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29.11.2020 | 12:11 | Schweinehaltung in der Krise 

Bund prüft Finanzhilfen für Schweinehalter

Berlin - Schnelle Lösungen, um den Rückstau am deutschen Schlachtschweinemarkt aufzulösen und damit die Erzeugerpreise nach oben zu bringen, sind weiterhin nicht in Sicht.

Finanzhilfen für Schweinehalter
Bei einem Krisengipfel zum Schlachtschweinemarkt zeichnen sich keine schnellen Lösungen ab - Ministerin Klöckner will zunächst die Voraussetzungen für den Bezug von Corona-Nothilfen klären. (c) proplanta
Deshalb will der Bund jetzt Finanzhilfen für die krisengeschüttelten Schweinehalter prüfen. Das hat Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner am Freitag (27.11.) bei einer Videoschalte mit ihren Amtskollegen aus den Ländern zur prekären Lage am Schweinemarkt angekündigt. Damit Gelder aus den Corona-Nothilfen fließen könnten, müsse allerdings ein Bezug der finanziellen Schäden zur Pandemie nachgewiesen werden, sagte die Ministerin.

Grundsätzlich offen für finanzielle Hilfen zugunsten von schweinehaltenden Betrieben zeigte sich auch der CDU-Haushaltspolitiker Christian Haase. „Wir haben die schwierige Lage der Schweinehalter auf dem Schirm“, erklärte Haase gegenüber AGRA-EUROPE. Der Bundestagsabgeordnete verwies auf im Haushalt eingestellte Corona-Hilfen. Da gebe es noch Luft. Haase nannte zwei Voraussetzungen für eine finanzielle Unterstützung. Zum einen müssten etwaige Finanzhilfen streng am Bedarf ausgerichtet sein; „eine Gießkannenförderung wird es nicht geben“, stellte der CDU-Politiker klar. Zum anderen müssten sich die Länder beteiligen. Der Bund könne nicht mehr sämtliche Zahlungen allein stemmen. „Die Länder müssen mit ins Boot“, so Haase.

Im Vorfeld des Krisengipfels hatte der Deutsche Bauernverband (DBV) rasche Maßnahmen zur Abwendung eines weiteren Strukturbruchs in der Schweinehaltung angemahnt. „Unsere Schweinehalter erleben derzeit die größte Krise seit Jahrzehnten“, machte DBV-Präsident Joachim Rukwied deutlich. Nach seiner Einschätzung sind die Schlachtkapazitäten in Deutschland weiter knapp, der Stau in den Ställen dadurch unverändert groß und das Preisniveau für die Schweinebauern ruinös.

In den vergangenen zehn Jahren habe nahezu die Hälfte aller Schweinehalter den Betrieb eingestellt, erinnerte der so der DBV-Präsident. Diese Entwicklung dürfe sich nicht fortsetzen. „Wenn wir weiter Schweinefleisch aus Deutschland auf dem Tisch haben wollen, dann brauchen unsere Schweinehalter jetzt ein klares Signal, dass Schweinehaltung in Deutschland weiterhin gewünscht ist. Allein können die Bauern diese Krise nicht schultern“, zeigte sich Rukwied überzeugt.

Corona-Maßnahmen nicht eins zu eins übertragbar

Im Zuge der Überbrückungshilfe II werden bekanntlich direkte Zuschüsse zu förderfähigen Fixkosten gezahlt, wenn durch coronabedingte Auflagen oder Schließungen ein durchschnittlicher Umsatzrückgang von mindestens 50 % gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum nachgewiesen werden kann. Bei der „Novemberhilfe“ geht es um die Zahlung einer einmaligen Kostenpauschale für Unternehmen, die direkt oder indirekt von staatlichen Schließungsanordnungen betroffen sind.

Beide Maßnahmen können damit nicht eins zu eins auf die Situation in der Schweinebranche angewendet werden, da es dort um indirekte Marktauswirkungen mit unterschiedlichen Ursachen geht. Klöckner will deshalb prüfen lassen, inwieweit auch die Ferkelerzeuger und Schweinemäster von den Corona-Maßnahmen profitieren können und ob die Fördermaßnahmen für schweinehaltende Betriebe überhaupt geeignete Liquiditätshilfen darstellen.

