«Die Situation hat sich weiter verschlechtert», sagte Michael Gerst, Leiter von HessenForst in Kassel. Rund ein Drittel der Bäume im hessischen Staatswald habe gelichtete Kronen. Sie haben Nadeln oder Blätter verloren und sind ein nach außen sichtbares Zeichen für Waldschäden. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Erhebungen 1984. «Wir machen uns Sorgen», betonte Gerst. «Wir sehen landauf, landab große Schäden», sagte auch Matthias Becker von Hessischen Waldbesitzerverband.
Ganze Waldflächen sterben ab. «Im Juli hatten wir eine Schadfläche von 30.000 Hektar», erläuterte Gerst, dessen Landesbetrieb die staatlichen Flächen pflegt. Das entspricht 42.000 Fußballfeldern und einem Anteil von fast zehn Prozent an Hessens Staatswald mit insgesamt 341.500 Hektar.
Besonders betroffen seien die Buchen- und Fichtenbestände, die mit einem Anteil von 35 und 20 Prozent die Hauptbaumarten in den heimischen Wäldern ausmachten. Der Norden Hessens sei deutlich stärker in Mitleidenschaft gezogen als der südliche Teil des Bundeslandes. Für den nicht-staatlichen Wald mit einer Größe von rund 543.000 Hektar schätzt Becker den Anteil der Schadfläche mit sieben bis neun Prozent in etwa ebenso hoch ein.
Hauptproblem ist den Angaben nach die Wasserversorgung. Aufgrund des Wassermangels der vergangenen Jahre haben die Bäume kaum Abwehrkräfte gegen
Schädlinge wie den Borkenkäfer. «Zwar haben die aktuellen Niederschläge ein bisschen Entlastung gebracht, aber die Nachwirkungen der Dürrejahre 2018 bis 2020 können sie nicht kompensieren. Das reicht nicht aus, um den Wasserspeicher zu füllen», erläuterte Gerst.
Und die Lage dürfte sich weiter verschärfen: Wissenschaftler gehen laut Gerst aktuell von mindestens 100 Liter weniger Niederschlag pro Quadratmeter aus. Für 2040 bis 2070 erwarteten sie sogar bis zu 350 Liter pro Quadratmeter weniger. «Das ist eine gravierende Entwicklung», warnte der Leiter des Landesbetriebs und betonte die ökologische und wirtschaftliche Bedeutung des Waldes: «Er ist CO2-Speicher und Rückzugsraum für seltene Tiere und Pflanzen sowie ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Er dient außerdem dem Wasserrückhalt und durchlüftet die Städte. Und die Trinkwasserqualität hängt erheblich von ihm ab», zählte Gerst auf.
«Der Wald ist unersetzbar und muss erhalten werden», betonte er. Dazu brauche es eine klimaangepasste Baumartenwahl. «Wir müssen waldbaulich umdenken.» HessenForst setze auf Mischbestände, da sie stabiler und resilienter beim Ausgleich von Störungen seien. Lerchen, Roteichen und Kiefern sind dabei nur einige Beispiele, die Gerst nannte. Und Douglasien, die einerseits als Alternative im
Klimawandel gelten, andererseits aber als sogenannte invasive Art, die von außen eingeführt wurde, im Fokus stehen.
«Wir brauchen eine gesunde Mischung, auch um den Bedarf an Holz zu decken», sagte auch Becker. Für ihn ist die Douglasie ebenfalls ein Mittel der Wahl. Ein Patentrezept aber gebe es nicht. «Wir werden auch Fehler machen. Wir haben die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen. Aber wir werden versuchen, so wenige Fehler wie möglich zu machen», sagte das Präsidiumsmitglied des Hessischen Waldbesitzerverbands. «Wir können wie das
Kaninchen vor der Schlange sitzen oder die Aufgabe annehmen, den Wald sukzessive umzubauen», meinte er.
«Wir müssen aktiv mit dem Wissen, das wir heute haben, Entscheidungen treffen, mit allen Unsicherheiten», sagte auch Gerst. Seit 2001 leitet er den Landesbetrieb. In diesen zwei Dekaden habe sich der Wald dramatisch verändert. «Wir hatten einen vielfältigen und leistungsstarken Wald. Innerhalb der letzten vier Jahre hat sich sein Zustand rasant verschlechtert.»
Die Geschwindigkeit der Entwicklung habe auch der Waldbesitzerverband nicht erwartet, sagte Becker. «Und sie überfordert uns auch.» Die Schäden beträfen nicht nur ein oder zwei Baumarten. Das gesamte
Ökosystem Wald leide.
Ist es also eigentlich schon zu spät für unsere Wälder? «Wie Martin Luther gesagt haben soll: Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen», sagte Becker. «Letztlich sind wir alternativlos. Wir müssen den Wald so annehmen, wie er ist, ihn neu gestalten und wiederaufbauen», meinte Gerst. Jeder Baum, der wachse, binde
Kohlenstoffdioxid, kurz CO2. «Das ist der einzige biologische Beitrag, mit dem wir CO2-Emissionen reduzieren und der Klimakrise etwas entgegensetzen können.»
Man habe jetzt die Chance, einen klimaresistenten und resilienten Wald aufzubauen, sagte Gerst. «Wenn es gut geht, werden sich in 20 Jahren die Wunden geschlossen und sich ein neuer Wald gebildet haben. Bis dahin hat die Gesellschaft aber eine riesige Aufgabe vor sich. Es muss jetzt gehandelt werden.»