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08.03.2023 | 11:27 | Handelsbeziehungen 

Brexit-Baustellen: Wo es nach der Nordirland-Einigung noch hakt

London - Plötzlich wirkt es, als hebe sich ein bleierner Vorhang. Nach Jahren mit gegenseitigen Vorwürfen, in denen mehr über- als miteinander geredet wurde, zeigen sich Großbritannien und die EU als herzliche Partner. Grund: Der Durchbruch im Brexit-Streit um Nordirland.

Brexit
Die Erleichterung war groß: Nach langen Verhandlungen konnten sich London und Brüssel endlich auf Brexit-Regeln für Nordirland einigen. Damit ist auch das gegenseitige Vertrauen wieder da - und das ist nötig, denn es warten zahlreiche andere offene Punkte. (c) proplanta
Vor allem der britische Premierminister Rishi Sunak habe Vertrauen zurückgewonnen, sagt die britische Politologin Jill Rutter. Die Zugeständnisse, die er der EU abrang, wären mit Vorgängern wie dem erratischen Boris Johnson wohl kaum möglich gewesen.

Aber noch längst herrsche zwischen London und Brüssel nicht Friede, Freude, Eierkuchen, betonen EU-Diplomaten. «Der Brexit ist nicht erledigt», mahnt Professor Anand Menon vom King's College London. «Die formellen Brexit-Verhandlungen werden ewig dauern.» Auch gut drei Jahre nach dem britischen EU-Austritt gibt es viele Baustellen.

Nordirland: Trotz der Einigung - die Lage in der britischen Provinz bleibt volatil. Denn den Hardcore-Brexiteers ist ein Dorn im Auge, dass noch immer der Europäische Gerichtshof (EuGH) die letzte Instanz bei Zollstreit ist. Hier droht Sunak parteiinterner Ärger. Nicht ausgeschlossen zudem, dass die größte nordirische Protestantenpartei DUP ihre Blockade einer Regierungsbildung aufrechterhält. Das würde dann auch die Beziehungen zwischen London und Brüssel neu belasten.

Handel: Der bilaterale Handel zwischen Großbritannien und der EU ist seit dem Brexit eingebrochen, aus deutscher Sicht steht das Königreich nur noch auf Platz elf der Außenhandelspartner. Besserung ist nicht in Sicht. Eine Rückkehr in den EU-Binnenmarkt schließt mittlerweile auch die sozialdemokratische Labour-Partei aus, die gute Chancen hat, Sunaks Konservative im kommenden Jahr in der Regierung abzulösen.

Daher dürften Bürokratiekosten oder auch Zölle noch auf lange Sicht den Handel hemmen. Die Lage würde sich noch erschweren, wenn Großbritannien erst einmal die Importkontrollen in vollem Umfang aufnimmt, die weiterhin ausgesetzt sind - auch wegen Personalmangels. Anlass zu Knatsch gibt es immer wieder. Demnächst müssten wieder Fischereiquoten ausgehandelt werden, sagte Experte Menon.

Dienstleistungen: Die Nordirland-Einigung ermögliche, Bereiche doch zu regeln, die aus dem Brexit-Handelsabkommen ausgeklammert worden waren, sagt der Wirtschaftsanwalt York-Alexander von Massenbach. Dazu zähle der Dienstleistungssektor, der rund 80 Prozent des britischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmacht.

«Insbesondere zu den Finanzdienstleistungen trifft das Abkommen lediglich rudimentäre Regelungen», sagt der Partner bei der Kanzlei GSK Stockmann in London. Unternehmen auf beiden Seiten des Ärmelkanals profitieren nicht mehr vom «Herkunftslandprinzip», das den grenzüberschreitenden Dienstleistungs- und Warenverkehr ordnet, sowie vom «Passporting», das Banken und Finanzdienstleistern Zugang zum Binnenmarkt eröffnet.

EU-Gesetze: Besonders problematisch ist aus Sicht von EU-Diplomaten, dass die konservative britische Regierung Tausende EU-Gesetze, die nach dem Brexit aus dem EU-Recht in britisches Recht kopiert wurden, zum Jahresende auslaufen lassen will. Doch zu große Abweichungen von EU-Regeln könnten den Handel noch weiter erschweren, warnt der britische Handelskammerverbund BCC. Auch von Massenbach betont, das Freihandelsabkommen mit der EU basiere wesentlich auf gleichen Wettbewerbsvoraussetzungen, insbesondere bei Arbeitsrecht, Umwelt, Steuern sowie Beihilfenrecht. Es sei daher vollkommen unklar, welche Gesetze betroffen und mit welchen Auswirkungen ihre Aufhebung verbunden sein werde, sagt der Wirtschaftsanwalt.

Wissenschaft: Der Brexit-Deal zu Nordirland könnte Großbritannien die Rückkehr in das EU-Wissenschaftsprogramm «Horizon Europe» ebnen. Britische Hochschulen schmerzt es sehr, dass sie seit dem Brexit beim weltweit größten Forschungs- und Innovationsförderprogramm außen vor sind. Seit mehr als zwei Jahren müssten sich die besten britischen Wissenschaftler zwischen der Finanzierung ihrer Arbeit und dem «Land, das sie lieben» entscheiden, sagt die Wissenschaftsexpertin der Oppositionspartei Labour, Chi Onwurah. Wissenschaftsministerin Michelle Donelan betont, eine Horizon-Rückkehr habe Priorität, die Regierung arbeite aber an einem Plan B. Sie will die heimische Tech-Industrie und Wissenschafts-Start-ups mit Millionen fördern.

Visa: Seit Januar 2021 benötigen EU-Bürger, die nach Großbritannien ziehen und dort arbeiten wollen, ein Visum. Damit werde der Dienstleistungsverkehr wesentlich erschwert, sagt GSK-Experte von Massenbach. Experten zu entsenden, lohnt sich für viele Unternehmen angesichts hoher Kosten nicht mehr. Auch Schüleraustausche und -fahrten sind erschwert, da neuerdings alle Schüler einen Reisepass vorlegen müssen. Künstler sind ebenfalls betroffen, so gibt es etwa für Tourneen von Musikbands noch immer keine Visa-Regelung.
dpa
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