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04.06.2023 | 14:15 | Düngepolitik 

Düngerecht: Kommission stellt Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein

Brüssel / Berlin - Der jahrelange Rechtsstreit um die deutsche Düngepolitik ist beendet.

Düngemitteleinsatz
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Ende des jahrelangen Rechtsstreits wegen unzureichender Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie - Erleichterung in Politik und Verbänden - Özdemir sieht Düngepolitik bestätigt - Schwarz: Erster Meilenstein - DBV drängt auf verursachergerechte Regelungen - Kabinett beschließt Novelle des Düngegesetzes. (c) proplanta
Die Europäische Kommission hat in dieser Woche ihr Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen unzureichender Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie eingestellt. Insgesamt stünden die Regelungen nun im Einklang mit der Nitratrichtlinie und seien geeignet, die Belastung in den Gewässern zu verringern, erklärte eine Sprecherin der Kommission gegenüber AGRA-EUROPE.

Durch die Anpassung der maßgeblichen Vorschriften werde sichergestellt, dass die negativen Auswirkungen auf Böden und Gewässer verringert würden. Beispielhaft angeführt wurden von der Sprecherin längere Sperrzeiten, das Verbot für das Ausbringen auf gefrorenen Böden sowie strengere Vorgaben für Hanglagen.

Auch die Neuausweisung der Roten Gebiete und die damit verbundene Vorgabe, den Düngebedarf im Durchschnitt der belasteten Flächen um 20 % zu verringern, wurde explizit erwähnt. Politik und Verbände reagierten erleichtert. Die Bundesregierung sieht mit der Entscheidung der Brüsseler Administration ihre Düngepolitik bestätigt. Damit zeige sich, dass Deutschland den richtigen Weg eingeschlagen habe, erklärten die Bundesminister Cem Özdemir und Steffi Lemke. In den vergangenen Jahren seien die Düngeregeln zwar immer wieder verändert worden, allerdings nicht ausreichend und verlässlich genug.

Rückkehr zu rechtsstaatlichen Verfahren



Der Vorsitzende der Agrarministerkonferenz (AMK), Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Werner Schwarz, sprach von einem „ersten Meilenstein“ und einem wichtigen Signal für die Landwirte. Im nächsten Schritt müsse es nun darum gehen, ein Verfahren zu etablieren, das die Betriebe entlaste, die nachweislich gewässerschonend wirtschafteten. Voraussetzung dafür seien eine Stoffstrombilanzierung und die Einführung eines Wirkungsmonitorings.

Für den Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Bernhard Krüsken, war die Brüsseler Entscheidung „längst überfällig“. Nun sei es möglich, wieder zu geordneten rechtsstaatlichen Verfahren im Düngerecht zurückzukehren, „weil die EU-Kommission nicht mehr auf Zuruf Änderungen in der Düngeverordnung durchdrücken kann.“

Verfahren zehn Jahre anhängig



Die Europäische Kommission hatte im Oktober 2013 auf die aus ihrer Sicht mangelhaften deutschen Düngevorgaben im Rahmen eines Aktionsprogramms der damaligen Bundesregierung reagiert und ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingeleitet. Ein 2017 beschlossenes Düngepaket und die damit verbundene Verschärfung der Düngeverordnung konnte eine Verurteilung durch den EuGH im folgenden Jahr nicht abwenden.

Auch eine neuerliche Änderung der Regelungen konnte die Kommission nicht dazu bewegen, das Verfahren einzustellen. Sie hatte zwischenzeitlich ein sogenanntes Zweitverfahren gegen Deutschland eingeleitet, damit den Druck erhöht und mit massiven Strafzahlungen gedroht, sollte Deutschland das Nitratproblem nicht in den Griff bekommen. Zuletzt hatte Brüssel auf neue Regelungen zur Ausweisung der Roten Gebiete gedrängt.

Voraussetzung für verursachergerechte Regeln



Für die Einstellung des Verfahrens spielte möglicherweise auch die Novelle des Düngegesetzes eine Rolle, die am Mittwoch (31.5.) im Bundeskabinett beschlossen worden ist. Mit der Neuregelung soll zum einen die rechtliche Voraussetzung für eine geplante Änderung der Stoffstrombilanzverordnung geschaffen werden. Zum anderen soll die Gesetzesnovelle die Möglichkeit eröffnen, eine Verordnung zum Wirkungsmonitoring der Düngeverordnung vorzulegen.

