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19.01.2010 | 10:15 | EU-Agrarpolitik  

Dacian Ciolos überzeugt bei EP-Hearing der Kommissarskandidaten

Wien - Dacian Ciolos (40), Agrarexperte aus Rumänien und Kandidat für den Agrarkommissar in der Europäischen Kommission Barroso II, überzeugte vergangenen Freitag in Brüssel beim Hearing die Mitglieder des Agrarausschusses des Europäischen Parlaments (EP) von seiner Qualifikation und Programmatik.

Dacian Ciolos - Kandidat für den Agrarkommissar
(c) zf.ro
Ciolos sagte, in Kooperation mit den Parlamentariern für die Programmperiode nach 2013 eine starke Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) mit entsprechender Mittelausstattung auf den Grundsätzen der Stabilität und Voraussehbarkeit für die Landwirte,... der Sicherung einer gesunden Lebensmittelversorgung für die Konsumenten und des Gefühls für die Steuerzahler, ihr Geld sei gut angelegt, entwickeln zu wollen. Er erteilte einer Renationalisierung der Agrarpolitik ebenso eine deutliche Absage wie einer weiteren "Liberalisierung um der Liberalisierung willen" oder "Reform um der Reform willen", wenngleich er eine Reform der GAP für notwendig hält, um auf die derzeitige Situation reagieren zu können und Verbesserungen zu erreichen. Eine Mitteilung der Kommission an Rat und EP über die Gestaltung der GAP nach 2013 kündigte Ciolos bis Ende dieses Jahres an. 

Ciolos erntete nach dem dreistündigen Hearing für seine Antworten auf die Fragen der Europaparlamentarier quer durch die Fraktionen eine nahezu frenetische Zustimmung. Österreichs Agrarvertreterin im EP, Elisabeth Köstinger, die selbst Ciolos unter anderem zu seinen Vorstellungen zu Politik für die Berggebiete und Hofübernehmer befragte, sagte nach dem Hearing vor Journalisten, Ciolos habe "souverän bewiesen, dass er absolut die Fähigkeit für einen guten Agrarkommissar mitbringe, und er seine Ziele klar darlegen konnte". Es habe unter den Abgeordneten nahezu eine "Aufbruchsstimmung im Hinblick auf die künftige Gestaltung der GAP" geherrscht.

Auch der Europäische Landwirteverband COPA war in einer ersten Reaktion voll des Lobes über den anfänglich, nach seiner Nominierung Ende November 2009, mit Skepsis aufgenommenen Kandidaten: "Yes he can" (Ja, er kann), titelte COPA in Anlehnung an den Wahlkampfslogan des US-Präsidenten Barack Obama ihre Presseaussendung. Der Vorsitzende des EP-Agrarausschusses, der Italiener Paolo De Castro von der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten, resümierte das Hearing Ciolos mit den Worten: "Wir sind sehr zufrieden. Nicht viele Kandidaten haben noch so herzlichen Applaus erhalten." 


Schwerpunkte Direktzahlungen, Marktordnungen und Ländliche Entwicklung 

Der unter anderem ehemalige Landwirtschaftsminister und Sprecher seines Landes im Sonderausschuss Landwirtschaft (SAL) der EU mit akademischen Abschlüssen in Agrarökonomie, Agrarhandel und Agrarökologie an Universitäten in Frankreich und Italien skizzierte drei Schwerpunkte - Direktzahlungen, neue Marktordnungsinstrumente und Ländliche Entwicklung - einer künftigen GAP: In der ersten Säule müsste auf neuen Kriterien basierend ein von der Mehrheit der Mitgliedstaaten tragbares und ausgewogenes Modell der Direktzahlungen gefunden werden, das den Landwirten die Stabilisierung eines Mindesteinkommens garantiert. Klar machte er dabei jedenfalls, dass als Verteilungskriterium für künftige Direktzahlungen "die historische Referenz keine angemessene Lösung mehr ist. Sie muss der Geschichte angehören."

De facto heißt das wohl, um die Unterstützung einer möglichst breiten Mehrheit an Mitgliedstaaten dafür zu bekommen, wird es wohl notwendig sein, nach 2013 in irgendeiner Form auf die Forderung der neuen Mitgliedstaaten nach gleich hohen Direktzahlungen wie in den alten EU-Ländern einzugehen und eine Umverteilung von West nach Ost vorzunehmen. "Die Direktzahlungen müssen einfacher, gerechter und transparenter werden." 


