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20.05.2012 | 18:26 | Welternährung  

Dürrekatastrophe: Kinder in Niger zwischen Hunger und Hoffnung

Niamey/Maradi - In afrikanischen Dürrezeiten leiden vor allem die Kinder. So auch im Hungerland Niger. Ärzte und Hilfsorganisationen versuchen, den kleinen Patienten mit therapeutischer Zusatznahrung zu helfen. Aber die Situation ist schockierend.

Dürre
(c) proplanta
Die Kinderabteilung im Zentralkrankenhaus von Maradi bietet ein erschreckendes Bild. Hier im äußersten Süden Nigers, werden schwer unterernährte Kinder behandelt, die in eine Welt aus Leid und Hunger hineingeboren wurden. Die Zwillingsmädchen Hassana und Ousseina sind zwei von ihnen. Als sie vor einem Monat auf die Welt kamen, wogen sie weniger als 1,5 Kilogramm. Jetzt, nach 18 Tagen in der Klinik, haben sie dank therapeutischer Zusatznahrung und ärztlicher Unterstützung ihr Gewicht fast verdoppelt. Dennoch: Sie sind winzig, und ihre Arme und Beine so dünn, dass man meint, sie würden bei jeder Berührung zerbrechen.

Der Ernährungsexperte Eric-Alain Ategbo vom Kinderhilfswerk Unicef hatte die Besucher wenige Tage zuvor bereits gewarnt: «Was man in diesen Krankenhäusern sieht ist schockierend, und die meisten Besucher haben hinterher nächtelang Alpträume.» Die Körper der kleinen Patienten bestünden nur aus Haut und Knochen, ohne jegliche Muskelmasse, hatte er hinzugefügt. Aber Worte sind Worte, auf die schreckliche Realität in diesem dürregeplagten Teil Afrikas ist man dennoch nie vorbereitet.

Wissenschaftliche Studien haben ergeben: Die ersten 1.000 Tage im Leben eines Kindes entscheiden über die gesamte weitere Entwicklung und Zukunft des Menschen. «Das Zeitfenster beginnt bei der Empfängnis und erstreckt sich bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres», heißt es auf der Webseite der Welthungerhilfe. Wenn es in dieser Phase an ausreichender und gesunder Nahrung fehlt, ist die Wahrscheinlichkeit irreversibler gesundheitlicher Folgen sehr hoch. Dazu gehören neben einem schwachen Immunsystem vor allem auch körperliche und geistige Schäden.

In Niger, wo die derzeitige Dürre in der Sahelzone besonders schlimm zugeschlagen hat, werden mittlerweile bereits 300.000 Kinder wegen schwerer Mangelernährung behandelt. 500.000 weitere leiden unter mäßiger Unterernährung. «Das sind Zahlen, die man normalerweise nur in einem Land findet, das sich im Krieg befindet», erklärte Ategbo. In Niger aber gibt es derzeit keine politischen Konflikte. «Und die Folgen sind anders als bei anderen Krankheiten, die Kinder bezahlen den Preis ihr ganzes Leben lang.»

Zaharia bezahlt den Preis der Armut bereits. Sie ist zwei Jahre alt und wiegt knapp 7,2 Kilogramm. Normal wären rund zwölf Kilo. Ihr Kopf wirkt überproportional groß, und trotz der Zufuhr künstlichen Sauerstoffs atmet sie schwer. «Zaharia ist nicht nur mangelernährt, sie hat auch Tuberkulose», sagt der zuständige Kinderarzt Moustapha Boulama Ari. 55 Kinder werden momentan in der Klinik behandelt, und ihre aufgeblähten Bäuche, ihre riesigen, leblosen Augen und die hervorstehenden Knochen werfen unvermittelt existenzielle Fragen auf. Wie kann es sein, dass Menschen im Jahr 2012 so leiden müssen?

Einer der Hauptgründe für die Hungerkrise sind die zunehmenden Dürren. Brachen sie früher alle fünf bis zehn Jahre über das Land herein, liegt die letzte nun erst zwei Jahre zurück. Hinzu kommen die stark gestiegenen Lebensmittelpreise sowie jahrelange Misswirtschaft früherer Regierungen, die die Armut in Niger schlicht nicht publik machen wollten. «Bis zum Militärcoup vor zwei Jahren durften wir nicht einmal über Mangelernährung reden, es war fast unmöglich für uns, den Menschen zu helfen», betont Ategbo. «Jetzt, unter dem neuen Präsidenten Mahamadou Issoufou, gibt es endlich einen Konsens, dass das Land Probleme hat.»

Zudem gibt es seit ein paar Jahren wirksame Behandlungsmethoden für hungernde Kinder: Therapeutische Fertignahrung heißt das Zauberwort. Die Lebensmittel, die den Kindern eine Zukunft garantieren können, werden unter den Namen Plumpy'nut und PlumpySup vertrieben. Sie wurden bereits bei der Hungerkrise am Horn von Afrika großflächig eingesetzt und haben vielen Kindern in Somalia das Leben gerettet.

Beides sind angereicherte Erdnussbutterpasten, denen Milchpulver, Pflanzenöl, Zucker sowie Vitamine und Mineralien zugesetzt werden. Der Nährwert einer 90-Gramm-Packung beträgt 500 Kilokalorien. Plumpy'nut wird bei akut mangelernährten Kindern eingesetzt, PlumpySup bei moderat unterernährten Kindern.

«Es dauert sechs bis sieben Wochen, bis ein schwer unterernährtes Kind durch die Paste gesund wird», erläutert Ategbo. Der Vorteil: Die meisten Kinder können daheim behandelt werden, Unicef und das Welternährungsprogramm (WFP) verteilen die Produkte landesweit in über 1.500 Gesundheitszentren.

Im Krankenhaus in Maradi und anderen Städten des westafrikanischen Landes liegen hingegen die Härtefälle, die ohne Sofortmaßnahmen kaum überleben könnten. Ziel der Ärzte ist es, auch die ausgezehrten Mütter gesund zu ernähren, damit sie ihren Babys wieder Muttermilch geben können. Säuglinge wie Hassana und Ousseina erhalten zusätzlich therapeutische Milch.

«Bei der derzeitigen Hungerkrise ist es ganz besonders wichtig, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen», meint der Unicef-Experte. Denn wenn sich die Ernährungssituation im Elternhaus nicht bessert, können die Kleinen schnell wieder in einen Status der Unterernährung zurückfallen. «Aber hier in Niger sind wir besser vorbereitet als am Horn im vergangenen Jahr, da die Dürrekrisen hier schon chronisch sind.»

Und so gibt es vielleicht Hoffnung für die Zwillingsmädchen, für Zaharia und für all die anderen. Die internationalen Hilfsorganisationen tun, was sie können, um das Leid zu mildern. Jedoch sind sie sich in einem Punkt einig: Wenn die Geberländer jetzt in ihren Spenden und Hilfen nachlassen, waren alle Bemühungen, eine Katastrophe noch abzuwenden, umsonst. (dpa)
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