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24.06.2021 | 01:13 | Fünf Jahre Brexit-Votum 

Brexit: Johnson schwärmt, Briten gespalten

London - Auch ein halbes Jahrzehnt nach dem Brexit-Votum sind die Briten in der Frage zu einer EU-Mitgliedschaft ihres Landes noch immer tief gespalten.

Fünf Jahre Brexit-Votum
Der britische Premierminister Boris Johnson beschwört die Chancen, die der EU-Austritt aus seiner Sicht birgt. Kritiker verweisen auf wirtschaftliche Schäden und ein drohendes Auseinanderbrechen des Landes. Die Bevölkerung ist uneins, was vom Brexit zu halten ist. (c) proplanta
Der Brexit dominiere zwar nicht mehr die Schlagzeilen, aber das Thema sei weiterhin umstritten und polarisierend, schrieb der renommierte britische Wahlforscher John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow zum fünften Jahrestag des Referendums am Mittwoch im «Independent». Bei der Volksabstimmung 2016 hatten die Briten mit 52 zu 48 Prozent knapp für den Austritt aus der Europäischen Union votierten - jüngste Umfragen im Lichte der Entwicklungen seither ergaben hingegen ein Patt.

Der Abschied aus der Staatengemeinschaft erfolgte nach langen Verhandlungen Ende Januar 2020, seit dem 1. Januar 2021 ist Großbritannien auch nicht mehr Mitglied der EU-Zollunion und des Binnenmarkts. Das hat schwerwiegende Folgen mit sich gebracht, etwa für den Handel, aber auch für Menschen, die in Großbritannien leben und arbeiten wollen.

Premierminister Boris Johnson, der damals an der Spitze der «Vote Leave»-Kampagne für den EU-Austritt stand, betonte zum Jahrestag die Chancen, die der Brexit bringe. «Während wir uns von der Pandemie erholen, werden wir das wahre Potenzial unserer wiedergewonnenen Souveränität ausschöpfen und das gesamte Vereinigte Königreich enger zusammenbringen und auf ein höheres Niveau heben», erklärte Johnson.

Man werde die Freiheiten nutzen, die der Brexit bringe, um im ganzen Land Investitionen und Innovationen voranzubringen und Arbeitsplätze zu schaffen, so der konservative Politiker.

Kritiker weisen hingegen darauf hin, dass der Brexit die britische Wirtschaft hart getroffen hat und das Land zudem vor einer Zerreißprobe steht. So strebt die schottische Regierung die Unabhängigkeit sowie die Rückkehr in die EU an. Die Mehrheit der Schotten hatte 2016 für den Verbleib in der Gemeinschaft gestimmt.

Der britische Staatsminister Michael Gove machte allerdings in der Zeitung «Telegraph» deutlich, dass eine neue Abstimmung über eine Loslösung vom Vereinigten Königreich kaum vor der nächsten Parlamentswahl denkbar sei, die für 2024 geplant ist.

In Schottland habe der Brexit die Unterstützung für die Union mit England, Wales und Nordirland sinken lassen, erläuterte Wissenschaftler Curtice im Gespräch mit Journalisten vor dem Jahrestag. Die Zustimmung zur Unabhängigkeit Schottlands sei bei proeuropäischen Schotten seit dem Brexit-Referendum deutlich gestiegen.

Historiker Timothy Garton Ash warnte im «Guardian» vor einem Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs. Der Brexit habe nicht nur die Chancen auf eine Abspaltung Schottlands erhöht, sondern auch ein Referendum über die Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland wahrscheinlicher gemacht, so Garton Ash.

Die Lage in Nordirland ist kompliziert. Die britische Provinz ist aufgrund der Brexit-Vereinbarung de facto weiter Teil des EU-Binnenmarkts und der EU-Zollunion - damit ist aber eine Warengrenze zum Rest des Vereinigten Königreichs entstanden. Viele sehen den Friedensprozess in der früheren Bürgerkriegsregion gefährdet. Nach einem innerparteilichen Machtkampf in der größten protestantisch-unionistischen Partei, der DUP (Democratic Unionist Party), steuert die Provinz nun wohl auf eine Neuwahl zu.

Immerhin zeichnete sich am Mittwoch ein Hoffnungsschimmer im als «Würstchenkrieg» bezeichneten Streit um den Ablauf einer Übergangsfrist für Fleisch- und Wurstprodukte ab. Nach bisherigem Stand dürfen wegen abweichender Hygieneregeln Würste und andere Waren ab Ende des Monats nicht mehr von England, Schottland und Wales nach Nordirland eingeführt werden.

Damit soll der EU-Binnenmarkt geschützt werden, denn die Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland soll unbedingt offen bleiben. London drohte damit, die Vereinbarung zu kippen und die Übergangsfrist einseitig zu verlängern. Nun könnte es Berichten zufolge einen Kompromiss geben.

Vor den wirtschaftlichen Folgen des Brexits warnte unter anderen Michael Heseltine. Der Brexit sei keinesfalls abgeschlossen, so der frühere britische Vize-Regierungschef. «Er hat soeben erst begonnen, und die Aussichten sind unheilvoll», sagte Heseltine, der zu Johnsons Konservativer Partei gehört.

Neben der Gefahr für den Frieden in Nordirland schwäche der Brexit die Fischindustrie und untergrabe die Wettbewerbsfähigkeit britischer Landwirte. Zudem verschiebe die wichtige Finanzindustrie ihre Aktivitäten immer stärker in die EU, weil ihr ansonsten der Zugang zu diesem wichtigen Markt fehle.
dpa
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