Richtiges Timing entscheidend

Auch mögliche Beihilfen zur Privaten Lagerhaltung (PLH) hatte Klöckner bei dem Krisentreffen mit ihren Amtskollegen aus den Ländern thematisiert. Damit die PLH eine marktstabilisierende Wirkung entfaltet, kommt es der Ministerin zufolge auf das richtige Timing des Markteingriffs an. Gesprochen haben die Ressortchefs aus Bund und Ländern auch über mögliche finanzielle Förderung des Ausstiegs aus der Sauenhaltung. Ein solches Programm zur Bestandsreduzierung stellt aus Sicht Klöckners allerdings eine einschneidende Strukturmaßnahme dar. Sie warnte in diesem Zusammenhang vor einer stärkeren Konzentration der Tierhaltung und einem weiter rückläufigen Selbstversorgungsgrad.

Ampelsystem in der Arbeit

Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast will alles daran setzen, den Schweinestau abzubauen, damit sich das Tierschutzproblem in den Ställen nicht weiter verschärft. „Deshalb sind wir in enger Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium, um eine Flexibilisierung in den Schlachthöfen zu realisieren“, teilte Otte-Kinast mit. Dazu gehöre angesichts der von etlichen Schlachtbetrieben regelmäßig durchgeführten Testung aller Betriebsangehörigen auch die Klärung, ob diese lückenlose Testung bei der Rückkehr von Mitarbeitern aus der Quarantäne oder aus anderen Ländern fristverkürzend Berücksichtigung finden könne. Unter Federführung ihres Hauses entstehe aktuell eine Richtlinie für ein Ampelsystem, damit der Betrieb bei einem Corona-Infektionsgeschehen in einem Schlachthof aufrechterhalten werden kann.

Magere Ergebnisse

Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Dr. Till Backhaus zeigte sich von den Ergebnissen der Krisensitzung enttäuscht. „Ich hatte ein klares Signal des Bundes und der Länder und konkrete Hilfsangebote für die Landwirtschaft erwartet, aber die Ergebnisse sind äußerst mager“, monierte der Minister. Selbst in der Einschätzung der Lage seien sich die Länder nicht einig gewesen. Er habe den Eindruck, dass viele Amtskollegen den Ernst der Lage noch nicht erkannt hätten, sagte der Ressortchef. „Ich kann nicht nachvollziehen, dass eine gesamte Branche, die in Zeiten von Corona nicht weniger, sondern mehr arbeitet und die Grundlagen dafür legt, dass die Versorgung der Bevölkerung gewährleistet bleibt, unter dem Strich nur Minus macht, dafür aber bei den Corona-Hilfen nahezu außen vor bleibt“, so Backhaus.

Für Schweinehalter kommt es knüppeldick

Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) hat das Krisentreffen zum Anlass genommen, erneut schnelle und unbürokratische Corona-Nothilfen zu fordern. Die Abstimmung der Agrarminister aus Bund und Ländern sei richtig und wichtig, erklärte ISN-Geschäftsführer Dr. Torsten Staack. Für die deutschen Schweinehalter sei die aktuelle Lage ruinös und existenzbedrohend. Die Erlöseinbußen durch die Corona-Pandemie summierten sich mittlerweile auf 1,3 Mrd. Euro.

Durch die Bekämpfungsmaßnahmen der Corona-Pandemie, aber auch den Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest (ASP) in Deutschland komme es für die heimischen Schweinehalter in diesem Jahr knüppeldick. Diese seien durch den Schweinestau und die Absatzprobleme beim Schweinefleisch unverschuldet in die katastrophale Notlage geraten. „In den einzelnen Bundesländern ist in den vergangenen Wochen viel passiert und viel möglich gemacht worden, um die Lösung des Schweinstaus voranzutreiben. Für die Schweinehalter ist es enorm wichtig, dass die Maßnahmen nun weiter verzahnt werden und einheitlich zur Anwendung kommen“, argumentierte Staack.

