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26.03.2014 | 06:42 | Schwarz-Rot 

100 Tage große Koalition

Berlin - Die 100-Tage-Bilanz der neuen Regierung ist eigentlich gar nicht so schlecht. Zumindest wird viel auf den Weg gebracht. Wäre da nicht die Edathy-Affäre. Neuen Kitt bringt ausgerechnet eine schwere internationale Krise.

Große Koalition in Berlin
(c) proplanta
Krisen haben bei aller Dramatik oft einen wertvollen Nebeneffekt: Sie können Beteiligte stärken, zerstrittene Freunde wieder zusammenschweißen und von anderen Problemen ablenken. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist so ein Beispiel.

Die große Koalition steht in der Außenpolitik geschlossen da, Deutschland und die USA rücken trotz des NSA-Skandals wieder zusammen und die Edathy-Affäre, die zum Rücktritt des CSU-Ministers Hans-Peter Friedrich führte, gerät in den Hintergrund. Und doch: Die Turbulenzen um den SPD-Politiker Sebastian Edathy haben der zweiten schwarz-roten Regierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in den ersten 100 Tagen einen Knacks gegeben. Ansonsten ist die Bilanz - zumindest beim Tempo der Umsetzung des Koalitionsvertrages - gar nicht schlecht.

Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) treibt mit Unterstützung der Union die schwierige Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes voran, Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) schlägt im Rekordtempo Pflöcke beim Mindestlohn und beim Rentenpaket ein, CDU-Frau Ursula von der Leyen räumt im Verteidigungsministerium auf und ordnet die Rüstungspolitik neu.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) reduziert die Neuverschuldung schneller als geplant: 2015 will der Bund erstmals seit 1969 wieder einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) kämpfen um den durch die Krim-Krise gefährdeten Frieden in Europa. Deutschland wird in der Welt für sein Krisenmanagement geschätzt.

Bei der Union sitzt aber weiterhin tief, dass Friedrich zurücktreten musste, weil er SPD-Chef Gabriel schon im Oktober einen Hinweis auf mögliche Ermittlungen gegen den damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Edathy gab. Dieser hatte Bilder von nackten Kindern bestellt, was bei internationalen Ermittlungen gegen Kinderpornografie entdeckt wurde. Personelle Konsequenzen bei der SPD-Führung gab es nicht, Edathy könnte aber aus der Partei geworfen werden. Von einer «Edathy-Delle» und einem «Stresstest» spricht die Union, intern sogar von Rache.

Wurde die Kabinettsklausur von Meseberg Ende Januar als harmonisch empfunden, machte sich infolge der Affäre Misstrauen breit - selbst wenn der Zirkel der drei Parteichefs Merkel, Horst Seehofer (CSU) und Gabriel offensichtlich gut funktioniert. Was sie beschließen, müssen die Minister umsetzen, wie jüngst die Details zum Mindestlohn.

Die SPD mag gerade als Aktivposten der Koalition erscheinen, aber die Umfragewerte sind schwach. Teils liegen sie unter dem Wahlergebnis von 25,7 Prozent. Einer, der Gabriel gut kennt, sagt, der SPD-Chef denke das konsequent vom Ende her. Mit professioneller, seriöser Arbeit punkten, Versprechen einlösen. Wenn Verbesserungen durch Mindestlohn und Rentenpaket bei den Menschen ankämen, würden die Umfragewerte wieder steigen. Wichtig sei nur, wo man im Jahr 2017 stehen werde. Das sieht auch Merkel so. Sie lässt die SPD machen und hält sich innenpolitisch auffallend zurück. «Die Entscheidungen fallen in der zweiten Halbzeit», heißt es in der Union. Wie beim Fußball.

Anders als nach der letzten großen Koalition will die SPD nun aber von Anfang an klar machen, was sie durchgesetzt hat, wofür sie steht. Fraktionschef Thomas Oppermann ließ für seine Statements eigens eine neue Hintergrundwand anfertigen. Sie zeigt ein Navigationsgerät, zwei Pfeile auf rotem Schild weisen auf der Straße geradeaus, sie rahmen die Worte «Rente, Mindestlohn, Energiewende, Mietpreisbremse» ein. Dazu der Slogan: «Unser Ziel: Das Leben der Menschen verbessern.»

Oppermann bringt in fast Münteferingscher Manier das bisherige Agieren der SPD so auf den Punkt: «Gesagt, getan, gerecht.» Er, der durch eine Friedrichs Rücktritt auslösende Erklärung zur Edathy- Affäre schwer unter Druck geraten war, muss mit Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) den Laden zusammenhalten. «Ich habe zu Herrn Kauder eine sehr gute Arbeitsbeziehung», meint er. Eine Arbeitsbeziehung ist aber noch kein Vertrauensverhältnis. Daran muss Oppermann arbeiten.

Denn in den nächsten Wochen wird der Bundestag viel zu tun bekommen. Zuletzt wurde fast täglich ein neues Regierungsvorhaben auf den Weg gebracht: Mindestlohn, Mietpreisbremse, Elterngeld Plus. Differenzen gibt es um den Doppelpass für Kinder von Zuwanderern und etwaige Ausnahmen beim Mindestlohn von 8,50 Euro. Am meisten umkämpft ist gerade Gabriels Ökostrom-Reform und die Rente mit 63 für langjährig Versicherte. In der Union wird vor einer Frühverrentungswelle gewarnt, Nahles hält das für unbegründet. Aber ob das schwarz-rote Aufweichen früherer Rentenentscheidungen (es gibt auch Verbesserungen bei der Mütterrente) angesichts des demographischen Wandels sinnvoll ist?

Insgesamt fehlt der Koalition der rote Faden. Jeder Seite werden ihre Wünsche erfüllt, mal ist das unternehmensfreundlich, dann wird wieder staatliche Lohnpolitik wie beim Mindestlohn gemacht. Gabriel will mit einer industriefreundlichen Politik bei der Energiewende vor allem das SPD-Wirtschaftsprofil schärfen, um der Union in der Mitte wieder Wähler abjagen zu können. Wo er sonst gerne von einer «Politik für die kleinen Leute» spricht, scheint es daher gerade eher zweitrangig, dass die Strompreisdämpfung für die Bürger wegen Zugeständnissen an die Industrie am Ende nur marginal ausfallen könnte.

Gabriel führt die SPD-Minister stringent. Auf 27 Seiten werden detailliert die sozialdemokratischen Vorhaben für 2014 aufgelistet - gestaffelt nach «100 Tage», «bis zum Sommer» und «Jahresende». Noch nicht größer in Erscheinung getreten ist bisher allerdings der Bundesrat, dort ist die SPD wichtig als Mehrheitsbeschaffer. Aber zum Beispiel Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) macht schon mal klar, dass er kein Abnicker sei: «Wir werden sicherstellen, dass die Länder nicht lediglich zu einem Wurmfortsatz des Bundes werden.»
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