Branchenvereinbarungen und Ausnahmen von EU-Wettbewerbsrecht 

Die Marktordnungen will Ciolos mit "modernen Marktmechanismen" ausstatten, um Mängel in der Funktionsweise der Märkte zu korrigieren und die enormen Preisschwankungen der jüngsten Vergangenheit im Interesse stabiler Landwirteeinkommen und Verbraucherpreise in Schranken zu halten. Dazu bekennt er sich zu "Marktregulierung" und "Mechanismen, das Angebot in der Branche selber zu regulieren". Konkret befragt heißt das für den neuen Agrarkommissar zwar keine Rückkehr etwa zu den Milchquoten, denn "die Quote regelt bei dem Ausmaß der Marktöffnung nur das Angebot, wird aber auf der Seite des Nachfrageeinbruchs nicht wirksam". Aber er sprach von "neuen Lösungen als Antwort auf die Volatilität" der Märkte und Preise. 

Dem neuen Agrarkommissar scheint eine überzogene Marktmacht des Lebensmittelhandels in der Wertschöpfungskette sehr bewusst zu sein und er bekannte sich dazu, den Anteil der Produzenten daran erhöhen zu wollen. Als Mittel dazu sieht er Zusammenschlüsse von Landwirten sowie feiwillige, privatwirtschaftliche Branchenvereinbarungen etwa zur Angebotssteuerung. Hier endet die Kompetenz des Agrarkommissars aber an den Grenzen des europäischen Wettbewerbsrechtes. Dennoch will Ciolos die Marktbeteiligten zu solchen Verhandlungen ermutigen und innerhalb der Kommission für entsprechende Ausnahmen für die Landwirtschaft im Wettbewerbsrecht eintreten. "Das Wettbewerbsrecht soll Zusammenschlüsse der Landwirte erlauben und für sie dort, wo möglich, Ausnahmen machen, um sie in der Verteilung des Mehrwertes in der Produktionskette besserzustellen." 


EU hat in WTO-Verhandlungen die Grenze erreicht 

Mindestpreise hält er aber ebenso wie Quoten und Exporterstattungen für nicht sinnvoll und "eine neue Festung Binnenmarkt wird es auch nicht geben können". Einen Ansatz sieht Ciolos aber darin, die Qualitätszeichen und Produktionsstandards der europäischen Landwirtschaft zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auch auf den Weltmärkten zu verankern. Damit verfolgt er in den laufenden Verhandlungen zur Doha-Runde der Welthandelsorganisation WTO die Ziele der Anerkennung europäischer Standards auch für Importe in die EU und regionaler europäischer Qualitäts- und Herkunftskennzeichnungen auf Drittmärkten. Er kündigte dazu auch eine Absatzförderung auf europäischer und internationaler Ebene an, wobei ihm auch sehr an regionalen Produkten gelegen sei. 

Als Knackpunkt in der WTO bezeichnete Ciolos den Marktzutritt. "Die EU hat in der WTO beim Marktzutritt die Grenze erreicht. Ich erwarte nun Gegenvorschläge der Verhandlungspartner und die Anerkennung unserer non trade concerns." 


"Wunderwaffe" Artikel 68 

Quasi als "Wunderwaffe" einer künftigen Agrarpolitik pries Ciolos in seinem Hearing auf unterschiedliche Fragen nach sektoriellen Interessen den Absatz 68 der EU-Verordnung für die Direktzahlungen an. Mit dem Passus "Hilfen für Sektoren mit besonderen Problemen" in der Verordnung für die Direktzahlungen können Mitgliedstaaten 10 % der innerhalb ihrer nationalen Obergrenzen jedem Sektor zustehenden Direktzahlungen einbehalten und dort für Umweltschutzmaßnahmen oder Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität und der Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse einsetzen. Der Health Check brachte dabei weitere Flexibilität: Die Mittel müssen nicht mehr in denselben Sektor zurückfließen, sondern können zur Verfügung gestellt werden, um Nachteile in bestimmten Regionen auszugleichen, die auf die Erzeugung von Milch, Rindfleisch, Schaf- und Ziegenfleisch sowie Reis spezialisiert sind, oder um Ansprüche in Bereichen aufzustocken, die unter Umstrukturierungs- und/oder Entwicklungsprogramme fallen. Konkret findet Artikel 68 in Österreich als Rechtsgrundlage für die Milchkuhprämien als flankierende Maßnahme zum Ausstieg aus den Milchquoten Anwendung. 

