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02.02.2022 | 13:46 | Greenwashing oder Gütesiegel?  

EU-Kommission stuft Atomkraft und Gas als klimafreundlich ein

Brüssel - Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke sollen in der Europäischen Union unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich gelten.

Nachhaltige Energiequelle?
Jetzt ist es offiziell: Die EU-Kommission stuft Investitionen in Gas- und Atomkraft übergangsweise als klimafreundlich ein. In letzter Minute wurden noch Zugeständnisse gemacht - unter anderem auf Wunsch Deutschlands. (c) proplanta
Trotz massiver Kritik nahm die Europäische Kommission am Mittwoch einen entsprechenden Rechtsakt an. Er bleibt sogar noch hinter einem ursprünglichen Entwurf zurück und lockert die Auflagen für Gaskraftwerke. Besonders Deutschland hatte darauf gepocht, die Kriterien für Gas flexibler zu gestalten.

Hintergrund der Einstufung von bestimmten Gas- und Atomprojekten als nachhaltig ist die sogenannte Taxonomie der EU, eine Art Kompass für nachhaltige Finanzen. Sie soll Bürger und Anleger dazu bringen, in klimafreundliche Technologien zu investieren, um die Klimaziele der EU zu erreichen.

Die EU hat sich vorgenommen, Treibhausgase bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren im Vergleich zu 1990, und bis 2050 klimaneutral zu werden. «Der heutige delegierte Rechtsakt mag nicht perfekt sein, aber er ist eine reale Lösung - er bringt uns näher zu unserem Ziel der Klimaneutralität», sagte Finanzkommissarin Mairead McGuinness zur Präsentation des Textes in Brüssel.

«Mitgliedstaaten sind weiterhin voll dafür verantwortlich, ihren eigenen Energiemix zu bestimmen und die Taxonomie schreibt auch nicht Investitionen in bestimmten Sektoren vor», betonte McGuinness. «Investoren werden sehen können, ob ein potenzielle Investition Atomkraft oder Gas enthält», fügte sie hinzu.

Der nun angenommene Rechtsakt sieht vor, dass Investitionen in neue Gaskraftwerke bis 2030 als nachhaltig gelten, wenn sie unter anderem schmutzigere Kraftwerke ersetzen und bis 2035 komplett mit klimafreundlicheren Gasen wie Wasserstoff betrieben werden.

Im ursprünglichen Entwurf war die Beimischung von klimafreundlichen Gasen schon ab 2026 vorgeschrieben. Das bedeutet, dass Gaskraftwerke nun unter Umständen länger höhere Anteile an verschmutzendem Erdgas nutzen könnten. Gleichzeitig muss ein neues Kraftwerk weniger strenge Auflagen erfüllen, um zu zeigen, dass es weniger CO2-Emissionen ausstößt als etwa ein Kohlekraftwerk, das es ersetzt.

Neue Atomkraftwerke sollen bis 2045 als nachhaltig klassifiziert werden, wenn ein konkreter Plan für die Endlagerung radioaktiver Abfälle ab spätestens 2050 vorliegt. Auch der Umbau von alten Kraftwerken kann als klimafreundliche Investition gelten. Die Nutzung besonderer unfallresistenter Brennstoffe wird allerdings erst ab 2025 vorgeschrieben, anstatt sofort zu gelten, wie im Entwurf geplant war.

Der Beschluss der Kommission wurde stark kritisiert. «Die Europäische Kommission hat die vielen kritischen Rückmeldungen, die sie auf den ersten Entwurf des delegierten Rechtsakts bekommen hat, allesamt in den Wind geschlagen», sagte der EU-Abgeordnete Markus Ferber (CSU).

«EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verfolgt ein irrsinniges Anliegen, Atomkraft und Erdgas mit einem Öko-Label zu versehen», sagte Michael Bloss (Grüne), der zusammen mit über 80 anderen EU-Parlamentariern einen Brief gegen die Maßnahme an die Kommission geschickt hat.

Auch Umweltschützer von WWF und Greenpeace waren empört. «Es macht den EU-Anspruch auf eine globale Führungsrolle in Klima- und Umweltfragen zum Gespött», sagte Ariadna Rodrigo von Greenpeace. Lob kam hingegen von der AfD: «Mit der sogenannten Taxonomie, also der Einstufung von Finanzinvestitionen in Kernkraft und Gas als klimafreundlich, begibt sich die EU-Kommission erstmals auf AfD-Kurs», sagte der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Norbert Kleinwächter.

Österreich und Luxemburg haben angekündigt, gegen den Rechtsakt zu klagen. Auch Spanien, Dänemark, die Niederlande und Schweden lehnen eine nachhaltige Einstufung von Gas ab, hieß es in einem Brief an die Kommission Anfang der Woche. Große Anleger wie die Europäische Investmentbank und die Investorengruppe IIGCC, die etwa die Allianz umfasst, äußern sich ebenfalls kritisch.

Die Bundesregierung will den Rechtsakt nach eigenen Angaben nun prüfen. «Wir haben jetzt vier Monate Zeit, das zu prüfen, was die Kommission jetzt tatsächlich vorlegt», erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch in Berlin. Sie hat schon mehrfach ihre klare Ablehnung zur Einstufung von Atomkraft als nachhaltig zum Ausdruck gebracht. Eine Unterstützung für Gaskraftwerke als Übergangstechnologie hält Deutschland aber für vertretbar.

Nachdem die EU-Kommission den Vorschlag offiziell angenommen hat, kann er nur noch durch eine Mehrheit im EU-Parlament oder mindestens 20 EU-Länder abgelehnt werden, ansonsten tritt er automatisch in Kraft. Eine Ablehnung gilt bislang als unwahrscheinlich.
dpa
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