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22.07.2020 | 00:04 | Corona-Wiederaufbaupaket 

Erleichterung über riesigen EU-Deal - Aber auch Kritik

Brüssel / Berlin - Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich nach tagelangen Verhandlungen auf ein historisches Haushalts- und Finanzpaket geeinigt.

EU-Gipfel
Die Staats- und Regierungschefs der EU erhalten für ihren Deal nach viertägiger Verhandlungen vor allem Lob. Kritik ruft aber nicht zuletzt der Kompromiss zum Rechtsstaatsmechanismus. Und auch die Umwelt- und Klimaaktivisten sind skeptisch. (c) proplanta
Es umfasst 1074 Milliarden Euro für den siebenjährigen Haushaltsrahmen bis 2027 und 750 Milliarden Euro für ein Konjunktur- und Investitionsprogramm. Die Reaktionen auf den hart erkämpften Deal fallen vielfach positiv aus. Nicht zuletzt von Grünen und Klimaaktivisten kommt aber auch teils scharfe Kritik.

«Das war nicht einfach», sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Einigung. Für sie zähle aber, «dass wir uns zum Schluss zusammengerauft haben». Der Haushalt sei auf die Zukunft Europas ausgerichtet.

«Historischer Tag für Europa», schrieb Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf Twitter. Auch EU-Ratschef Charles Michel und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen feierten den Beschluss als historisch. «Wir haben es geschafft», sagte Michel. Das sei der richtige Deal für Europa. «Wir sind uns bewusst, dass dies ein historischer Moment in Europa ist», ergänzte von der Leyen.

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sprach von einem «guten Resultat für die EU und Österreich». Er lobte namentlich das Bündnis, das Österreich mit Schweden, Dänemark und den Niederlanden eingegangen war. «Vielen Dank an alle Kollegen, besonders an die «Sparsamen»», twitterte er. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sprach von einem «umfangreichen und guten Paket, durch das die niederländischen Interessen gewahrt bleiben».

Ähnlich äußerte sich die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Es handele sich um eine solidarische Abmachung mit einem weiterhin großen Volumen, das jedoch nun eine bessere Balance habe.

Aus dänischer Sicht sei wichtig, einen großen Rabatt erhalten zu haben. «Das lässt erkennen, dass man gleichzeitig für dänische und für europäische Interessen kämpfen kann.»

Trotz aller Schwierigkeiten habe die EU gezeigt, dass sie in einer schwierigen Lage handeln könne, sagte Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin laut dem Sender Yle. Aus finnischer wie aus europäischer Sicht sei das Ergebnis zufriedenstellend.

Das Corona-Wiederaufbaupaket besteht zu 390 Milliarden aus nicht zurückzuzahlenden Zuschüssen und zu 360 Milliarden Euro aus Krediten. Mit dem Fonds will sich die Europäische Union gegen den beispiellosen Wirtschaftseinbruch stemmen und den EU-Binnenmarkt zusammenhalten. Gleichzeitig soll in eine digitalere und klimafreundlichere Wirtschaft investiert werden.

Erleichtert über den Deal zeigten sich auch die Regierungen, deren Staaten am stärksten von der Corona-Pandemie betroffen sind. Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez sagte, er sei «zu 95 Prozent zufrieden» mit dem Ergebnis.

«Wir sind zufrieden», sagte auch Italiens Regierungschef Giuseppe Conte. Der Wiederaufbauplan entspreche den enormen Herausforderungen der Krise. Für Italien seien etwa 209 Milliarden Euro vorgesehen. «Es ist ein historischer Moment für Europa, es ist ein historischer Moment für Italien», betonte Conte.

Auch CSU-Chef Markus Söder lobte das Ergebnis. «Zum Glück konnte sich Europa einigen. Das neue Finanzpaket ist die entschlossene Antwort auf Corona», schrieb er bei Twitter. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt
sagte: «Wichtig ist, dass das Geld in digitale und ökologische Innovationen, Infrastruktur und Digitalisierung fließt und nicht in die Sanierung maroder Staatshaushalte. Nur dann kann aus dem Finanzpaket ein Wachstumsschub werden.»

FDP-Chef Christian Lindner meinte, dass sich die langen Verhandlungen in Brüssel gelohnt hätten. «Das Verhältnis zwischen Zuschüssen einerseits und Krediten andererseits ist ausgewogener als in den vorherigen Vorschlägen und das setzt die richtigen Anreize für eine zielgerichtete Verwendung der neuen Mittel.»