Diesen Artikel 68 will Ciolos offensichtlich in der neuen GAP zu einem Universalhilfsmittel für eine Flexibilisierung und Regionalisierung heranziehen. Während er bei den Direktzahlungen eine europaweite Vereinheitlichung vorschlagen will, sollen offenbar in der Ländlichen Entwicklung mithilfe einer "Artikel 68-Konstruktion" mehr nationale Spielräume eröffnet werden. So schwebt ihm konkret die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe auf lokalen Märkten und die Stärkung regionaler Spezialitäten vor, um insbesondere einer kleinstrukturierten Landwirtschaft oder den Berg- und benachteiligten Gebieten Perspektiven bieten zu können. Sein Ziel sind "aktive Landwirte. Das sind jene, die Lebensmittel produzieren, daraus Einkommen erzielen und der Gesellschaft Güter im öffentlichen Interesse bieten." 


Direktzahlungen und Ländliche Entwicklung speziell für Berggebiete und Hofübernehmer 

Konkret antwortete Ciolos auf eine diesbezügliche Frage Köstingers nach seiner Politik für die Berggebiete, er setze sich dafür ein, dass "in der GAP nach 2013 in der zweiten Säule genug Geld zur Verfügung steht, um die Möglichkeit zu haben, ehrgeizige Ziele zu verfolgen". Dabei sieht er die bestehenden Obergrenzen der ersten und zweiten Säule nicht als Credo, werde aber in der Europäischen Kommission argumentieren, dass "weiterhin eine gemeinsame und gut ausgestattete GAP notwendig ist". 

Die GAP seine eine "gemeinsame Politik, mit einem gemeinsamen Haushalt, egal wie er finanziert ist, und es gibt ja auch nicht zwei Arten von Landwirtschaft in Europa, sondern ein und dieselbe". Die Ländliche Entwicklung werde aber weiterhin anders aussehen müssen als die erste Säule der GAP. Der springende Punkt ist für Ciolos jedenfalls die Finanzierung der GAP: Den Berggebieten gehe es nicht nur darum, dort die Landwirte als solche zu erhalten, sondern deren Produkte und die von ihnen bereitgestellten Güter im öffentlichen Interesse zu verwerten. Im Hinblick auf die Überalterung in der Landwirtschaft will Ciolos in der Ländlichen Entwicklung und mit den Direktzahlungen Signale an Junglandwirte setzen und bekannte dabei: "Die Ländliche Entwicklung soll in der GAP bleiben, sie hat Lösungen für die Landwirtschaft zu bieten - und auch die anderen Wirtschaftssektoren im ländlichen Raum hängen mit der Landwirtschaft zusammen. Die Direktzahlungen haben insbesondere für eine Stabilität zu sorgen und für Vorhersehbarkeit bei Investitionsplanungen." 


Ländliche Entwicklung nicht an Regionalpolitik abgeben 

Sowohl Ciolos als auch der für den Regionalkommissar designierte österreichische Kandidat Johannes Hahn bei seinem Hearing am Tag zuvor, bemühten sich, keinen Konflikt zwischen Regionalpolitik und Agrarpolitik in der EU heraufzubeschwören oder eine Umverteilungsnotwendigkeit von der Ländlichen Entwicklung in die Regionalpolitik zu sehen. "Die Agrarmittel sollen da bleiben, wo sie sind", so Ciolos. Beide Kandidaten sagten jedoch, sie wollten Überschneidungen der beiden Politikbereiche vermeiden und ihre Ressorts und Programme künftig besser koordinieren. "Es soll keine weißen Flecken mehr zwischen Stadt und Land geben", so die Worte des künftigen Agrarkommissars. 