Mit dem Rücken zur Wand

Mangelndes Engagement hat die FDP-Bundestagsabgeordnete Nicole Bauer dem Berliner Agrarressort im Hinblick auf den notwendigen Abbau des Schweinestaus in Deutschland vorgeworfen. „Die Schweinehalter stehen schon jetzt mit dem Rücken zur Wand. Nun von jedem einzelnen Betrieb eine freiwillige Bestandsreduzierung zu erwarten, ist an Empathie- und Ahnungslosigkeit kaum zu übertreffen“, kritisierte Bauer.

AfD-Agrarsprecher Stephan Protschka forderte, die coronabedingt eingeschränkten Schlachthöfe wieder voll auszulasten, um den Schweinestau schnellstmöglich komplett abzubauen. „Zusätzlich darf die Politik nicht diejenigen Schlachtunternehmen blockieren, die ihre Schlacht- und Zerlegekapazitäten vernünftigerweise weiter ausbauen“, ergänzte Protschka. Er bezeichnete die heimische Fleischproduktion als systemrelevant. Deshalb müsse den deutschen Schweinehaltern helfend unter die Arme gegriffen werden. Unbürokratisch gewährte Corona-Hilfen müssten direkt bei den Tierhaltern ankommen, anstatt den Markt indirekt über PLH-Beihilfen zu stützen.

Forderung nach PLH ist lächerlich

Der Agrarsprecher der Grünen im Bundestag, Friedrich Ostendorff, geht davon aus, dass es am Schweinemarkt bald wieder aufwärts geht. „Wir haben den Höhepunkt des Schweinestaus schon hinter uns; die Lage in den Schlachthöfen entspannt sich langsam“, meint Ostendorff. Dies sei zu erwarten gewesen, denn die großen Schlachthöfe schlachteten fast alle wieder bei voller Auslastung. Dass Ministerin Klöckner ausgerechnet jetzt die PLH ins Spiel bringe, sei „geradezu lächerlich“. Selbst wenn sie sich in Brüssel durchsetzen könnte, die Schweinehalter hätten letztlich nichts davon.

Die agrarpolitische Sprecherin der Linken, Dr. Kirsten Tackmann, glaubt, dass die Bundesregierung die „Systemkrise“ in der Schweinehaltung aussitzen will. „Pandemie und ASP führen zu erschütternden Entwicklungen auf dem Schweinemarkt. Spätestens mit dem Schweinestau vor den Schlachtkonzerntüren wird das Risiko eines Kollapses des Systems deutlich“, argumentierte Tackmann. Einzig die Bundesregierung sehe keinen Handlungsbedarf, was unverantwortlich sei. Stattdessen müsse jetzt für eine sozial abgefederte Entlastung gesorgt werden, zum Beispiel durch Prämien für jede nicht belegte Sau. Oder man nutze die Chance für den längst überfälligen, sozial gestalteten Umbau auf eine flächengebundene Tierhaltung durch Ausstiegsprogramme wie in den Niederlanden.

Exportfixierung ist schädlich

Greenpeace nutzte das Krisengespräch für einen Generalangriff auf die konventionelle Schweinehaltung. Staatshilfen für die Schweineindustrie verschlimmerten die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme von „Billigfleisch“ nur weiter, erklärte die Umweltorganisation. Bessern könne Klöckner die Lage nur, wenn sie die industrielle Fleischproduktion mit politischen Mitteln umgestalte.

Die Branche müsse weg von ihrer Exportfixierung hin zu einer regionalen Produktion für hiesige Verbraucher, vom austauschbaren „Billigfleisch“ zu einer Qualitätsproduktion, die Tiere und Umwelt besser schütze, so die Umweltorganisation. Nun räche sich, dass die Ministerin bis heute nicht die Empfehlungen der Borchert-Kommission umgesetzt habe. Schon längst hätte sie eine Tierwohlabgabe beschließen können, um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren.
AgE
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