Zudem sei gesichert, dass «diese sehr hohen Summen nicht genutzt werden, um alte bekannte Strukturdefizite zuzudecken [...], sondern dass es wirklich darum geht, etwas zu tun für Arbeitsplätze, für Wettbewerbsfähigkeit, für die Transformation der Wirtschaft in Europa.»

Trotz aller positiven Stimmen blieb auch Kritik am Verhandlungsergebnis nicht aus. So sah etwa Linken-Chef Bernd Riexinger in der Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs keinen «Gipfel der europäischen Solidarität».

«Bei diesem EU-Gipfel wurden die nationalstaatlichen Egoismen wichtiger genommen als der europäische Zusammenhalt.» Auch wer erhofft habe, dass die Rechtsstaatlichkeit gestärkt werde, sei von diesem Gipfel enttäuscht worden.

Auch die Reaktionen von Rechtspopulisten fielen vornehmlich negativ aus: «Doch 390 Milliarden Euro Zuschüsse für Südeuropa. ... Wahnsinn! Milliarden weggeschmissen, die wir im eigenen Land ausgeben müssten», twitterte der Niederländer Geert Wilders.

«Noch nie hat eine Regierungschefin so lange und hartnäckig darum gekämpft, die Steuergelder ihrer Bürger im ganz großen Stil an andere verschenken zu dürfen, wie Angela Merkel in Brüssel», erklärte die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel. Merkel betreibe einmal mehr Europapolitik gegen die Interessen der Bürger, «um sich als «große Europäerin» feiern zu lassen».

Der Grünen-Parteichef Robert Habeck sah beim Verhandlungsergebnis noch Verbesserungsbedarf. Bei der Zukunftsorientierung und der Rechtsstaatlichkeit müsse nun das Europäische Parlament für Europa kämpfen.

Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg twitterte, dass der Sondergipfel lediglich ein paar «nette Worte» sowie einige vage und unvollständige Klimaziele zustande gebracht habe. «Solange die Klimakrise nicht als eine Krise behandelt wird, bleibt das notwendige Handeln außer Sichtweite», schrieb die 17-Jährige.

Nach Ansicht des Bundesverbands Erneuerbare Energien fehlt dem Corona-Wiederaufbaupaket ein Impuls im Bereich der Klima- und Energiepolitik. «Hier muss dringend nachgebessert werden», erklärte Präsidentin Simone Peter.

«Mitten in der Corona-Krise weniger Geld für Gesundheit, Forschung und auch Klimaschutz vorzusehen, ist nicht sparsam, sondern dumm», sagte die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, der Funke-Mediengruppe. Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark, die sich selbst als «Sparsame Vier» bezeichnen, hätten sich von nationalen Egoismen treiben lassen. Ungarn warf sie einen «indiskutablen Erpressungsversuch» vor.

Zahlreiche EU-Staaten wollten die Verteilung von EU-Mitteln an die Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien koppeln. Polen und Ungarn waren strikt gegen einen solchen Rechtsstaatsmechanismus. Letztlich fanden die 27 Staaten eine Kompromissformel - deren Auslegung direkt nach dem Gipfel sehr unterschiedlich interpretiert wurde.

«Jeder Versuch, der darauf abzielte, zwei wichtige Fragen - die der EU-Gelder und die der Rechtsstaatlichkeit - miteinander zu verbinden, wurde erfolgreich zurückgewiesen», sagte etwa Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban.

Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley, warf den EU-Staats- und Regierungschefs zu große Nachgiebigkeit gegenüber Staaten wie Ungarn und Polen vor. «Ja, man ist eingeknickt und das Schlimme ist, man ist schon sehr früh eingeknickt», sagte die SPD-Politikerin dem TV-Sender «Welt». Zudem kündigte sie harte Nachverhandlungen im EU-Parlament an.

Kommissionspräsidentin von der Leyen und EU-Ratschef Michel bestritten dagegen, dass eine starke Lösung zugunsten des Kompromisses geopfert worden sei. Mit qualifizierter Mehrheit der EU-Staaten könnten bei Verstößen Maßnahmen ergriffen werden, sagte von der Leyen. Rutte, der die Rechtsstaatsklausel zur Bedingung für eine Zustimmung gemacht hatte, betonte, mit der gefundenen Lösung «können die Auszahlungen gestoppt werden».
dpa
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