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26.05.2021 | 04:24

Bisher keine neuen Festlegungen zum Klimaschutz bei EU-Gipfel

EU-Gipfel
(c) proplanta

EU-Klimaschutz: Das große Feilschen beginnt



Wer muss wie viel tun für den Klimaschutz? Für die EU-Staaten ist das traditionell eine heikle Debatte. Der Brüsseler Gipfel bringt erst einmal wenig Klarheit.


Bundeskanzlerin Angela Merkel kam mit einem Angebot im Gepäck. Auf dem Weg zum neuen EU-Klimaziel für 2030 ist die Bundesrepublik bereit, weitere Lasten zu schultern. «Deutschland ist in Vorleistung getreten, wir haben unsere nationalen Ziele verschärft und wollen Klimaneutralität bereits bis 2045 erreichen», sagte Merkel beim EU-Gipfel und sprach von einem Beitrag zu einer europäischen Lösung. Streit gibt es trotzdem unter den 27 Staaten, und er dürfte so bald auch nicht enden. Es geht um viel Geld, auch für Verbraucher.

Die Staats- und Regierungschefs hatten im Dezember vereinbart, den Ausstoß von Klimagasen bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu bringen - statt bisher geplanten 40 Prozent. Schon das gelang nur nach einem sehr hartnäckigen Streit mit dem Kohleland Polen. Nun steht die Umsetzung an. Die EU-Kommission will dazu am 14. Juli ihr Paket «Fit für 55» mit zwölf Maßnahmen vom Ausbau erneuerbarer Energien bis zum Energiesparen vorlegen. Vorher wollten die EU-Staaten beim Gipfel Pflöcke einrammen. Nur gehen ihre Interessen weit auseinander.

Deutschland immerhin liegt nach der vom Verfassungsgericht angemahnten Verschärfung der Klimaziele nun fast genau auf dem künftigen EU-Kurs. «Das neue deutsche Klimaziel von minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030 passt ziemlich gut zu dem neuen EU-Ziel von mindestens minus 55 Prozent im Vergleich zu 1990», bestätigt Klimaexperte Jakob Graichen vom Ökoinstitut in Berlin. Trotzdem schließt er nicht aus, dass Berlin wegen EU-Vorgaben nachbessern muss. Das hängt davon ab, an wie vielen Schräubchen gedreht wird.

Traditionell fährt die EU beim Klimaschutz zweigleisig. Der europäische Emissionshandel ETS soll die Klimagase aus Energieerzeugung, Industrie und Luftfahrt drücken; bei den übrigen großen Verursachern wie Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Müll setzt man auf Lastenteilung - im Englischen etwas freundlicher «Effort Sharing» genannt. Das bedeutet, die nötige Reduzierung der Klimagase in diesen Sektoren wird mit nationalen Zielen unter den 27 Staaten aufgeteilt. Wegen des neuen 55-Prozent-Ziels muss jetzt in beiden Strängen nachgelegt werden.

Konsens ist nicht in Sicht. Im vorbereiteten Entwurf der Gipfelerklärung standen ohnehin nur allgemeine Eckpunkte: Man wolle weiter nationale Ziele, die Lastenteilung solle wie bisher «breit angelegt» sein, und zur Verteilung sollten dieselben Kriterien gelten wie bisher. Zahlen wurden nicht erwähnt. Aber selbst dieses windelweiche Papier kam beim Gipfel nicht durch. Die Passage wurde gestrichen und nur auf bekannte Klimaziele verwiesen. Nach Angaben von Diplomaten wollten einige Staaten konkretere Formulierungen, andere scheuten Festlegungen. Am Ende stand: sehr wenig.

Eine der Streitfragen: Müssen die östlichen EU-Staaten mehr tun - und wie viel finanzielle Hilfe bekommen sie dafür? Bisher hatten ärmere Länder geringere Vorgaben, weil sie wirtschaftlich aufholen sollen. So muss Bulgarien nach derzeitigen Regeln bis 2030 gar keine Treibhausgas-Minderung in den Sektoren erreichen, die nicht vom Emissionshandel erfasst sind.

Für Rumänien sind es minus 2 Prozent, für Polen minus 7 Prozent im Vergleich zu 2005. Im EU-Schnitt sind es hingegen für diese Sektoren bisher minus 30 Prozent, für Deutschland minus 38 Prozent, für Luxemburg und Schweden sogar minus 40 Prozent.

Jetzt muss auch in diesen Branchen mehr CO2 eingespart werden. Aber wird die Last auch zwischen den Ländern neu verteilt? EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagte nach dem Gipfel, die Wirtschaftskraft solle weiter Maßstab sein, das gebiete die Fairness.

Doch Klimaexperte Graichen argumentiert: «Der Abstand zwischen armen und reichen EU-Ländern bei den geforderten Anstrengungen für den Klimaschutz muss schrittweise verkleinert werden, weil alle bis 2050 klimaneutral werden sollen.» Widerstand ist programmiert. Polen gilt als größter Bremser. EU-Diplomaten mutmaßen, dass sich das Land zumindest weitere Hilfen für den Kohleausstieg sichern will, auch wenn dafür bereits Geld aus Brüssel zugesagt ist.

Der zweite Knackpunkt: Soll der Emissionshandel künftig auch den Verkehr und Gebäude erfassen? Das sei «eine konkrete Möglichkeit», sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans vor einigen Tagen. Das könnte bedeuten, dass auch für den Verbrauch von Kraft- oder Heizstoffen Verschmutzungsrechte benötigt würden, ähnlich wie für die Abgase aus Kraftwerken oder Fabriken. Hohe Kosten sollen Anreize schaffen, in neue Technik zu investieren.

Deutschland hat das auf nationaler Ebene gerade eingeführt, und Merkel lässt erkennen, dass sie die Ausweitung auf EU-Ebene unterstützt. Die Grünen im Europaparlament warnen hingegen, ein europäischer CO2-Preis beim Heizen oder Autofahren würde direkt Verbraucher treffen. Ihr Argument: Besser Autobauern niedrigere Abgaswerte vorschreiben als Autofahrern Kosten aufbürden.

Die EU-Kommission hat nun offenbar eine Art Mittelweg im Blick. Sie erwägt einen CO2-Preis für Heizen und Kühlen in Gebäuden sowie für Straßenverkehr - dies präsentierte von der Leyen dem Gipfel. Es gehe aber nicht um eine Ausweitung des bestehenden Emissionshandels ETS, sondern um ein neues System, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Dieses könnte in kleinen Schritten zusätzlich eingeführt werden. Soziale Auswirkungen müssten mit Hilfe aus Brüssel abgefedert werden.

Ob sich die EU-Staaten damit anfreunden? Erstmal warten sie die offiziellen Vorschläge der Kommission in knapp zwei Monaten ab. Im Herbst dürfte der Streit dann in die heiße Phase gehen.
dpa
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