kein Unfall der Geschichte sind», sagt der Grüne heute.

Grün ist das neue Schwarz: Ironie der Geschichte: Kretschmann regiert von 2016 an mit der CDU, nur dass er der Chef ist. Viele in der Union fremdeln mit der Rolle als Juniorpartner. Und so spukt eine Deutschlandkoalition mit SPD und FDP durch die Köpfe. Doch keiner traut sich, und Vize-Ministerpräsident Thomas Strobl will sowieso mit Kretschmann ordentlich weiterregieren.

Zur Strafe schnappt ihm die Kultusministerin Susanne Eisenmann die Spitzenkandidatur vor der Nase weg. Sie will Kante zeigen und die CDU zu alter Stärke zurückführen. Aber diese Strategie geht nicht auf. Kurz vor der Wahl am 14. März und mitten in der Corona-Krise liegt die Union je nach Umfrage bei nur noch 24-25 Prozent und damit 8 bis 11 Punkte hinter den Grünen.

Und Stefan Mappus? Der erklärt in einem Interview, er sei sich nicht sicher, ob Eisenmann seinen 39 Prozent von vor zehn Jahren nahekomme. Und so muss die CDU wohl darauf hoffen, dass der 72-jährige Landesvater irgendwann genug von der Politik hat. Dann müssten die Grünen, die wegen des Abgangs wichtiger Minister und des Stuttgarter OB personell ziemlich ausgezehrt sind, zeigen, dass sie es auch ohne ihren Übervater können.
dpa/lsw
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Kommentare 
agricola pro agricolas schrieb am 08.03.2021 11:41 Uhrzustimmen(20) widersprechen(11)
Winfried Kretschmann wird wiedergewählt - nicht unbedingt nur, weil er heute noch immer der kaum mehr zu ersetzende Übervater im Ländle schlechthin wäre...

Es mangelt in den meisten Parteien einfach an den wählbaren jungen Wilden, an dem sprühenden, einfach mitreißenden Esprit, Zukunft zusammen zu gestalten.

Unverschämt wild sind die jungen Emporkömmlinge in so manchen Parteien ganz offensichtlich, so dreist "wild "sogar, dass Sie absolutes Gift für eine funktionierende Demokratie sind.

Es wird dem gemeinen Wahlvolk hier in Deutschland wirklich nicht leicht gemacht, seiner Bürgerpflicht an der Wahlurne noch nachkommen zu wollen. Die Alternativen sprichwörtlich zwischen Pest und Cholera -verharren wir hier beim marginalen Restvölkchen der Bauern- unterdrücken nahezu jedwede aufkeimenden Hoffnungen, eine Politik, vorwiegend geprägt von hinreichend Fachverstand, überhaupt noch einfordern zu können.

Wir ertrinken förmlichst in einer "Verbieteritis", wo es äußerst schwer ist, sich generell noch an die Oberfläche freischwimmen zu können. - Soll/darf das so bleiben!? Auch ein grüner Politstar Kretschmann muss sich dieser berechtigten Frage schleunigst stellen.

Um keine falschen Zwischentöne aufkommen zu lassen: Nein, Rassismus ist das, war wir hier im reichen Deutschland am Allerwenigsten jemals wieder gebrauchen können und damit ist diese Alternative versehen mit dem Prädikat "unwählbar"...
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