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11.07.2022 | 04:58 | Nitrateinträge 

Grünes Licht für Neuausweisung der Roten Gebiete

Berlin - Der Weg für die von der Europäischen Kommission geforderte Neuausweisung der Roten Gebiete ist frei.

Nitratbelastung
Bundesrat stimmt Novelle der AVV Gebietsausweisung zu - Bundesregierung verpflichtet sich zu verursachergerechten differenzierten Maßnahmen - Bund und Länder erwarten Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens - Özdemir: Klarheit und Planungssicherheit für die Landwirte. (c) proplanta
Der Bundesrat stimmte am vergangenen Freitag (8.7.) der von der Bundesregierung vorgelegten Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten (AVV Gebietsausweisung) nach Maßgabe kleinerer Änderungen zu.

Die Länder sind nun gehalten, die neue Ausweisungsmethodik umzusetzen. Sie müssen ihre Landesdüngeverordnungen bis Ende November dieses Jahres anpassen. Bis Ende 2024 müssen sie ihre Messstellennetze verdichten.

In der Plenarsitzung äußerten sowohl die Landesminister aus Baden-Württemberg, Hessen und Thüringen, Peter Hauk, Priska Hinz und Susanna Karawanskij, als auch die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium, Dr. Manuela Rottmann, die Erwartung, dass nunmehr die EU-Kommission das laufende Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einstellen werde.

Die Anpassung der Regelungen für die Gebietsausweisung hatte die Bundesregierung in den vergangenen Monaten mit der Kommission abgestimmt. In der Regierung sorgte die Zustimmung des Bundesrats für Erleichterung. Landwirte bekämen mit der Neuregelung Klarheit und Planungssicherheit, erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir.

Kein Selbstläufer



Die Mehrheit im Bundesrat war kein Selbstläufer. Zu Wochenmitte war die AVV in einer Probeabstimmung der Länder noch durchgefallen. Die Voraussetzung für die letztlich klare Mehrheit im Plenum schaffte erst eine Protokollerklärung, die die Bundesregierung zu der Vorlage abgegeben hat. Darin verpflichtet sie sich, die Düngeregeln stärker zu differenzieren, um auf diese Weise für mehr Verursachergerechtigkeit zu sorgen. Dahinter steht die Forderung von Seiten der Landwirtschaft, Erleichterungen für Betriebe zu schaffen, die nachweislich gewässerschonend wirtschaften.

In der Protokollerklärung bekennt sich die Bundesregierung dazu, das Prinzip der Verursachergerechtigkeit zu stärken. Dazu wird sie dem Text zufolge eine Reihe von Regelungen „noch in diesem Jahr anstoßen und zeitnah zusammenführen“. Genannt werden das geplante bundesweite Nährstoffmonitoring zur Düngeverordnung einschließlich des im Koalitionsvertrag verankerten Nährstoffidentifikationssystems, die Überarbeitung der Stoffstrombilanzverordnung sowie die verschiedenen Länderansätze. Ziel sei es, in enger Abstimmung mit der EU-Kommission „ein robustes, rechtssicheres und vollzugstaugliches, auf kontrollierbaren Daten beruhendes System für eine Maßnahmendifferenzierung“ zu entwickeln.

Ausnahmen zwingend erforderlich



Der Deutsche Bauernverband (DBV) hatte im Vorfeld darauf gedrängt, eine verursachergerechte Regelung mit einer Ausnahmemöglichkeit für Betriebe zu schaffen, die nachweislich gewässerschonend wirtschaften. Dies sei „zwingend erforderlich“, betonte DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken am Vortag der Abstimmung in der Länderkammer. Eine präzise Gebietsabgrenzung auf Basis eines engen Messstellennetzes sei das Fundament für einen zielgerichteten Gewässerschutz.

Aus landwirtschaftlicher Sicht sei eine Betrachtung der Grundwasserqualitäten ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Bewirtschaftungspraktiken nicht akzeptabel. „Dies sollte zügig in der AVV umgesetzt werden, damit die Landwirte wieder Vertrauen in die fachliche Fundierung der Düngeregeln fassen können“, forderte der Generalsekretär.

Mängel der Messstellennetze zügig beseitigen



Krüsken befürchtet allerdings, dass eine differenzierte Gebietsabgrenzung nicht zügig genug erfolgt. Seiner Auffassung nach sollte das geostatistische Regionalisierungsverfahren nicht erst dann umgesetzt werden können, wenn das gesamte Bundesland über die nötigen Messstellendichte verfügt, sondern bereits dann, wenn dies in Teilregionen gewährleistet ist. Daneben sollte laut dem DBV-Generalsekretär bei den zu betrachtenden Grundwasserkörpern nicht auf die Jahreshöchstwerte der Nitratkonzentration an den Messstellen abgestellt werden.

