„Die Vereinbarung ist auch für den Bereich der Agrar- und
Ernährungswirtschaft von hoher Bedeutung, da im Falle eines ‚No Deal‘ aus deutscher Sicht mit erheblichen Exportverlusten zu rechnen gewesen wäre - annähernd doppelt so hoch wie im Falle des jetzt geschlossenen Abkommens“, erklärte die scheidende Agrarratspräsidentin am Montag, 28.12.20, in einer Stellungnahme. Das Ausbleiben einer Einigung hätte sich insbesondere auf die deutschen Erzeuger, die vor allem Getreide-, Fleisch- und Milchprodukte verarbeiteten, negativ ausgewirkt.
Unterdessen stimmten die EU-Mitgliedstaaten am Dienstag, 29.12.20, der vorläufigen Anwendung der Brexit-Einigung zu. Das britische Unterhaus folgte am Tag darauf mit seiner Zustimmung. Somit kann die Einigung zu Beginn des neuen Jahres zunächst in Kraft treten. Die finale Zustimmung durch Rat und Europaparlament sowie durch das Unterhaus des Vereinigten Königreichs soll in den kommenden Monaten erfolgen. Klöckner wies auch darauf hin, dass das Vereinigte Königreich unter den Zielländern deutscher Agrarexporte den fünften Platz einnehme. Kern des Abkommens sei, dass auch künftig im Handel mit Großbritannien keine
Zölle erhoben würden und keine Beschränkungen durch Quoten erfolgten.
Zusatzkosten erwartetNichtsdestoweniger bleibe beziehungsweise werde das Vereinigte Königreich auch mit dem neuen Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ein Drittstaat; dies werde die Beziehungen zur EU in allen Bereichen „erheblich“ verändern, erklärte die Bundeslandwirtschaftsministerin. Für den Handel bedeute das einen erheblichen Anstieg der administrativen Kosten. Für Inspektionen, Grenzabfertigung und Transaktionskosten würden zusätzliche Kosten in Höhe von rund 10 % des Warenwerts erwartet, so Klöckner.
Zudem seien insbesondere zu Jahresbeginn aufgrund der neuen Kontrollen Verzögerungen und administrative Probleme an der Grenze möglich. Die CDU-Politikerin gestand zu, dass die Brexit-Verhandlungen zwar „intensiv und unter hohem politischen Druck“ verlaufen seien. Die insgesamt zur Verfügung stehende Zeit von einem Jahr im Vergleich zur Verhandlungsdauer anderer Handelsabkommen sei allerdings zu kurz ausgefallen.
Verbindliches StreitbeilegungsverfahrenWie das
Bundeslandwirtschaftsministerium weiter mitteilte, hat London für den Aspekt vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen ursprünglich darauf gedrängt, lediglich die Standards der
Welthandelsorganisation (
WTO) zu akzeptieren. Allerdings seien im Ergebnis alle aus Sicht der EU relevanten Bereiche mit „Transparenzanforderungen und Rückschrittsverboten“ versehen worden. So solle ein gemeinsames Schutzniveau sichergestellt und Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden.
Laut dem Berliner Agrarressort sind bei Verletzungen der Standards Gegenmaßnahmen wie beispielsweise die Einführung von Zöllen möglich. Des Weiteren unterlägen sämtliche relevanten Bereiche des Abkommens bilateralen Steuerungsgremien und einem verbindlichen Streitbeilegungsverfahren. Ein solches habe das Vereinigte Königreich ursprünglich abgelehnt. Nicht durchsetzen konnte sich die EU dem Ministerium zufolge bei ihrer ursprünglichen Forderung nach einer
Überwachung wesentlicher Vereinbarungen durch den Europäischen Gerichtshof (
EuGH) und bei der dynamischen Bindung der Briten an künftig geänderte beziehungsweise erhöhte EU-Standards.
„Fachlich noch schwer einzuschätzen“ sei gegenwärtig, wie effektiv die Regelungen im Bereich vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen funktionierten. In jedem Fall erwartet das Ressort, dass dem Streitbeilegungsverfahren eine erhebliche Bedeutung zukommen wird.
Gesundheitspolizeilich ein DrittstaatIm Hinblick auf gesundheitspolizeiliche- und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen stellte Bundeslandwirtschaftsministerium klar, dass
Lebensmittelimporte aus dem Vereinigten Königreich „grundsätzlich denselben Kontrollen“ unterliegen würden wie Einfuhren aus anderen Drittstaaten. Wesentliche Prinzipien wie beispielsweise Zertifizierung, Listung von Betrieben, Regionalisierung respektive Kompartimentalisierung, Durchführung von Audits sowie „EU als Einheit - single entity“ seien in dem entsprechenden Kapitel enthalten.
Derweil müssten Importe von Pflanzenbestandteilen und Fleischprodukten aus Großbritannien als Drittland ab sofort, soweit das EU-Recht dies vorschreibe, unter anderem von den entsprechenden Zertifikaten begleitet werden. Die ursprünglichen Forderungen der Briten nach einer weitgehenden grundsätzlichen gegenseitigen Anerkennung der gesundheitspolizeilichen Maßnahmen als äquivalent habe die EU abgelehnt.
Bestehende Herkunftsbezeichnungen bleiben geschütztBeim Umgang mit Ursprungsregeln garantiere der Vertragstext, dass nur Produkte mit Ursprung aus dem Vereinigten Königreich beziehungsweise aus der EU zollfrei über die Grenze verbracht werden dürften. Dies gelte im Besonderen auch für „zusammengesetzte Produkte“. Ein Schutz künftiger geografischer Herkunftsangaben sei mit dem Brexit-Handelsabkommen nicht vereinbart worden.
Die bestehenden Herkunftsbezeichnungen blieben aber durch das Austrittsabkommen geschützt, sicherte das Bundeslandwirtschaftsministerium zu. Im Vertragstext sei lediglich eine allgemeine Klausel enthalten, dass die Parteien künftig gemeinsam neue respektive weitergehende Regeln vereinbaren könnten. Darüber hinaus enthalte das Abkommen Regelungen zur gegenseitigen Anerkennung der Zertifizierung von Ökoprodukten und dem Handel mit Wein, darunter gemeinsame Prinzipien zur Kennzeichnung.
Erleichterung auf beiden SeitenErfreut über die Einigung zeigten sich auch die EU-Ausschüsse der
Bauernverbände (
COPA) und ländlichen Genossenschaften (
COGECA) sowie die EU-Dachverbände der Ernährungswirtschaft (FoodDrinkEurope) und des Nahrungsmittelhandels (CELCAA). In einer gemeinsamen Stellungnahme forderten sie die zuständigen staatlichen Stellen auf, jetzt sicherzustellen, dass die neuen Regeln klar verständlich und umsetzbar seien. Des Weiteren pochen die Dachverbände darauf, die EU-Brexit-Anpassungsreserve in Höhe von 5 Mrd. Euro rasch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), Landwirte, Agrargenossenschaften und Händler bereitzustellen.
Als „eine sehr positive Nachricht“ für die Landwirtschaft auf der Insel bezeichnete die Präsidentin des britischen Bauernverbandes (NFU), Minette Batters, die erzielte Übereinkunft. Schließlich sei die EU der größte Agrarhandelspartner Großbritanniens. Insofern sei die Aufrechterhaltung eines zollfreien Zugangs zum EU-Markt für die britische Lebensmittel- und Landwirtschaftsindustrie von entscheidender Bedeutung.