Mit dieser Verordnung sollen die Düngedaten landwirtschaftlicher Betriebe künftig nachvollzogen und bewertet werden können. Die Betriebsdaten sollen „mittelfristig“ die Basis bilden, Betriebe zu entlasten, die wasserschonend arbeiten, um damit das Verursacherprinzip bei den Düngeregeln stärker zur Geltung zu bringen.

Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir sieht die Novelle als „einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer zukunftsfesten Düngepraxis, zu Verlässlichkeit für die Landwirtinnen und Landwirte und zu sauberen Gewässern“. Zentrales Ziel sei es, das Verursacherprinzip weiter zu stärken.

Zeitplan wackelig



Unwahrscheinlich ist allerdings, dass der ursprüngliche Zeitplan eingehalten und das Gesetzgebungsverfahren noch vor der Sommerpause abgeschlossen werden kann. Aufgrund von Bedenken der FDP-Ministerien war die Kabinettsbefassung mehrfach verschoben worden.

Özdemir zeigte sich dennoch zufrieden mit dem Kabinettsbeschluss: „Mit dem neuen Düngegesetz legen wir den Grundstein für verlässliche Düngeregeln, mit denen Höfe Planungssicherheit haben, das Verursacherprinzip stärker Beachtung findet und unser Wasser sauber bleibt.“ Einige Regionen in Deutschland kämpften seit Jahren mit sehr hoher Nitratbelastung in ihren Gewässern.

Ein Grund dafür seien Düngeregeln, „die über die Jahre zwar immer wieder geändert wurden, aber nicht verlässlich und wirksam genug sind“. Die Ampelkoalition packe das jetzt an. Özdemir: „Wer Wasser gefährdet, wird in die Pflicht genommen. Wer Wasser schützt, soll entlastet werden.“

Etappenziel



Anlässlich der Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens wies Özdemir darauf hin, dass nunmehr Strafzahlungen gegen Deutschland abgewendet seien. Das sei ein großer Erfolg, zu dem viele beigetragen hätten. „Nach Jahren der Unsicherheit für Landwirtinnen und Landwirte machen wir die Düngeregeln nun endlich zukunftsfest; das findet auch Anerkennung in Brüssel“, so der Landwirtschaftsminister.

Für ihn ist die Einstellung des Verfahrens allerdings lediglich „ein Etappenziel, dass uns Brüssel gesteckt hat, und nicht das Ende“. Jetzt gehe es darum, mit zukunftsfesten Düngeregeln die Umwelt zu schützen und der Landwirtschaft Verlässlichkeit zu geben.

Sehr langer Weg



Bundesumweltministerin Lemke erinnerte an die langwierigen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre um eine Neugestaltung des Düngerechts: „Es war ein sehr langer Weg, mit schwierigen Verhandlungen zwischen der Kommission, dem Bund, den Bundesländern, den Landwirtinnen und Landwirten, der Wasserwirtschaft und den Umweltverbänden.“

Mit den im Rahmen des Verfahrens geänderten Vorschriften leiste man einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Gewässer vor Nährstoffeinträgen. Gleichzeitig trage die Bundesregierung auch in anderen Bereichen zu wichtigen Verbesserungen bei, wie beispielsweise bei der Wasserrahmenrichtlinie und der der EU-Richtlinie über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe (NEC-Richtlinie). „Dies zeigt, dass wir diesen Weg nur gemeinsam mit allen Akteuren gehen können“, so die Grünen-Politikerin.

Versäumnisse aufgeholt



Für den agrarpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Dr. Gero Hocker, zeigt die Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens, dass die jetzige Koalition „die Versäumnisse der letzten CDU-geführten Bundesregierung erfolgreich aufgeholt hat“. Nun komme es darauf an, die Grundwasserbelastungen verursachergerechter zu ermitteln und Landwirte so weit es geht von bürokratischen Pflichten zu befreien.

Im Rahmen der Novellierung des Düngegesetzes würden sich die Freien Demokraten für praxisnahe Regelungen einsetzen, versicherte Hocker. Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte zufolge ist es gelungen, neues Vertrauen zwischen der Europäischen Union und Deutschland aufzubauen. Dieses zarte Pflänzchen müsse nun weiter gepflegt werden, denn es würden kontinuierlich Fragen des Grundwasserschutzes weiter diskutiert werden. In jedem Fall sei die Entscheidung eine gute Grundlage, „um in der nächsten Zeit den Gesprächsfaden zu verursachergerechteren Ansätzen bei der Düngung aufzunehmen“.