Nicht plausible Werte oder Ausreißer müssten dabei ausgeklammert werden. Die langen Übergangsfristen für die Verdichtung des Messnetzes seien aus Sicht der Landwirtschaft nicht akzeptabel. Seit Jahren sei offensichtlich, dass das Messstellennetz in Deutschland im europäischen Vergleich lückenhaft sei und eine differenzierte Vorgehensweise nicht zulasse. „Hier müssen die Mängel schneller beseitigt werden“, mahnte Krüsken.

Differenzierte und zielgerichtete Lösungen



Baden-Württembergs Agrarminister Hauk forderte die Bundesregierung auf, im nationalen Aktionsprogramm noch in diesem Jahr eine differenzierte, verursachergerechte Maßnahmenausgestaltung zur Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie vorzunehmen. „Wir brauchen differenzierte, zielgerichtete Lösungen in den Problemgebieten und Entlastungen für Betriebe, die offensichtlich gewässerschonend wirtschaften“, sagte der CDU-Politiker im Bundesrat.

Hauk bezeichnete die Düngung der Kulturpflanzen als einen „entscheidenden Grundpfeiler“ der landwirtschaftlichen Produktion: „Nur durch eine gezielte und ausreichende Nährstoffversorgung können in Menge und Qualität genügend hochwertige Nahrungsmittel erzeugt werden.“ Das sei von zentraler Bedeutung für die gegenwärtige und künftige Ernährungssicherung im Kontext zu Klimakrise und globalen Konflikten, sagte Hauk.

Langes Hickhack



„Endlich haben wir gemeinsam mit den Ländern die Ziellinie überquert“, erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir. Es komme einem politischen Sprint gleich, „einen zehnjährigen Konflikt mit Brüssel in nur sechs Monaten zu lösen“. Die Landwirte könnten auf dieser Grundlage ihre Anbau- und Düngeplanung verlässlich machen. „Das sind wir ihnen nach dem langen Hickhack und falschen politischen Versprechungen auch schuldig“, betonte der Grünen-Politiker.

Gleichzeitig würden die drohenden Strafzahlungen abgeräumt. Bundesumweltministerin Steffi Lemke verwies auf gravierende Schäden für die Umwelt, die mit den schon lange zu hohen Nitratbelastungen in Deutschland verbunden seien: „Eine Überdüngung der Äcker belastet unser Grundwasser, aus dem Trinkwasser gewonnen wird, schadet den Binnen- und Küstengewässern erheblich und treibt die Klimakrise an.“

Jetzt sei man endlich einen wesentlichen Schritt vorangekommen. Hingegen sprach der agrarpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Protschka, von einem falschen Signal. Eine zu erwartende Ausweisung der Roten Gebiete erfolge „auf Grundlage eines ungeeigneten Nitratmessnetzes sowie auf jahrzehntelang falsch erhobenen Messwerten“.

Hindernisse für kleine Gemüsebaubetriebe



Kritik kam auch vom Zentralverband Gartenbau (ZVG). „Ausgerechnet kleinstrukturierte Gemüsebaubetriebe mit einem großen Kulturspektrum werden nahezu unüberwindbare Hindernisse meistern müssen“, warnte die Geschäftsführerin der Bundesfachgruppe Gemüsebau, Laura Lafuente. Vorschläge zu Sonderkulturen seien in der AVV nicht berücksichtigt worden.

Entgegen der Forderungen aus der Praxis solle beispielsweise weiterhin ein Schlag als Ganzes zum Roten Gebiet erklärt werden, wenn mindestens 20 % davon in einem belasteten Bereich liegen. Der BfG-Geschäftsführerin zufolge ist das nicht nur unverhältnismäßig, sondern je nach Schlaggeometrie und technischer Voraussetzung kaum umsetzbar für die Betriebe. Dringend erforderlich sei daher eine praxistaugliche Ausnahmeregelung für Sonderkulturen.

Umfang steigt um 45 Prozent



Die AVV Gebietsausweisung konkretisiert die Vorgaben zur Gebietsausweisung der 2020 geänderten Düngeverordnung. Mit der Novelle der AVV werden die Forderungen der EU-Kommission im Vertragsverletzungsverfahren umgesetzt. Mit der Streichung der sogenannten Emissionsmodellierung können bei der Gebietsabgrenzung zukünftig keine landwirtschaftlichen Daten mehr berücksichtigt werden.

Die Bundesländer müssen sicherstellen, dass alle belasteten Messstellen innerhalb der mit Nitrat belasteten oder eutrophierten Gebiete liegen. Zudem muss die Binnendifferenzierung bundeseinheitlich mit geostatistischen Regionalisierungsverfahren erfolgen. Hierfür sind Übergangsfristen vorgesehen, um den Ländern genügend Zeit zur Verdichtung ihrer Messstellennetze zu geben. Zudem wurde die Berücksichtigung von denitrifizierenden Verhältnissen aufgegriffen, um den Vorsorgegedanken noch stärker zu berücksichtigen. Die Länder gehen davon aus, dass sich die Nitrat-Gebietskulisse um rund 45 % von derzeit bundesweit etwa 2 Mio ha auf rund 2,9 Mio ha vergrößern wird.
AgE
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