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05.05.2014 | 14:39
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Freihandelsabkommen: EU und USA weisen Verbraucher-Sorgen zurück

Freihandel
(c) proplanta

Mythos TTIP - wie Sigmar Gabriel das Handelsabkommen retten will



Wenn Sigmar Gabriel etwas stinkt, kann man die Uhr danach stellen, wann der SPD-Chef seine Gefühle herauslässt. So ein Moment ist am Montag in der prächtigen Aula seines Bundeswirtschaftsministeriums zu beobachten. Der Saal ist proppevoll. Gabriel hat zur Diskussion über das Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA eingeladen.

Ein Megaprojekt, das polarisiert, das bei Bürgern Ängste weckt - vor mit Chlor desinfizierten Hühnchen, vor chemisch belasteten Baby-Schnullern aus Übersee und skrupellosen US-Investoren, die das heimische Wasserwerk aufkaufen und bei Widerstand den überforderten Bürgermeister oder gleich die Bundesregierung vor einem namenlosen Schiedsgericht auf gigantischen Schadenersatz verklagen.

Gabriel nimmt diese Sorgen ernst. Jedenfalls hat er es sich vorgenommen. Befürworter und Gegner sollen sich unter der Schirmherrschaft des Vizekanzlers zuhören, im besten Fall den anderen verstehen und mithelfen, dass vielleicht Ende 2015 das Abkommen fertig ist, wie Kanzlerin Angela Merkel es gerade bei ihrer USA-Reise verkündet hatte.

Den weiten Weg aus Washington hat Chef-Verhandler Michael Froman auf sich genommen, aus Brüssel EU-Handelskommissar Karel de Gucht. Daneben sitzen dicht gedrängt Dutzende Vertreter aus der Wirtschaft, Umwelt- und Verbraucherschützer.

Aus dem Meer dunkler Anzüge und Kostüme leuchten ein roter Pulli und ein roter Haarschopf auf. Maritta Strasser kämpft für die Protestbewegung Campact gegen das Abkommen. Stolz trägt sie vor, dass 470.000 Bürger den Protest gegen das Vertragswerk mit dem sperrigen Namen «Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft» - kurz TTIP - unterschrieben haben.

Ungefähr so viele Mitglieder führt Gabriel als Parteichef der Sozialdemokraten. Die Zahl regt ihn auf. Was denn das Ganze soll, empört er sich. Immer diese Dagegen-Haltung. Unterschriften sammeln gegen etwas, was es noch gar nicht gibt. «Wo hier im Saal keiner weiß, was drinsteht, Sie auch nicht», hält er der Campact-Aktivistin vor, die errötet an der Wand lehnt.

De Gucht, der liberale EU-Kommissar aus Belgien, macht gleich mit. Er lese ja in seinen Mails auch, was Campact alles so treibe. Er persönlich aber versuche, für 500 Millionen Europäer zu sprechen. Ein Totschlagsargument. Typischer Reflex der TTIP-Befürworter, genervt vom Wirbel der Nichtregierungsorganisationen? Später sagt de Gucht vor Journalisten, bestimmte TTIP-Gegner würden bewusst lügen, um den Gesprächen mit den USA zu schaden. Etwa beim Fleisch: «Es wird kein Hormonfleisch in Europa geben.»

Gabriel allerdings treibt es auch nicht auf die Spitze. Versöhnlich klingt seine Analyse, dass die 470.000 Unterschriften ja dann doch ein Beweis dafür seien, dass die Geheimniskrämerei von Washington und Brüssel zu Beginn der Verhandlungen TTIP zu einem Mythos gemacht habe. Diese bösen Geister müsse die Politik vertreiben: «Wir sollten nicht gegen Mythen kämpfen, sondern gegen schlechte Verträge.» Dabei sollten einige in Europa von ihrem hohen Ross herunterkommen, etwa beim Streit mit den USA um Gentechnik in der Landwirtschaft: «Bei keinem Thema wird so viel gelogen in den Abstimmungen der EU wie bei der Gentechnik», sagt Gabriel.

Als die Übersetzung sein Ohr erreicht hat, muss Froman schmunzeln. Der Amerikaner, den alle kumpelhaft «Mike» nennen und der als Vertrauter von US-Präsident Barack Obama eine Schlüsselrolle bei TTIP hat, tritt ansonsten ziemlich abgeklärt auf. Er kennt die Deutschen gut. In Berlin wurde sein Vater geboren, als Kind lebte Froman zeitweise in der geteilten Stadt. Ein höflicher Mensch, beim Geschäftlichen aber knallhart.

US-Konzerne wollten laxe Vorschriften aus der Heimat in Europa durchsetzen? «Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir nicht Babys füttern mit Chemikalien, die wir nicht vorher getestet haben.» Das Kapitel zum Schutz von Investoren und zur Anrufung von Schiedsgerichten ganz streichen, wie Gabriel das will? Nicht mit Froman. Alle Vertragsinhalte transparent ins Internet stellen? Sorry, da hätten die Amerikaner eben eine andere Tradition, erklärt der Gast und viele im Saal denken wohl an den US-Geheimdienst NSA. Am Ende fährt Deutschland-Kenner Froman doch noch mit einer neuen Erkenntnis zurück nach Washington: «Ich bin überrascht, wie die Leute hier zwischen guten und schlechten Ländern unterscheiden.»
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Kommentare 
nietz schrieb am 05.05.2014 17:51 Uhrzustimmen(73) widersprechen(90)
Eigentlich ist es doch mehr als logisch, dass sie die Sorgen der Verbraucher als unbegründet bezeichnen. Klar haben wir in Europa gewisse Standards, es ist aber leider so, dass auch das Verbraucherrecht innerhalb Europa nicht wirklich gut ist. Man muss nur mal die Nachrichten verfolgen! Firmen haben hier mehr Schutz als der Verbraucher
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