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12.01.2015 | 15:14 | Jubiläum 

Die Grünen werden 35

Berlin - Einige in der Parteispitze waren ganz aus dem Häuschen, von einer Sensation war die Rede: Auf ihrem Parteitag in Hamburg Ende November beschlossen die Grünen, Waffenlieferungen in Krisenregionen nicht mehr grundsätzlich abzulehnen.

Bündnis 90 die Grünen
Die Grünen feiern Geburtstag. 35 ist kein jugendliches Alter mehr. Doch eine Partei wie die anderen sind die ehemaligen Ökopaxe immer noch nicht.
Eine klare Abkehr vom Pazifismus früherer Jahre. Aber sicher kein Vergleich zum Sonderparteitag 1999 in Bielefeld, als die Grünen-Basis nach heftigen Auseinandersetzungen einer deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg zustimmte. 35 Jahre geht das jetzt schon so.

Zur Erinnerung: Der damalige Grünen-Außenminister Joschka Fischer - langjähriger Frontmann und neben Petra Kelly vielleicht der einzige «Über-Grüne», den es je gegeben hat - wurde in Bielefeld bei einem Farbbeutel-Wurf am Ohr verletzt. Es flogen Stinkbomben, es gab Buttersäure-Anschläge.

Der rot-grünen Bundesregierung drohte das Aus. Auch die Grünen standen nah am Abgrund, Mitglieder und Wähler liefen in Scharen davon. Diese Zerreißprobe überstanden sie aber wie viele Rückschläge davor und danach. 1990 etwa, als sie fast komplett aus dem Bundestag flogen und dort nur dank einiger Ost-Parlamentarier überwintern konnten.

Auch die Folgen der problematischen Offenheit für obskure Splittergruppen, die die Grünen in ihrer Gründungszeit auszeichnete, haben sie relativ schadlos überwunden. Als die Partei durch die Pädophilie-Debatte von ihrer Vergangenheit eingeholt wurde, hat ihr das wenig ausgemacht. Der erwartete Einbruch bei den Wählern blieb aus.

Allen Unkenrufen zum Trotz haben sich die einstigen Öko-Rebellen 35 Jahre nach ihrer Gründung am 13. Januar 1980 in der deutschen Parteienlandschaft fest etabliert - nicht trotz, auch wegen der vielen Flügelkämpfe zwischen «Fundis» und «Realos», «Linken» und «Modernisierern» und und und. Die «Ökospinner» von einst sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

In Baden-Württemberg stellen sie mit Winfried Kretschmann einen Ministerpräsidenten, an acht Landesregierungen sind sie beteiligt. Keine andere Partei mischt so in den verschiedensten Koalitionen mit wie die Grünen - ob Schwarz-Grün, Rot-Rot-Grün oder nur mit dem Lieblingspartner SPD.

Für den Düsseldorfer Parteienforscher Ulrich von Alemann sind die Grünen ein «ganz seltenes Phänomen». Sie seien in das etablierte Macht-Oligopol aus Union, SPD und FDP eingedrungen - als Anti-Parteien-Partei, die ein Zeitgefühl verkörperte, das andere vernachlässigt hätten. Den Grünen sei es gelungen, unterschiedlichste Motive zu bündeln. «Parteien entstehen nicht einfach aus politischem Unmut.» Soziale, politische und moralische Bewegungen müssten dahinter stehen: «Dann können sie sich halten.»

Lukas Beckmann, einer der Gründerväter von 1980, sieht die Grünen weiter richtig positioniert. Denn die Ideale eines ökologischen und nachhaltigen Wirtschaftens seien nach wie vor ein Kernthema der Gesellschaft. Sind die Grünen die neue FDP, die - wie manche meinen - mit jedem ins Bett geht? «Die Gefahr sehe ich nicht», sagt Beckmann. Die Mitgliederstrukturen und das Milieu seien völlig anders.

Natürlich gibt es sie noch, die strickenden Parteitagsdelegierten. Zu den Wählern gehören aber heute vor allem Besserverdiener, Akademiker und mancher Manager, der sich dem «Green New Deal» - dem nachhaltigen Wirtschaften - verschrieben hat. Und es waren die Grünen, die mit der SPD Reformen wie die Hartz-IV-Gesetze oder die Rente mit 67 durchsetzten.

Heute tummelt sich die Partei nicht nur im «Bionade-Milieu». Sie will Angebote für die gesamte Gesellschaft machen. Weshalb Konflikte programmiert sind: Krieg und Frieden - das wird auch in den nächsten Jahren das sensibelste Thema sein. Und eine echte Agrarwende ohne Konflikt mit Wirtschaftsinteressen wird es kaum geben. 

Aber die Grünen hätten sich schon «sehr stark gewandelt», sagt von Alemann: «Sie haben sich angepasst.» Auch von der Dominanz ihrer Führungsfiguren hätten sie sich emanzipiert - im Gegensatz etwa zur CDU unter Kanzlerin Angela Merkel.

Eine Volkspartei werden die Grünen wohl nie werden. 2010, als sie in Umfragen über 20 Prozent lagen, wetterte der Göttinger Politologe Franz Walter noch: «Sie verkörpern mustergültig das Parteienmodell der Christdemokraten aus den 50er Jahren: Es wird nicht mehr gestritten, es wird nicht öffentlich rivalisiert; mit programmatischen Debatten übertreiben sie es längst nicht mehr; denn in der Politik geht es - erstens, zweitens, drittens - um Macht.»

Inzwischen gibt es längst wieder Streit, und das ist möglicherweise auch gut so. «Wir Grüne können und wollen es nicht allen recht machen, wir wollen uns nicht an alle und jeden ohne Mut und eigene Ideen ankuscheln», heißt es in einem Papier der Parteilinken, das jetzt auf der Fraktionsklausur in Weimar bekanntwurde. Man kann sich fast darauf verlassen: Gestritten wird immer.
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