Springender Punkt Finanzierung: Ciolos will mehr Geld 

Der springende Punkt, wieweit die ehrgeizigen Ziele Ciolos umsetzbar sein werden, bleibt die künftige Finanzierung der GAP in der für den Zeitraum 2014 bis 2020 fälligen nächsten Finanziellen Vorausschau der EU (der bisher siebenjährige langfristige Budgetrahmen der EU). "Die Budgetierung erlaubt zurzeit eine funktionierende GAP. Das muss weiter so sein. Ich werde mich um die Rechtfertigung höherer Haushaltsmittel bemühen, denn es wird keine kohärente GAP möglich sein, wenn keine angemessene Mittelausstattung vorhanden ist", zeichnete er seinen Kurs für die anstehende Überzeugungsarbeit innerhalb des Kommissarskollegiums und den anderen europäischen Institutionen sowie gegenüber der Öffentlichkeit vor. "Dass ich recht habe, heißt ja noch nicht, dass ich recht bekomme", gab er zu bedenken. 

Sehr zur Beruhigung der Abgeordneten erteilte Ciolos eine klare Absage an ein kürzlich zirkuliertes "non paper", wonach die künftige Kommission eine Kürzung der Agrarmittel und unter dem Titel Krisenbekämpfung und Arbeitsplatzsicherung Umschichtungen in andere Politikbereiche der EU vorhabe. Denn auch die Agrarpolitik verfolge diese sogenannten "Lissabon-Ziele", weil es, so Ciolos, "auch in der Landwirtschaft um Millionen Arbeitsplätze geht". Sein Modell einer europäischen Landwirtschaft fuße auf den Werten einer hohen Qualität und Vielfalt der Agrarprodukte sowie deren flächendeckenden Verfügbarkeit. "Wegen dieser Flächenhaftigkeit ist für mich die Verbindung zum europäischen Sozialmodell gegeben", antwortete Ciolos auf Fragen sozialdemokratischer Abgeordneter. 

Konkret wollte Ciolos allerdings nicht sagen, ob er Geld von der ersten in die zweite Säule umschichten wolle. "Zuerst brauchen wir ein Budget, das den ehrgeizigen Zielen gerecht wird. Dann muss man ein Gleichgewicht zwischen den Zielen und dem zur Verfügung stehenden Geld finden. Die Verordnung für die Ländliche Entwicklung nach 2013 soll aber auf alle Fälle präzisere Verpflichtungen der Mitgliedstaaten auf Schwerpunkte der Gemeinschaft wie die Verringerung der CO2-Emissionen enthalten." Grundsätzlich bietet der neue Agrarkommissar dem durch den Lissabon-Vertrag durch die volle Mitsprache in der EU-Agrargesetzgebung gestärkten EP ein offenes Ohr und konstruktive Zusammenarbeit an, da er in den Europaparlamentariern den Link zur Bevölkerung, zu den Landwirten sieht. "Denn niemand kann Landwirtschaft vom Schreibtisch aus verstehen." 


GVO: Konsumenten sollen entscheiden 

Natürlich interessierte die Abgeordneten auch Ciolos Haltung gegenüber GVO. Zum Anbau von GVO in der europäischen Landwirtschaft sagte er, dies sei eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit auf den Märkten, denn es müssten sich für GVO-Produkte in Europa erst einmal Verbraucher finden. Aber in der Tierfütterung müsse in Bezug auf die Nulltoleranz gegenüber nicht zugelassenen GVO-Sorten in Eiweißimporten eine Lösung gefunden werden. "Denn was bringt es, anstatt von Futtermitteln Fleisch zu importieren, das ebenfalls mit GVO produziert worden ist?"
 Angesprochen darauf, wie er mit Druck aus seinem - nicht unbedingt für eine korrekte Mittelverwaltung im Agrarsektor bekannten - Heimatland Rumänien als Kommissar umgehen werde, stellte Ciolos fest, "ich bin ein europäischer Kommissar und werde die Regeln streng anwenden". Er stehe zwar für eine weitere Vereinfachung der Agrarpolitik, nicht aber für eine Schwächung der Kontrolle. Und dabei werde er auch von sehr kompetenten Mitarbeitern der Europäischen Kommission unterstützt.


Quelle: Lebensministerium Österreich
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