Landwirte Teil der Lösung



Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Dr. Till Backhaus erinnerte daran, dass im Falle einer Verurteilung Deutschlands im Zweitverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit der Festsetzung der Zahlung eines Pauschalbetrags von mindestens 17,2 Mio Euro und einem täglichen Zwangsgeld von bis zu 1,1 Mio Euro zu rechnen gewesen wäre. Jetzt geht es laut Backhaus darum, mit den Landwirten gemeinsam daran zu arbeiten, dass in Zukunft weniger Nitrat in die Böden und damit ins Grundwasser gelangt.

„Ich habe immer wieder gesagt, dass die Landwirtschaft nicht das Problem, sondern Teil der Lösung ist. Dies haben wir nun zu beweisen“, betonte der SPD-Politiker. Seine bayerische Amtskollegin Michaela Kaniber sieht ein „wichtiges Etappenziel“ erreicht. Auch die Münchener Ressortchefin hält es nun für geboten, die Verursachergerechtigkeit „konsequent anzupacken“.

Derogationsregelung beantragen



Aus Sicht von DBV-Generalsekretär Krüsken bleibt es dringend notwendig, einzelbetriebliche und verursachergerechte Klauseln für gewässerschonend wirtschaftende Landwirte statt Pauschalauflagen in Roten Gebieten einzuführen. Seiner Auffassung nach sollte auch die Derogationsregelung für Wirtschaftsdünger und Gärreste wie bereits in der Düngeverordnung vorgesehen ermöglicht und bei der EU-Kommission beantragt werden.

Der Generalsekretär rief die Ampelkoalition dazu auf, den vorgelegten Entwurf für eine Novelle des Düngegesetzes kritisch zu prüfen. Anpassungen seien vor allem im Hinblick auf die vorgesehene Einführung einer flächendeckenden Einführung der Stoffstrombilanz und einzelbetrieblichen Ausnahmen für Landwirte in Roten Gebieten erforderlich.

Auch der Präsident des Landvolks Niedersachsen, Dr. Holger Hennies, wies darauf hin, dass jetzt „Schritte für den gewässerschonend wirtschaftenden Betrieb“ kommen müssten, um diese Form der Bewirtschaftung zu belohnen. Er begrüßte es ebenfalls, dass die EU nicht mehr willkürlich Änderungen in der Düngeverordnung vornehmen und endlich mehr Verursachergerechtigkeit entsteht könne.

Viel Zeit vergeudet



Auch die Interessengemeinschaft der Schweinehalter (ISN) begrüßte die Einstellung des Verfahrens. In der Vergangenheit sei wegen jahrelanger Streitigkeiten zur Düngeverordnung zu viel wertvolle Zeit zur Erarbeitung von fachlich sinnvollen und praktikablen Lösungen verschwendet worden.

Die Tierhalter brauchten jetzt endlich Planungssicherheit und Perspektive, betonte die ISN einmal mehr. Zugleich verwies der Verband auf den vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf für ein neues Düngegesetz. Bundestag und Bundesrat müssten diesem noch zustimmen. Daher bleibe abzuwarten, ob das Hickhack um die Düngegesetzgebung „nun endlich ein Ende findet“.

Sorgen bleiben



„Die drohenden Strafzahlungen sind vom Tisch, die Sorgen der Betriebe allerdings nicht“, stellte die Geschäftsführerin der Bundesfachgruppe Gemüsebau (BfG) im Zentralverband Gartenbau (ZVG), Laura Lafuente, zur Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens fest. Für den ZVG bleibt es von großer Bedeutung, im Zusammenhang mit der Änderung des Düngegesetzes praxisgerechte Erleichterungen zu schaffen und keine überhöhten Vorgaben zur Abgabe von Betriebsdaten vorzugeben.

„Ordnungsgemäß, nach guter fachlicher Praxis düngende Betriebe müssen auch in den sogenannten Roten Gebieten Erleichterungen bei der Düngung bekommen können“, so Lafuente. Notwendig sei es auch, den Geltungsbereich der Stoffstrombilanz einzuengen. Die dort geregelte betriebliche Bilanzierung für Stickstoff und Phosphat sei angesichts der Kulturvielfalt des Zierpflanzenbaus, des Obstbaus und der Baumschulen „unverhältnismäßig bis undurchführbar“.
AgE
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