Gerade was die Ausführungen zum Umbau der Tierhaltung zu mehr
Tierwohl angehe, seien die Aussagen sehr vage und schwammig, erklärten Vertreter des Bauernverbandes
Landvolk, der Interessengemeinschaft der
Schweinehalter Deutschlands, des Geflügelwirtschaftsverbandes und der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft in Niedersachsen auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur.
Abgesehen davon aber sehen die Landwirtschaftsfunktionäre in Deutschlands größtem
Agrarland Niedersachsen auch viele positive Aspekte in dem Vertragswerk. «Ich sehe das Glas halbvoll», sagte Landvolk-Präsident Holger Hennies.
SPD, Grüne und FDP haben sich darauf geeinigt, mehr Tierschutz in den Ställen durchzusetzen. Dazu soll es eine gesicherte Finanzierung für die
Bauern und neue Kennzeichnungen im Supermarkt geben. Dazu soll ein «durch Marktteilnehmer getragenes finanzielles System» entwickelt werden.
Für den Landvolk-Präsidenten Holger Hennies ist die größte Schwachstelle des Koalitionsvertrags, dass darin die Finanzierung des tiergerechten Umbaus der Tierhaltung nicht geregelt sei. Da sei das Papier einer Expertenkommission zur Nationalen Nutztierstrategie, auch bekannt als «Borchert-Kommission», schon weiter gewesen. «Wenn das eine gesellschaftliche Anforderung ist, die Tierhaltung umzubauen, muss das die Gesellschaft auch finanzieren», sagte Hennies. Die Landwirte würden mit diesem Problem wieder allein gelassen.
Zustimmung finden in Hennies' Augen die Aussagen zum Moorschutz. «Da steht etwas von ausreichender Finanzierung und partizipativen Konzepten, das ist positiv.» Die
Renaturierung von Mooren sei eine hoch komplizierte und vor allem teure Angelegenheit, von der nicht nur die Landwirtschaft betroffen sei. Gerade in Niedersachsen lebten auch viele Menschen in Moorgebieten und es gebe dort Gewerbe. «Von den Kosten her bewegen wir uns da in der Dimension des Kohleausstieges», sagte Hennies.
Auch der Vorsitzende der Niedersächsischen
Geflügelwirtschaft, Friedrich-Otto Ripke, bemängelte, dass die Vorschläge der Borchert-Kommission im Ampelvertrag nicht erwähnt werden, obwohl sie auch im
Bundestag schon große Mehrheiten gehabt hätten. Er sei alarmiert, dass stattdessen ein von den Marktteilnehmern finanziertes System gewollt werde. Die vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass nur vom Markt finanzierte Tierwohlmaßnahmen nicht ausreichten, um die Forderungen an eine moderne Tierhaltung zu erfüllen, sagte er.
«Die
Ampel bringt im Koalitionsvertrag nicht zum Ausdruck, dass sie erkannt hat, dass es um den Nutztierstandort Deutschland geht und dass
Tierhalter Existenzsorgen haben», sagte Ripke. Diese Botschaft wäre eine Wertschätzung für die Bauern gewesen, dieses Signal sei auch erwartet worden. Der wahrscheinlich künftige
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen brauche nicht bei Null anzufangen, sagte Ripke. Die Konzepte lägen alle schon vor, sie müssten nur umgesetzt werden.
Für die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft bemängelte der niedersächsische Landesvorsitzende Ottmar Ilchmann ebenfalls, dass die Aussagen zur Finanzierung der Agrarreformen eher vage seien. Um die gesellschaftlichen Aufgaben in Sachen Klima- und
Artenschutz leisten zu können, bräuchten die Landwirte auch eine sichere Finanzierung. «Man findet dort nicht das Wort Borchert-Kommission, man findet noch nicht einmal die Worte Zukunftskommission Landwirtschaft», kritiserte er.
Von Cem Özdemir als wahrscheinlichem Landwirtschaftsminister erwarte er relativ viel, sagte Ilchmann. «Man nimmt ihn wahr als Realo, als Pragmatiker, als jemanden, der aus Baden-Württemberg kommt und durchaus wirtschaftsaffin ist.» Özdemir dürfte daher wissen, dass die «hehren gesellschaftlichen und grünen Anforderungen» auch wirtschaftlich für die Bauern darstellbar sein müssten.
Aus Sicht der
Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (
ISN) mit Sitz in Damme bei Vechta ist der Koalitionsvertrag in vielen Teilen zu vage und zu unkonkret. Gleichzeitig sollen viele Auflagen verschärft werden, sagte ISN-Geschäftsführer Torsten Staack.
Das dürfte zu einer
Abwanderung der Tierhaltung aus Deutschland führen. Er erwarte vom voraussichtlich neuen Landwirtschaftsminister Özdemir, dass dieser Brücken zwischen Landwirtschaft und Umwelt- sowie Tierschützern baue - das sei mit der Borchert-Kommission eigentlich bereits gelungen. «Man darf nicht vergessen, dass dahinter auch Familien stehen, für die es um die Existenz geht», sagte Staack.