Als Protest gegen die niedrigen Milchpreise. So drastisch wie die Aktion von drei Millionen Litern in Belgien sind die Aktionen hierzulande nicht, aber es gärt bei vielen Bauern. Eine Trendwende bei den Preisen zeichnet sich allerdings ab. Das Signal: Es geht aufwärts, wenn auch nur zaghaft. Die Angst bei den Bauern bleibt, denn sie erhalten noch immer viel weniger als noch vor mehreren Monaten für die Milch. «Momentan bekommen die Milchbauern zwischen 20 und 27 Cent pro Liter in Deutschland», sagt der Milchpräsident des Deutschen Bauernverbands, Udo Folgart. «Aber auch 27 Cent sind nicht kostendeckend.»
Die rund 100.000 Milchbauern in Deutschland sind teils in mehreren Verbänden organisiert. Es gibt den Goliath, den Bauernverband. Und den David, den Bundesverband Deutscher
Milchviehhalter, in dem nach eigenen Angaben mit etwa 30.000 rund ein Drittel der deutschen Milcherzeuger organisiert ist. Im vergangenen Jahr rief der Milchviehhalterverband zum Milch-Boykott auf. Die Rohpreise stiegen aber nur kurzzeitig. Der Verband darf nun nicht mehr zum Lieferstopp aufrufen. Dazu kommt: David und Goliath sind sich nicht grün. Der
Bauernverband lehnt einen Milchstreik wie auch die Forderung nach Steuerung der Milchmenge ab.
Bundesagrarministerin Ilse
Aigner (CSU) ist wie schon ihr Vorgänger Horst
Seehofer (CSU) in einem Dilemma. Sie will helfen, aber kann nicht so viel ausrichten wie sie gern würde. An Preisen zu drehen, ist für die Politik tabu. Die Milchmenge steuern - wie es etwa Bayern will -, ist umstritten. Die Entlastung bei der Agrardieselsteuer war nach Ansicht der Bauern nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Also soll die EU helfen: mit Exportunterstützung, Stützungspreisen, Aufkäufen, einem Stopp der weiteren Erhöhung der Milchquote.
In Brüssel weiß nicht nur die scheidende EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel, dass der deutsche Kampf um die
Milchquote auch Wahlkampfrummel ist. Fünf Jahre lang hat die resolute Dänin, die an ein funktionierendes Spiel der Marktkräfte im Milchsektor glaubt, in zähen Verhandlungen um so manche Reform mit der Bundesregierung ihre Kämpfe ausgefochten. Knapp zwei Wochen vor der
Bundestagswahl hat sie Aigner nun ein kleines Wahlkampfgeschenk gemacht und weitere Hilfen für die darbenden Milchbauern vorgelegt.
Zwar ging es auch bei ihren neuesten Vorschlägen wieder um die Milchquote, die Obergrenze der Milchproduktion. Doch liefen sie, so die Agrarminister überhaupt zustimmen, im Wesentlichen auf Feinjustierungen hinaus und einen Appell an «mehr Quotendisziplin». Viel weitreichender ist die Ankündigung der Dänin, das Problem der Milch-Schleuderpreise endlich an der Wurzel packen zu wollen. Und das liegt in den Branchenstrukturen begraben.
Allerorten stehen wenigen Lebensmittelriesen eine Vielzahl unterschiedlich organisierter Molkereien gegenüber. Gefällt den Handelskonzernen der Preis bei der einen Molkerei nicht, ziehen sie eben zur nächsten. «Wir müssen die Macht der Supermärkte eindämmen», fordert der britische konservative Europaabgeordnete James Nicholson. Bauernvertreter wissen um das Problem, befürchten aber bei Absprachen etwa in sektorübergreifenden Branchenverbänden («Interprofessionen») Probleme mit den Kartellämtern - wie in Frankreich bereits geschehen. Aigner will, dass das Recht zumindest überprüft wird.
Nun könnte es einen europäischen Rechtsrahmen für sektorübergreifende Vertragsentwürfe etwa mit Preiskorridoren geben, die die Branchenverbände von Bauern und Industrie aushandeln würden. Das Thema ist heikel, und so hat Fischer Boel erst einmal einen Sonderausschuss von Experten der EU-Staaten und der
EU-Kommission vorgeschlagen. Unter Fischer Boels Ägide wird die Lösung des Problems, das ihr - selbst Landwirtin - nach eigenen Angaben so manche schlaflose Nacht bereitet hat, aber nicht mehr fallen: Sie hat sich entschieden, der neuen EU-Kommission nicht mehr anzugehören. (dpa)